Strommarkt erklärt: Preisbildung, Preiskrise und die "Strompreisbremse"

Wie bilden sich die Preise an den Strommärkten, wie kommt es zum aktuell sehr hohen Preisniveau und worum geht es bei der "Strompreisbremse"?

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 84 Kommentare lesen
Electricity,Costs:,Person,Checking,Electricity,Bills,With,A,Light,Bulb

(Bild: Fernando Avendano/Shutterstock.com)

Lesezeit: 29 Min.
Von
  • Martin Kittel
  • Alexander Roth
  • Dr. Wolf-Peter Schill
Inhaltsverzeichnis

Seit Herbst 2021 sind die Strompreise in Europa sehr stark gestiegen. Dies führte sowohl in Deutschland als auch auf der europäischen Ebene zu intensiven politischen Debatten über die Notwendigkeit von Eingriffen in den Strommarkt. Aktuell wird insbesondere die Entlastung von Stromverbrauchern unter dem etwas unscharfen Begriff der "Strompreisbremse" diskutiert, aber teils auch das Marktdesign an sich in Frage gestellt. Dabei gibt es in der Öffentlichkeit und manchen Medien offenbar teils unklare Vorstellungen darüber, wie die Preisbildung an den Strommärkten grundsätzlich funktioniert und wie es zu dem aktuell sehr hohen Preisniveau kommt.

Ziel dieses Beitrags ist es, Hintergrundwissen zu diesen Zusammenhängen bereitzustellen. Zudem wird die Funktionsweise der vorgeschlagenen "Strompreisbremse" erläutert und diskutiert, welche Kriterien bei ihrer Ausgestaltung zu beachten sind; dabei liegt der Fokus auf der Wirkung für Haushalts-Stromkund:innen.

In Deutschland wird Strom auf regulierten Märkten gehandelt. Dabei gibt nicht den "einen" Strommarkt, sondern verschiedene Märkte mit verschiedenen Preisen. Zentral ist die Unterscheidung zwischen dem Großhandelsmarkt und Einzelhandelsmärkten (Bundesnetzagentur (2022): Monitoringbericht 2021). Im Großhandel interagieren Stromerzeuger mit Stromhändlern und großen industriellen Verbrauchern; im Einzelhandel werden insbesondere Haushalte mit Strom beliefert.

Der Großhandel lässt sich in verschiedene Segmente mit verschiedenen Preisen und Zeithorizonten unterteilen. Am Spotmarkt werden Strommengen mit sehr zeitnahem Liefertermin gehandelt, entweder über standardisierte Stromprodukte an der Börse, oder mit außerbörslichen "Over-the-counter" (OTC)-Geschäften. Der OTC-Handel wird direkt zwischen Marktteilnehmern abgewickelt, wobei sich die Preise an denen der Börse orientieren.

Der für die Preisfindung wichtigste Markt ist die mit den Nachbarländern gekoppelte "Day-Ahead-Auktion" an der Börse, bei der Händler ihre Erzeugungs- und Nachfragegebote für verschiedene Stunden des kommenden Tags einreichen können. Zum Spotmarkt gehört auch der volumenmäßig kleinere "Intra-Day"-Markt, an dem Strommengen für die Lieferung am selben Tag kurzfristig gehandelt werden. Darüber hinaus gibt es Terminmärkte, über die Strom mehrere Jahre im Voraus gehandelt werden kann. Termingeschäfte sind besonders relevant für die langfristige Absicherung von Preisschwankungen und können ebenfalls an der Börse oder OTC abgeschlossen werden.

Zudem gibt es zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit weitere Märkte und Mechanismen, die für eine kurz- bzw. längerfristige Bereitstellung von Stromerzeugungs- oder -abnahmeleistung sorgen (vgl. folgende Einrückung zum Unterschied von Energie und Leistung). Zum einen gibt es die Regelreserve, die die Vorhaltung von Leistung organisiert, die zur kurzfristigen Stabilisierung des Netzes im Bedarfsfall aktiviert werden kann. Darüber hinaus werden in Deutschland mittlerweile verschiedene Arten von Kapazitätsreserven (etwa die Netzreserve) vorgehalten für den Fall, dass die Nachfrage aufgrund systemweit oder regional zu geringer Erzeugungskapazitäten nicht gedeckt werden kann.


Auf dem Großhandelsmarkt wird mit Strommengen gehandelt, d.h. mit elektrischer Energie. Dies ist nicht das Gleiche wie elektrische Leistung bzw. Kapazität. Was ist der Unterschied zwischen Energie und Leistung? Eine Strommenge ist die elektrische Arbeit, die in elektrischen Geräten oder Anlagen erbracht bzw. in andere Energieformen umgewandelt werden kann. Eine für Endverbraucher:innen in Haushalten übliche Einheit für elektrische Arbeit ist die Kilowattstunde (kWh). Die Leistung bezeichnet dagegen die Rate, mit der elektrische Arbeit pro Zeiteinheit verrichtet werden kann. Eine im Haushalt gebräuchliche Einheit für die elektrische Leistung ist das Kilowatt (kW).

Beispielsweise benötigt eine Waschmaschine eine gewisse Strommenge für das Erwärmen des Wassers auf die Waschtemperatur. Zudem verrichtet sie elektrische Arbeit, indem sie für den Betrieb der Waschtrommel elektrische Energie in mechanische Energie umwandelt. Wenn die Maschine für einen Waschgang, der eine Stunde dauert, eine Strommenge von einer Kilowattstunde benötigt, hat sie während des Waschgangs im Mittel eine elektrische Leistungsaufnahme von einem Kilowatt.


Im Einzelhandel lassen sich mindestens zwei Segmente unterscheiden. Einerseits gibt es die "nicht leistungsgemessenen" Haushalts- und Gewerbekunden. Sie haben Strompreise, die nicht von der Tageszeit oder der aktuellen Leistungsaufnahme abhängen und bezahlen Strom somit im Wesentlichen auf Basis ihres jährlichen Verbrauchs. Andererseits gibt es die "leistungsgemessenen" Großverbraucherkunden, bei denen nicht nur der tatsächliche Verbrauch, sondern kontinuierlich auch die (Durchschnitts-)Leistung mit einem Zähler gemessen wird. Diese können somit flexible Stromtarife haben.

Dr. Wolf-Peter Schill

Dr. Wolf-Peter Schill ist stellvertretender Leiter der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin und leitet den Forschungsbereich "Transformation der Energiewirtschaft". Seine Forschungsschwerpunkte sind die quelloffene Stromsektormodellierung und die Integration erneuerbarer Energien durch Energiespeicher und die Sektorenkopplung. Er publiziert regelmäßig in einschlägigen internationalen Fachjournals. Zuletzt war er Mitglied der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität, der ESYS-Arbeitsgruppe Wasserstoffwirtschaft 2030 und des Leibniz-Forschungsverbunds Energiewende.

Martin Kittel

Martin Kittel ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin und Doktorand im DIW Berlin Graduate Center sowie an der TU Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte konzentrieren sich auf die modellbasierte Analyse der Dekarbonisierung der europäischen Strommärkte und Flexibilitätsoptionen zur Integration fluktuierender erneuerbarer Energien.

Alexander Roth

Alexander Roth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am DIW Berlin und Doktorand im DIW Berlin Graduate Center. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Dekarbonisierung des europäischen Energiesystems, die Integration erneuerbarer Energien in Strommärkte, sowie die Analyse externer Effekte von Energieinfrastrukturen.