Online-Therapie soll InternetsĂĽchtigen beim Ausstieg helfen

Ein Therapieangebot fĂĽr Internet- und ComputerspielsĂĽchtige will diese dort abholen, wo sie unterwegs sind: im Internet. Das LWL-Projekt zeigte zuletzt Erfolge.

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Ein Gaming-Headset liegt auf einer Laptop-Tastatur

Betroffene mit Internet- und Computerspielsucht sollen durch ein Projekt direkter Hilfe bekommen können.

(Bild: Ninma / Shutterstock.com)

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Ein Interventionsangebot gegen Internetsucht und Computerspielabhängigkeit will Betroffene genau da abholen, wo sie unterwegs sind: online. Ende 2025 soll das seit fünf Jahren erprobte Projekt OMPRIS – Onlinebasiertes Motivationsprogramm zur Förderung der Veränderungsmotivation bei Menschen mit Computerspielabhängigkeit und Internetsucht – in der Regelversorgung ankommen und verstetigt werden. Das empfiehlt der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA). Dieses Organ der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen besteht unter anderem aus Mitgliedern von Krankenkassen, Krankenhäusern und Ärzteschaft und entscheidet unter anderem darüber, welche Leistungen die gesetzlichen Krankenversicherungen übernehmen.

Mit OMPRIS sollen Betroffene möglichst niedrigschwellig und schnell zugänglich ein Therapieangebot bekommen – direkt vor dem Bildschirm. Geleitet wird das Projekt von Dr. Jan Dieris-Hirche, Oberarzt und Leiter der Medienambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinikums Bochum im Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Die LWL-Klinik ist auf telemedizinische Online-Beratungsprogramme spezialisiert. Dieris-Hirche ist erfreut über die Fortsetzung des Projekts und die Umsetzung beim LWL. "Wir wollen damit künftig sicherstellen, dass Menschen mit einem problematischen Internetgebrauch schnell und wohnortnah eine geeignete Therapie erhalten, damit sie nicht noch weiter in die Anonymität und Isolation des Internets verschwinden."

Bundesweit hatten in der Testphase 3007 Personen eine Selbsteinschätzung abgegeben, um eine etwaige Internet- oder Computerspielsucht zu erfassen. Jede fünfte Person wies laut einem Bericht des Projekts ein pathologisches Nutzungsverhalten auf. Nach einer weiteren Screeningphase wurden 180 Personen in eine Interventions- und eine Wartekontrollgruppe eingeordnet. Über vier Wochen nahmen die Betroffenen zweimal wöchentlich an einer online stattfindenden Einzeltherapiesitzung teil. Außerdem fanden bis zu drei Sozialberatungen statt.

Die Teilnehmenden bekamen Input durch verhaltens- und suchttherapeutische Inhalte, Tipps zur Alltagsstrukturierung und erfuhren ressourcenfördernde und medienpädagogische Inhalte. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hätten die Studienteilnehmenden schon nach den vier Wochen ein geringeres Suchtverhalten aufgewiesen, heißt es im Bericht. Das habe auch sechs Wochen nach der Intervention und sechs Monate nach der Gruppeneinteilung angehalten. Bei letzterer Nachbeobachtung erreichte das Team allerdings nur 20 Prozent der Gruppenmitglieder. Die Betroffenen waren wöchentlich 14,7 Stunden weniger im Internet unterwegs. In der Kontrollgruppe waren es 4,2 Stunden. Das Projekt habe den Teilnehmenden geholfen, eine höhere Lebenszufriedenheit, Selbstwirksamkeit und Änderungsmotivation zu entwickeln. Außerdem hätten sich psychische Belastungen durch Depressivität oder Ängstlichkeit verringert.

Das Unterstützungsangebot für internet- oder computerspielsüchtige Menschen ist den Forschenden zufolge nach wie vor lückenhaft. Betroffene bekommen oft erst spät Hilfe und rutschen dadurch in einen chronischen Krankheitsverlauf, schreiben sie. Dadurch steckten viele Betroffene schon in sozialen Funktionsdefiziten, etwa dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren, das Studium oder die Ausbildung abbrechen, verwahrlosen oder sozial isoliert sind.

In einer psychotherapeutischen Behandlung würden oft vor allem psychische Erscheinungen behandelt, die mit der Sucht einhergehen, wie Depressionen, ADHS oder Angststörungen. Die Internetsucht selbst bleibe oft unzureichend behandelt, da es an störungsorientierten Therapieansätzen fehle. "Zudem wird vor allem der schädliche Gebrauch des Internets, aber auch die Internetnutzungsstörung gesellschaftlich und therapeutisch immer noch verharmlost", heißt es in dem Bericht.

Die Forschungsdiagnose "Internet Gaming Disorder" taucht seit 2013 erstmals im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen DSM-5 auf (American Psychiatric Association). Die Diagnose einer Gaming Disorder nahm die World Health Organization (WHO) 2019 als Verhaltenssucht auf (ICD-11). Der Begriff Internetnutzungsstörungen (INS) fasst verschiedene Arten einer pathologischen Nutzung von Internetinhalten zusammen. Dazu gehören etwa Online-Pornografie, Soziale Netzwerke oder Online-Shopping. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF) erarbeitet derzeit eine Leitlinie für die Behandlung von INS-Betroffenen.

Ein bereits laufendes Programm, das eine ähnliche Herangehensweise hat, ist "Das andere Leben", das zur Präventionskampagne "Ins Netz gehen" der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) gehört.

(are)