Preisbremse für Gas und Strom soll auch Abkassierbremse bekommen

Bei den hohen Energiekosten sind für Bürger und Betriebe Abfederungen in Sicht – aber nur bei einem Teil des Verbrauchs. Abzocke soll verhindert werden.

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Banknoten neben den Feldern eines Gasherds

(Bild: Sergey Neanderthalec/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Meyer
  • dpa
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Die Gas- und Strompreisbremse soll Millionen Kundinnen und Kunden im neuen Jahr dringend benötigte Entlastung bringen – doch sie ist ein Kriseninstrument, das auch ausgenutzt werden kann. Die Bundesregierung will verhindern, dass Energieversorger im Schatten der Staatshilfe mit überzogenen Tarifsprüngen Kasse machen. Dazu sollen Preisanhebungen bis Ende 2023 unterbunden werden, die sich nicht durch höhere Beschaffungskosten rechtfertigen lassen. Aus der Opposition kommen Forderungen nach noch schärferen Kontrollmaßnahmen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte am Sonntag: "Erst mal gehe ich davon aus, dass alle natürlich sich ans Gesetz halten und in der Notsituation, in der wir uns befinden, nur die wirklich notwendigen Preise an die Verbraucherinnen und die Verbraucher weitergeben." Falls aber überlegt werden sollte, da "eine Grauzone auszutesten", sei die vorgesehene Missbrauchsklausel im Gesetz aber sicherlich "ein deutliches Instrument", dagegen vorzugehen.

Greifen sollen die Preisbremsen ab März, vorgesehen ist auch schon eine rückwirkende Entlastung ab Januar. Um Missbrauch einen Riegel vorzuschieben, sollen den Entwürfen zufolge im gesamten Jahr 2023 Preisanhebungen verboten sein – es sei denn, Versorger weisen nach, "dass die Erhöhung sachlich gerechtfertigt ist", etwa wegen "marktbasierter Preis- und Kostenentwicklungen". Es sei also nicht jede Erhöhung automatisch illegal, erläuterte das Ministerium – sondern Anhebungen, die "missbräuchlich und ungerechtfertigt" sind.

Hintergrund ist, dass die Preisbremsen nur einen Teil des Verbrauchs erfassen sollen. Für private Haushalte soll eine Grundmenge von 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs staatlich subventioniert werden – gedeckelt auf 12 Cent pro Kilowattstunde für Gas und 40 Cent bei Strom. Darüber hinaus gelten weiter aktuelle, hohe Marktpreise. Daher sollen "Verhaltensspielräume auf Anbieterseite" eingegrenzt werden, wie es in den Entwürfen heißt. Sprich: Dass Versorger Preise stärker in die Höhe treiben, weil der Staat sie ja ohnehin herunterdrückt. Die Kunden bekämen das im "ungebremsten" Verbrauchsteil zu spüren.

Dabei flattern in vielen Haushalte schon Schreiben von Anbietern mit Tariferhöhungen für 2023 herein. Das habe es häufiger zum Jahresende gegeben, erläuterte ein Ministeriumssprecher. Grund seien gesetzliche Fristen: Wenn Preisanhebungen zu Anfang Januar kommen sollen, müssten sie vier bis sechs Wochen vorher angekündigt werden. Sie würden nun auch schon direkt von den geplanten Bremsenregeln erfasst: Was die Höhe angehe, könnten tatsächliche Beschaffungskosten weitergegeben werden, nicht aber darüber hinausgehende missbräuchlich Steigerungen.

Eine Welle mit teils deutlichen Erhöhungen zum Jahresbeginn zeichnet sich bereits ab, wie Vergleichsportale und Verbraucherschützer beobachten. Dabei fallen Preisaufschläge regional unterschiedlich hoch aus. Die Chefin des Bundes der Energieverbraucher, Leonora Holling, sagte der "Bild"-Zeitung (Samstag) grundsätzlich: "Wir raten Verbrauchern, Widerspruch einzulegen." Die geplanten Erhöhungen stünden nicht im Verhältnis zur Preisentwicklung an der Börse.

Die Linke im Bundestag forderte schärfere Kontrollen mit "Klauen und Zähnen". Fraktionschef Dietmar Bartsch sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Sonntag): "Jeden neuen Tarif für 2023 muss der Bund bei Strom und Gas genehmigen." Es dürfe nicht sein, dass die Preisbremsen zu einer Einladung zum Abkassieren für Versorger und ein Fass ohne Boden für die Steuerzahler würden. Dass ein Versorger den Preis auf 53 Cent je Kilowattstunde anhebe und ein anderer auf 66 Cent, sei nur mit einer "aktuellen Mitnahmementalität" einiger Anbieter erklärbar.

CDU-Bundesvize Andreas Jung sagte dem Tagesspiegel, die Bremsen sollten Bürgern und Betrieben durch die Krise helfen, "nicht aber Bilanzen von Versorgern aufbessern". Konkret zielt das von der Regierung geplante Missbrauchsverbot auf die Arbeitspreise – also die Cent pro Kilowattstunde je nach Verbrauch. "Der Arbeitspreis multipliziert mit Ihrem Jahresverbrauch wird zum Grundpreis addiert und ergibt so Ihren Abrechnungsbetrag auf der Jahresrechnung", heißt es in einer grundsätzlichen Erläuterung der Bundesnetzagentur.

Habeck verwies auch auf ein geplantes "schärferes Schwert, als wir es sonst kennen", bei möglichen Verfahren vor dem Bundeskartellamt: Laut den Gesetzentwürfen muss nicht das Amt beweisen, dass ein Missbrauch vorliegt – sondern die Unternehmen müssten belegen, dass dies nicht der Fall ist. Das Kartellamt soll Versorger auch verpflichten können, missbräuchliches Handeln abzustellen oder Geldsanktionen zu zahlen.

Die Energiebranche unterstützt ein Missbrauchsverbot. "Es darf nicht passieren, dass einzelne Unternehmen die Krise ausnutzen", sagte die Chefin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft, Kerstin Andreae. Angemessene Anpassungen müssten aber weiterhin möglich sein, wozu man in den Entwürfen auch keinen Widerspruch sehe. Denn extreme Preisanstiege im Großhandel in den vergangenen Monaten stellten die Versorger vor enorme Herausforderungen. Sie müssten in der Lage sein, stark gestiegene Beschaffungskosten an die Kunden weiterzugeben. Der Wettbewerb zwischen den Versorgern sei aber hoch. "Kein Unternehmen kann es sich leisten, die Preise stärker als notwendig zu erhöhen."

(mho)