Prozess um Darkweb-Forum: Plädoyers drehen sich um Mitschuld am Anschlag

Seite 2: Den Waffenhandel ermöglicht

Inhaltsverzeichnis

Und antwortet: "Der Beitrag des Angeklagten lag in der Wiederanschaltung des Forums und damit die erneute Aktivierung der Waffenrubrik." Alexander U. habe erkannt, dass man sich auf seiner Plattform illegal eine Waffe beschaffen konnte. Spätestens nach den Pariser Anschlägen habe ihm das bewusst sein müssen, auch, wenn die Pariser Attentäter entgegen vorherigen Gerüchten ihre Waffen wohl nicht aus Darkweb-Kontakten hatten. Alexander U. habe auch erkennen "müssen und können", dass seine Nutzer die über seine Plattform ergatterten Waffen auch zum Töten von Menschen gebrauchen könnten.

Dabei spiele keine Rolle, dass U. die Tat von München "nicht mehr beherrschen" konnte. Er sei durch die Ereignisse in Paris vorgewarnt gewesen und "hätte die Möglichkeit gehabt, den Anschlag in München zu verhindern. Stattdessen führte er Händler und Käufer zusammen".

Was den Münchner Anschlag betrifft habe Alexander U. sich darum wegen fahrlässiger Tötung in neun Fällen und fahrlässiger Körperverletzung in fünf Fällen strafbar gemacht. Das ist in der Tat juristisches Neuland. Sollte das Gericht dem folgen, dann müssten Plattformbetreiber unter vergleichbaren Umständen auch für Taten haften, die nicht unmittelbar an den von ihnen ermöglichten Kontakten hängen. Sie müssen auch nicht wissen, was ihre User da im einzelnen so tun.

Aus Sicht des Staatsanwalts liege es "nicht außerhalb der Lebenserfahrung, dass Waffen aus dem Darkweb zum Töten oder Verletzen benützt" werden. Genau darum handele es sich hier nicht um eine "Verkettung, sondern um eine direkte Unterstützung des Angeklagten". Die Grenze zum bedingten Gehilfenvorsatz sei zwar "nicht überschritten, aber er kam nahe dran". Das heißt: Es habe nicht viel gefehlt und Alexander U. hätte sich wegen Beihilfe zum Mord verantworten müssen und nicht nur für fahrlässige Tötung.

Einmal angekommen bei dieser rechtlichen Konstruktion ist der Rest vergleichsweise unspektakulär. Zu Lasten des Angeklagten müssten die "erheblichen Folgen" der von ihm fahrlässig mitverursachten Tat berücksichtigt werden. Die Opfer hätten keine Chance zur Gegenwehr gehabt. Es seien meist junge Menschen gewesen. Er habe "keine Schutzvorkehrungen getroffen, um eine solche Auswirkung zu vermeiden".

Damit bleibe er an dieser Stelle sogar hinter dem Treiben des Waffendealers "Rico" zurück. Der habe sich persönlich mit dem späteren Attentäter getroffen und "immerhin versucht, sich ein Bild von dem zu verschaffen, dem er eine Waffe verkaufte – wenn auch vergeblich".

Sein Forum habe U. unter das Motto gestellt: "Keine Kontrolle alles erlaubt." Er habe damit also "ein Stück Anarchie geschaffen, einen Bereich, in dem keine Gesetze gelten". Ergo: "Er muss dann auch für die Taten aus der Anarchie haften". Als Teilstrafe für den Münchner Anschlag beantragt Staatsanwalt Wedekind darum vier Jahre und zehn Monate Gefängnis.

Der Rest seines Strafantrags folgt aus den Drogendeals, die der Angeklagte auf seinem Forum ermöglicht habe. Die sortiert der Staatsanwalt zu 30 Fällen zusammen. Sie umfassen das ganze Spektrum mit Cannabis, Pilzen, LSD, Amphetaminen bis zu Kokain und Heroin und unterschiedlichen Mengen vom persönlichen Bedarf bis zu gewerblichen Handelsmengen.

Die von Alexander U. installierte automatisierte Treuhand-Funktion spielt im Anklageplädoyer kaum eine Rolle. Staatsanwalt Wedekind erwähnt sie nur einmal und stellt fest, sie habe halt zur "Absicherung von Geschäften" beigetragen.

Zugunsten des Angeklagten macht der Staatsanwalt geltend, dass er nicht einschlägig vorbestraft sei und das Verfahren mit seinem Teilgeständnis erleichtert habe. Alexander U. hatte eingeräumt, dass er allein das DiDW-Forum aufgesetzt und administriert habe. Er hatte auch sein Pseudonym "Luckyspax" preisgegeben. Zugute hält ihm der Ankläger auch, dass er das Forum nicht kommerziell betrieben und keine Anteile an Handelserlösen erhalten habe, sondern nur Spenden angenommen. Überdies habe er der Staatskasse von Baden-Württemberg Bitcoin im Wert von knapp 10.000 Euro abgetreten – wohl Geld aus dem Spendenaufkommen.

Die Verteidiger von Alexander U. verzichteten auf einen eigenen Antrag zur Strafzumessung. Allerdings wecken sie erhebliche Zweifel an der Begehbarkeit des "juristischen Neulands" der Staatsanwaltschaft. Anders als von Anklage und Nebenklage angenommen sei "Deutschland im Deep Web" per se keineswegs illegal gewesen. Auch das Tornetz – aka "Darknet" – sei es nicht. Im Darknet seien auch Institutionen wie Wikileaks oder die New York Times präsent.

Das DiDW sei eine Kommunikationsplattform gewesen, sagte Rechtsanwalt Marvin Schroth. Zwar sei auf der auch gehandelt worden, "aber es ist und bleibt vorrangig eine Kommunikationsplattform". Der Anteil der Forenbeiträge mit Geschäftsabsicht sei "verschwindend gering" gewesen. Nur wenige der mehr als 23.000 registrierten User hätten Geschäfte angebahnt. In den im Ganzen rund 528.000 Einträgen in den unterschiedlichen Kategorien sei es in den allerwenigsten um Geschäfte gegangen.

Illegal sei dagegen etwas ganz anderes gewesen: "Der Hacking-Angriff des BKA". Damit meint Schroth die SQL-Injection auf die Datenbank des Forums. Das BKA hatte mit einer solchen Attacke die Aufmerksamkeit von Alexander U. geweckt und ihn dazu gebracht, zu einem geplanten Zeitpunkt mit geöffneter Software vor seinem Computer zu sitzen. Der Plan bestand darin, auf diese Weise Zugriff auf seine Daten zu erlangen und zu verhindern, dass U. durch Abschalten oder Herunterfahren die Verschlüsselung seiner Datenträger aktiviert. Der Plan ging auch auf. Während U. am Rechner saß, rammten GSG-9-Männer seine Wohnungstür auf. Die Fahnder erwischten U. tatsächlich am eingeschalteten Computer.