Popkomm: Albträume europäischer Verwertungsgesellschaften

Das kartellrechtliche Vorgehen der EU-Kommission gegen die Rechteverwerter hat diese laut einem Sprecher der European Composer & Songwriter Alliance in ein "Klima der Angst" versetzt und "tektonische Reibungen" verschlimmert.

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Das kartellrechtliche Vorgehen der EU-Kommission gegen den weltweiten Dachverband der Verwertungsgesellschaften CISAC (International Confederation of Societies of Authors and Composers) hat die europäischen Rechteverwerter in ein "Klima der Angst" versetzt. Dies erklärte David Ferguson, Sprecher der CISAC-Unterabteilung ECSA (European Composer & Songwriter Alliance) am Mittwoch auf der Popkomm in Berlin. Bislang seien durch die Entscheidung aus Brüssel vor allem die "tektonischen Reibungen" zwischen den Verwertungsgesellschaften, die entsprechend des Territorialprinzips des Urheberrechts noch überwiegend national aufgestellt seien, verschlimmert. Trotzdem ist Ferguson der Ansicht, dass die Vertreter von Autoren und Komponisten "gemeinsam mit der EU die Herausforderungen schultern sollten". Sonst drohe der kreativen Gemeinde ein Schaden noch nie erreichten Ausmaßes.

Die Kommission untersagte im Juli Verwertungsgesellschaften, regionale Beschränkungen in Gegenseitigkeitsverträge aufzunehmen. Gegen die Auflage will die CISAC Widerspruch beim Europäischen Gerichtshof einlegen. Brüssel habe die "Büchse der Pandora" geöffnet, wetterte auch Bernard Miyet, Geschäftsführer der französischen Verwertungsgesellschaft SACEM gegen die Entscheidung. Insgesamt sei das Vorgehen der Kommission nicht transparent, richtungslos und habe bislang keine greifbaren Resultate gebracht. Auch die Nutzer und Lizenznehmer seien unzufrieden. So habe ihm Apple-Chef Steve Jobs gesteckt, dass er im Interesse von iTunes zwar gegen das Territorialsystem gewesen sei. Doch jetzt seien die Möglichkeiten zum Rechteerwerb noch vertrackter geworden. Die von der Kommission geforderten paneuropäischen Lizenzen bezeichnete Miyet als nicht den Marktbedürfnissen entsprechend. Webcaster etwa bräuchten weltweite Regelungen. Gefordert seien daher nun "klare Absprachen" zwischen Verwertern, Nutzern und Brüssel.

Pascal Oberndörfer von O2 monierte, dass die Lizenznehmer nach wie vor mit zu vielen Verwertern verhandeln müssten. Mit immer weiteren Aufteilungen von Rechten würden die Administrations- und Bürokratiekosten für alle Seiten steigen, dabei gehe es im Mobilfunk um ein "Micropayment-Geschäft", also zunächst einmal um Peanuts. Für den Netzbetreiberabgesandten führt daher langfristig kein Weg daran vorbei, dass Brüssel über ein Grünbuch und Konsultationen eine Richtlinie unter Mitwirkung des EU-Parlaments zur künftigen Rechteverwaltung in der Union in Angriff nimmt.

Auch in der Sicht von Jörg Evers von der GEMA hat die Kommission bislang nur "Chaos" geschaffen. Es solle offenbar eine Abwärtsspirale nicht nur bei den Verwaltungskosten, sondern auch bei den Lizenzgebühren in Gang gebracht werden. Dies hätte auch Auswirkungen auf die kulturellen und sozialen Leistungen, zu denen sich die deutsche Musikverwertungsgesellschaft im Vergleich etwa zu britischen Pendants verpflichtet habe. Die im EU-Parlament wiederholt laut gewordene Sorge um die kulturelle Vielfalt Europas sei daher berechtigt.

Cees van Rij von der niederländischen, vergleichsweise kleinen Verwertungsgesellschaft Buma/Stemra erhofft sich von der Brüsseler Entscheidung dagegen mehr Wettbewerb. Die jetzt unter anderem von der GEMA oder der SACEM angebotenen paneuropäischen Lizenzen seien nach wie vor "exklusive Deals" ohne Beteiligungsmöglichkeiten für Verwerter mit weniger umfassenden Repertoire. Er forderte weitgehende Kooperationen zwischen den Gesellschaften bis hin zum gemeinsamen Betrieb von Computer- und Netzinfrastrukturen, da momentan "70 Prozent" der Aktivitäten der Organisationen "die gleichen" seien und eingespart werden könnten. Zugleich berichtete er, dass die Niederländer gegen die Gerichtsverfügungen ihrer Kollegen aus Deutschland und Großbritannien gegen eine EU-Lizenz für das Repertoire eines US-Musikanbieters Widerspruch eingelegt hätten.

Mit dem größten Optimismus blickte Jane Cyball, Rechtexpertin des Labels Warner/Chappell Music, in die Zukunft. Ein Testballon für die Rechtevergabe für ein Album ganz ohne Verwertungsgesellschaften sei erfolgreich gelaufen und habe Geld eingespielt, führte die Juristin aus. Man würde solche Experimente aber letztlich mit den Autorenvertretern durchführen und die eigenen Rechte dann für jede Organisation verfügbar machen, die gewisse Standards einhalte. Auch sie bedauerte aber, dass die Kommissionsentscheidung bereits laufende Diskussionen der Verwerter etwa über die Einrichtung globaler Datenbanken zur Rechtevergabe durchkreuzt habe. Derzeit fürchte sich jede Gesellschaft, ihre Karten auf den Tisch zu legen. Insgesamt kämen die Dinge rund um übergreifende Lizenzen aber langsam in Bewegung.

Zur Popkomm und zur Situation der Musikbranche in der digitalen Welt siehe auch:

(Stefan Kremp) / (jk)