Reform der Notfallversorgung: Mehr Telemedizin und zentrale Notrufstelle geplant

Auch mit einem digitalen Echtzeitregister und der E-Patientenakte soll die Notfallversorgung effizienter gestaltet werden.

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Hände, die ein Smartphone bedienen, um Hife zu holen

(Bild: Tapati Rinchumrus/Shutterstock.com)

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"Auch die Rettungsdienste brauchen eine Rettung", sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach. Er will die in Deutschland oft überlasteten Rettungsdienste stärken. Die Notfallversorgung dürfe nicht weiter selbst ein Reformnotfall bleiben. Patienten sollen künftig weniger oft die Notaufnahme besuchen, aber Lauterbach zufolge trotzdem besser versorgt werden. Zur Notfallversorgung hatte die Regierungskommission Vorschläge für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung in der "neunten Stellungnahme und Empfehlung der Kommission" vorgestellt.

Gleichzeitig soll die eigentliche Klinikreform angetrieben werden, die durch eine andere Klinikfinanzierung dafür sorgen soll, dass möglichst wenige unter Finanzdruck stehenden Kliniken geschlossen werden. Die Vorschläge sollen nun in Eckpunkte der Regierung einfließen, kündigte Lauterbach an.

Eine Klinik soll für Notfallpatienten demnach in Zukunft nicht immer die erste Anlaufstelle sein. Bereits im Februar hatten die Regierungsberater neue integrierte Leitstellen vorgeschlagen. Lauterbach sieht darin eine Chance, "damit die Notdienste nicht verstopft sind, mit Patienten, die dort gar nicht hingehören". Bessere Vorsorgemedizin. Diese sollen künftig "Gemeinsame Notfallleitstelle" (GNLS) heißen, da der Begriff teilweise bereits "durch gemeinsame Leitstellen von Feuerwehr und Rettungsdienst belegt" ist. Die Leitstellen sollen künftig rund um die Uhr eine allgemeinärztliche und kinderärztliche telemedizinische Beratung einrichten – etwa mittels Videosprechstunde durch verschiedene Fachärzte.

Die Reformen bei Not- und Rettungsdiensten sollen in Zukunft bewirken, dass Patienten, die ins Krankenhaus müssten, auch in das richtige Krankenhaus gebracht würden. Hilfesuchende, die sich im Notfall an den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 oder an den kassenärztlichen Notdienst unter der 116117 wenden, sollen schnell eine Ersteinschätzung bekommen. Anschließend soll entschieden werden, ob ein Rettungswagen gerufen wird oder die Hilfesuchenden etwa zu einer Praxis oder in eine Klinik vermittelt werden.

Es gibt 300 eigenständige Rettungsdienstbereiche und über 200 Notfallleitstellen in Deutschland. "Es gibt eine unübersichtliche Gleichzeitigkeit von Unter-, Über- und Fehlversorgung, das kostet inzwischen nicht nur über acht Milliarden Euro im Jahr, sondern schlimmstenfalls sogar Menschenleben", sagte der Grünen-Experte Dahmen der dpa. Die Organisation und Struktur des Rettungsdienstes gleiche einem Flickenteppich.

Bereits vor Monaten warnten Vertreter der Rettungsdienste, dass diese vor einem Kollaps stünden. Die Arbeitsbelastung ist demnach hoch, die Abwanderung von Personal ebenso. Viele im Rettungswagen transportierte Patientinnen und Patienten gehörten eigentlich nicht in die Notaufnahme, sondern etwa zum Hausarzt. Viele wählten die 112 "aus Hilflosigkeit", sagte der ärztliche Leiter der Notaufnahme am Charité Campus Benjamin Franklin, Rajan Somasundaram. Sie wüssten nicht, wen sie sonst erreichen könnten. Die Ausgaben der Krankenkassen für den Rettungsdienst sind dabei 2022 auf eine Rekordsumme von 8,4 Milliarden Euro gestiegen.

