Razzia bei "Radio Dreyeckland": OLG Stuttgart lässt Anklage wegen Link zu

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat sich durchgesetzt, die Anklage gegen einen Journalisten vom "Radio Dreyeckland" wurde vom Oberlandesgericht zugelassen.

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Zwei deutsche Polizeiautos

(Bild: Pradeep Thomas Thundiyil/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.

Die Anklage gegen den Verfasser eines Onlineartikels wegen der Verlinkung auf das Archiv der verbotenen Vereinigung "linksunten.indymedia" wird nun doch vor Gericht verhandelt, das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hat ein Hauptverfahren eröffnet. Damit hat das Gericht der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen die gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe entsprochen. Zur Begründung heißt es, es sei "überwiegend wahrscheinlich", dass "linksunten.indymedia" weiter existiere und die verbotene Internetpräsenz fortführen will. Zudem bestehe ein hinreichender Tatverdacht, dass der Angeklagte deren Tätigkeit mit dem werbenden Artikel "willentlich unterstützt" habe. Der sei "mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht von der Pressefreiheit gedeckt".

Mit der Entscheidung aus Stuttgart und der – bislang nur als Pressemitteilung verbreiteten – Begründung nimmt die Angelegenheit jetzt eine neue Wendung. So hatte das Landgericht Karlsruhe die Weigerung, die Anklage anzunehmen, noch damit begründet, dass Links zu setzen zum geschützten Bereich der freien Berichterstattung gehört und Medien für verlinkte Inhalte "nicht ohne Weiteres strafrechtlich belangt werden können". Jetzt hält es das OLG dagegen für "überwiegend wahrscheinlich, dass der Artikel des Angeklagten als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung anzusehen sei und nicht nur als straflose (Sympathie-)Werbung". Dabei wird in dem Artikel vom 30. Juli 2022 lediglich vermeldet, dass ein Ermittlungsverfahren eingestellt wurde.

Für das OLG dagegen steht im Vordergrund des Artikels "der Werbeeffekt für die Vereinigung und die Hinleitung auf deren Internetseite", der Artikel erscheine geradezu als "Verlängerung". Damit unterscheide sich die Meldung "grundlegend von anderen Berichten, die ebenfalls einen Link auf das Archiv enthielten, dazu aber sachlich über das Gesamtgeschehen und die Standpunkte der Kritiker der Verbotsverfügung informierten". Dass die verbotene Website, auf die verlinkt wurde, "niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben" worden sei, wertet das OLG als Hinweis darauf, dass die verantwortliche Vereinigung weiter existiere. Dafür gab es aber zum Beispiel noch im Februar nicht einmal im Bundesinnenministerium einen Hinweis.

Nach Lektüre der Pressemitteilung bleibe unklar, was sich das OLG unter der Löschung einer Website vorstellt, ob es den Unterschied zwischen Domains und Subdomains kenne und ob es wisse, dass es einen Unterschied zwischen Internetadressen und dort auffindbaren Inhalten gibt, fasst Detlef Georgia Schulze in einem Blog der taz ausführlich zusammen. Das alles seien aber wichtige Aspekte, wenn es um die behauptete Wahrscheinlichkeit gehe, ob die verbotene Vereinigung existiert und ein Artikel für sie werben kann. Weiterhin wird dort darauf hingewiesen, das Bundesverwaltungsgericht habe klargestellt, dass gar nicht die Website verboten wurde. Stattdessen wurden die dafür Verantwortlichen zum Verein erklärt, der verboten wurde, und ihm die Betätigung untersagt.

Erschienen war der beanstandete Artikel auf der Website von Radio Dreyeckland, im Januar hat die Polizei deshalb die Geschäftsräume des Radiosenders und auch Privaträume von Angestellten durchsucht. Anfang Mai hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe dann Anklage gegen den Verfasser des Artikels erhoben, war damit aber vor dem Landgericht gescheitert. Der danach angetretene Weg vor das OLG war jetzt erfolgreich, dort sollen die Vorwürfe nun geklärt werden. Dort müsse jetzt abgewogen werden, in welchem Verhältnis die Pressefreiheit zum Strafrecht stehe, heißt es vom Oberlandesgericht. Das Verfahren läuft dort unter dem Aktenzeichen 2 Ws 2/23.

Die Internetplattform "linksunten.indymedia" galt Sicherheitsbehörden als einflussreichstes Medium der linksextremen Szene in Deutschland – und als Forum für gewaltbereite Autonome. Gegen den bei dem Verbotsverfahren angewandten Kniff haben danach mehrere Personen Klage eingereicht, die Existenz des Vereins bestritten sie aber. Deswegen scheiterten sie 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht aus formalen Gründen, denn zur Anfechtung eines solchen Verbots sei "regelmäßig nur die Vereinigung" befugt. Radio Dreyeckland ist der älteste freie Radiosender Deutschlands; er entstand in den 1980er-Jahren aus der Anti-Atomkraft-Bewegung.

(mho)