Nützes Gedöns (IV.) - Nie wieder Facebook

Seite 2: Grapschender Präsident

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Dabei hätte ich mich selbst spätestens schon seit meinem eigenen Kommentar zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 auf die richtige Spur bringen können. Darin hatte ich über soziale Netzwerke und ihren Beitrag dazu spekuliert, wie der größte Twittertroll aller Zeiten ins Weiße Haus einziehen durfte, und war zu dem Schluss gekommen, dass ich selbst in einer Filterblase gefangen war, die mich an die Unmöglichkeit der Möglichkeit glauben ließ, dass die finale Verkörperung des alten weißen Mannes inthronisiert werden könnte, ein Frauenangrapscher.

Eine klassische Selbsttäuschung, die in letzter Konsequenz, nämlich den Facebook-Account zu löschen auch nicht endete, als ich im September 2017 der Meinung wurde, dass es das neueste Sammelbecken der Nationalkonservativen und Faschisten ohne Facebook nie und nimmer in den Bundestag geschafft hätte. Nebenbei: Der rasante Niedergang der Auflagenzahl des Boulevard-Blatts "Bild" wurde für mich auch erklärbarer, denn dank der sozialen Medien konnte ja nun jeder Tratsch und Unwahrheiten verbreiten.

Wie Millionen anderer Menschen auch sah ich auf der Straße etwas skurriles oder lustiges, fotografierte es, um es sogleich auf Facebook zu zeigen. Eine seltsame Begebenheit, Impressionen eines Spaziergangs, der Besuch eines Konzerts oder Festivals – ab damit auf Facebook. Ungehemmt kam ich meinem exhibitionistischen Drang nach und malte stetig an einem Bild, das andere von mir haben sollten. Ähnliches versuchte ich vor zehn Jahren auf Twitter, aber im Vergleich zu Facebook erschien mir die Plattform flirrender, nervöser, noch mehr Aufmerksamkeit erheischender und noch weniger durchschaubar als Facebook. Ähnlich erging es mir mit Instagram.

Einen wichtigen Anstoß dazu, Facebook endgültig zu verlassen, lieferte mir das nun wiederaufgelegte Buch "Aspekte des neuen Rechtsradikalismus" von Theodor W. Adorno, das auch an dieser Stelle thematisiert wurde. Propaganda als die Substanz der Sache selbst für Politiker, die keine Theorie und kein Konzept haben, machte Adorno bei der NPD so wie bei der NSDAP aus. Eine Plattform wie Facebook erscheint gut fünfzig Jahre nach Adornos Vortrag ideal dafür, braunen Rotz als die "Substanz der Sache selbst" in die Welt zu schleudern; halb- bis unwahres Wutgestammel ohne jeden Respekt vor der deutschen Rechtschreibung. Schließlich sitzt Facebook in den USA und hat daher eine weitläufigere Auffassung als wir davon, wie weit die Meinungsfreiheit reicht.

"Wir sollten die Kneipe nicht den Nazis überlassen", schrieb mir ein Freund, nachdem er mich nicht mehr auf Facebook gefunden hatte und ich ihm den Schritt unter anderem mit dem Vergleich begründete, dass ich ja auch nicht in Kneipen ginge, in denen Nazis gröhlen. Damit befand der Freund sich wohl argumentativ in den Fußabdrücken Adornos, der in jenem Vortrag meinte, die Propaganda der Rechtsradikalen dürfe nicht totgeschwiegen oder ignoriert werden.

Das tut die Bundesregierung nicht, und zwar auf ihre Art. Gegen Hassreden und Persönlichkeitsverletzungen in sozialen Netzwerken, mit denen sich Pegida und Konsorten besonders hervortun, dachte sie sich das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus. Justizministerin Christine Lambrecht setzt nun noch einen oben drauf und plant in ihrem Gesetz "zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität" eine Pflicht für WhatsApp, Gmail, Facebook, Tinder & Co., Sicherheitsbehörden auf Anfrage sensible Daten von Verdächtigen wie Passwörter oder IP-Adressen auch ohne Richterbeschluss herauszugeben. Da darf dann sogar die ganz rechte Bundestagsabgeordnete Joana Cotar wettern, die Bundesregierung wolle einen Überwachungsstaat nach chinesischem Muster etablieren und das offene Internet sowie die freie Meinungsäußerung endgültig beerdigen.

Und was tut Facebook? Lässt Faktenprüfer Fakten prüfen und hat nun in den USA ein Projekt begonnen, in dem "community reviewers" zunächst von lernenden Maschinen aufgespürte potenzielle Fehlinformationen nachprüfen und ihr vorläufiges Urteil den eigentlichen Faktenprüfern vorlegen. Will sagen: Facebook lässt googeln.