Dazu kommt ein "Fehlanreizsystem", wie die Regierungskommission feststellt. Weil das Gesetz nur Anspruch auf Fahrtkosten vorsieht, geht es in aller Regel direkt in die Klinik – "auch dann, wenn eine Vor-Ort-Behandlung möglicherweise ausreichend gewesen wäre". Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sagte: "Oft wäre es medizinisch stattdessen sinnvoller, Notfallpatienten durch spezialisiertes Rettungsdienstpersonal oder per Telemedizin ohne einen Transport ins Krankenhaus zu beraten und zu behandeln." Lauterbach sagte, es solle statt Krankentransporten in die Notaufnahme mehr "Vor-Ort-Versorgung" geben.

Um die Versorgung im Notfall auf dem Land zu erhalten, empfiehlt die Regierungskommission dort einen Ausbau für Landemöglichkeiten für die Luftrettung. So soll laut den Experten in den Schulen und am Arbeitsplatz verpflichtende Ausbildung zur Ersten Hilfe eingeführt werden. "Integrierte Notfallzentren oder medizinische Versorgungszentren mit telemedizinischer Anbindung an ein integriertes Notfallzentrum" sollen laut Regierungskommission an entsprechenden Notfallkrankenhäusern aufgebaut werden.

Nach Möglichkeit soll die Leitstelle die Hilfe telemedizinisch tätiger Ärzte hinzuziehen. Flächendeckend sollen auch Ersthelfer-Apps zum Einsatz kommen: Sind freiwillige Ersthelfer nahe einem Einsatzort, werden sie per App von den Rettungsstellen um Mithilfe gebeten. Flächendeckend sollen zudem öffentlich zugängliche Defibrillatoren zur Wiederbelebung nach Herzstillstand aufgestellt werden.

Für die digitale Vernetzung aller beteiligten Krankenhäuser und medizinischen Zentren empfiehlt die Regierungskommission, dass der Rettungsdienst "technisch einheitlich, digital und umfassend mit den anderen Säulen der Notfallversorgung sowie der elektronischen Patientenakte vernetzt werden, einschließlich telemedizinischer Verknüpfung rund um die Uhr". Zudem wird ein "Notfallversorgungsregister" empfohlen, in dem ein Kerndatensatz unter anderem vom KV-Notdienst, Rettungsdienst und Notaufnahme zusammengeführt werden. Damit solle die regionale Versorgungsqualität und auch die Kosten einheitlicher gestaltet werden. Eine "exzellente Grundlage" biete dafür "die Vereinheitlichung der Dokumentation und die flächendeckende Einführung der elektronischen Patientenakte", so die Regierungskommission.

Regierungskommission: Netzwerk und telemedizinische Verknüpfungen im Rettungswesen

(Bild: BReg)

Mit einem digitalen Echtzeitregister sollen verfügbare Ressourcen und deren Auslastung erfasst und abgefragt werden. Das Register soll beispielsweise mit dem DIVI-Intensivregister verknüpft werden. "Durch eine einheitliche automatisierte und kontinuierliche Datenerfassung aus Präklinik und Klinik durch Kombination mit KI-gestützten Algorithmen" soll eine bessere Steuerung möglich werden, etwa mit dem Projekt Notaufnahmeampel.

Die Kommission schlägt zudem Änderungen bei Gesetzen und Strukturen vor. So soll etwa die Notfallversorgung vor Ort als Teil eines neuen eigenständigen Leistungsanspruchs im Sozialgesetzbuch festgeschrieben werden. Es soll einheitliche Vorgaben und Standards etwa für eine Mindestausstattung mit Personal und Qualifikation geben. Denn bestehende Qualitätsdefizite seien "nicht akzeptabel", wie Lauterbach sagte. Auch die Vergütung soll einheitlicher werden und sich in einen Teil zum Vorhalten und einen für die Leistungen aufteilen. Eine Konzentration soll es bei den Leitstellen geben, sodass auf rund eine Million Einwohner künftig eine Leitstelle kommen soll.

(mack)