Psychische Belastungen: Zu viel Druck im Job macht schwer krank
Psychische Krankheiten am Arbeitsplatz nehmen stark zu. Dabei sind Arbeitgeber verpflichtet, für gesunde Arbeitsbedingungen zu sorgen.
Diese Erkenntnis ist für Arbeitgeber beruhigend, für Arbeitnehmer beängstigend: Im vergangenen Jahr war jeder Versicherte bei der AOK durchschnittlich 19,4 Tage krankgeschrieben. Damit ist der Krankenstand wie in den beiden Jahren davor konstant geblieben. Allerdings ist die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in den vergangenen zehn Jahren konstant angestiegen, zwischen 2007 und 2017 um 67,5 Prozent. Dies ist die schlechte Nachricht für die Beschäftigten. Was nun die Unternehmen nachdenklich machen sollte: diese Erkrankungen führen zu langen Ausfallzeiten. Mit 26,1 Fehltagen dauern sie mehr als doppelt so lange wie der Durchschnitt an Fehltagen. Zu diesen Ergebnissen kommt das Wissenschaftliche Institut der AOK in einer repräsentativen Befragung von über 2000 Erwerbstätigen.
In der Befragung wollte das Institut auch wissen, was den Menschen am Arbeitsplatz besonders wichtig ist. "Sichere und gesunde Arbeitsbedingungen sowie das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, sind ihnen wichtiger als ein hohes Einkommen", fasst Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des Instituts zusammen. Sinnerleben im Beruf habe einen hohen Einfluss auf die Gesundheit. Anders ausgedrückt: Wer sich am Arbeitsplatz wohl fühlt, ist weniger krank. "Leider stimmen gerade hier Wunsch und Wirklichkeit oft nicht überein", bedauert Schröder. Nur 70 Prozent der Beschäftigten sagen, dass sich ihr Arbeitgeber ihnen gegenüber loyal verhält. Nahezu allen Befragten ist im Job am wichtigsten, sich am Arbeitsplatz wohl zu fühlen. Jeder Dritte tut das nicht.
"Summe der psychischen Belastungen nimmt zu"
Die einen klagen über zu wenig Zeit für zu viel Arbeit. Andere über ständige Störungen auf vielen Kanälen, etwa E-Mail und Handy. "Die Summe der negativ wirkenden psychischen Belastungen am Arbeitsplatz nimmt zu, weil sich die Arbeit verändert", sagt Professor Dr. Dirk Windemuth, Leiter des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung IAG in Dresden. Einen tatsächlichen Zuwachs an psychischen Erkrankungen durch die Arbeit aber gebe es nicht. Die Zunahmen in den Statistiken der Krankenkassen begründet er mit besserer Diagnostik und der Enttabuisierung des Themas. "Die Menschen trauen sich zu sagen, dass sie psychische Belastungen haben." Das war nicht immer so.
Die starke Verbreitung von Computern, Internet und mobilen Geräten hat zu einer Veränderung der Arbeit geführt. Jeder ist immer und überall erreichbar. Doch der Wandel der Arbeit allein macht noch nicht krank. "Eine psychische Erkrankung entsteht immer in Kombination aus Belastung und persönlicher Voraussetzung", sagt Windemuth. Was vor einer psychischen Erkrankung schützt, ist, die Summe an Belastungen zu senken. Die wirken nämlich nicht additiv, sondern exponentiell. Sich gegenseitig bei der Arbeit unterstützen hilft, für gute Kollegialität sorgen auch und privates aus dem geschäftlichen Alltag heraushalten.
Gefährdungsbeurteilung für alle Beschäftigten
Die Bewahrung vor Belastung ist im Arbeitsschutzgesetz geregelt. Das verpflichtet alle Unternehmen, eine Gefährdungsbeurteilung für alle Beschäftigten zu erstellen, ein Teil davon sind psychische Belastungen. Wie oft das geschehen muss, das steht nicht im Gesetz. "Allgemein gilt, dass die Beurteilung mindestens alle drei Jahre erfolgen sollte, außerdem anlassbezogen, etwa, wenn sich betriebliche Abläufe stark ändern oder der Mitarbeiter eine völlig andere Aufgabe bekommt", weiß der Professor. Ob die Unternehmen ihrer Pflicht nachkommen, kann von der Unfallversicherung überprüft werden. Doch es ist wie mit dem Fahren ohne Führerschein: Wer nicht erwischt wird, kommt ungestraft davon.
Wenn die Beurteilung nun ergibt, dass Mitarbeiter über zu hohe psychische Belastungen klagen, sollte der Arbeitgeber reagieren. "Vorgesetzte und Mitarbeiter sollten sich dann rasch zusammensetzen und über mögliche Lösungen sprechen", rät Windemuth. Eventuell lässt sich das Problem durch eine Änderung der Arbeitsorganisation lösen. Falls nicht, finden Unternehmen Unterstützung bei der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse. Die können qualifizierte Dienstleister empfehlen.
Betriebliches Gesundheitsmanagement
Davon gibt es hunderte in Deutschland. Die einen sind lokal, andere überregional tätig, so etwa die BAD Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik. Ein regionaler Anbieter ist das Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung BGF, eine Tochter der AOK Rheinland und Hamburg und in diesen Gebieten tätig. "Wir bieten ein betriebliches Gesundheitsmanagement an, um arbeitsbedingte Gesundheitsrisiken zu minimieren", sagt Sören Brodersen, Arbeits- und Organisationspsychologe beim BGF. Das führt Mitarbeiterbefragungen durch, berät bei Problemen und bietet Kurse an.
"Wir raten zur Prävention, damit psychische Belastungen erst gar nicht auftreten", erklärt Brodersen. Dazu zählt, dass Erholungspausen eingehalten werden, in denen niemand stören kann: weder Kollegen noch der Chef und auch nicht das Handy. "Wer sich daran hält, erzielt hinterher bessere Arbeitsergebnisse." Mit organisatorischen Maßnahmen schaffe man es den Zeitdruck zu reduzieren. Der ist nach Aussage des Psychologen die häufigste Ursache für psychische Belastungen. "Der Arbeitgeber kann dafür sorgen, dass nach 18 Uhr, an Wochenenden und im Urlaub keine E-Mails zugestellt werden." Solche kleinen Änderungen brächten oft eine große Entlastung. (anw)