Regierungs-Einfluss auf Internet-Namensraum wächst

Am wachsenden Einfluss der Regierungen auf Entscheidungen zum DNS kommen offensichtlich weder ICANN noch Länder-Registries vorbei.

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Von
  • Monika Ermert

Am wachsenden Einfluss der Regierungen auf Entscheidungen zum Internet-Namensraum (DNS) lässt sich offensichtlich nichts mehr ändern. Der Anspruch der Regierungen, Einfluss darauf nehmen zu können, wer für die Registrierung von Adressen innnerhalb einer Länderdomain (Delegation) zuständig ist, und dies im Zweifelsfall auch ändern zu können (Redelegation), wird massiv vorgetragen – und weder die Internet- und Namensraumverwaltung ICANN noch die Länderregistriers kommen daran noch vorbei.

Bei der zweiten Tagung des ICANN-Studienkreises am gestrigen Freitag und heutigen Samstag in Zürich kündigte etwa François Maurer vom der Schweizer Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) für den Sommer eine Verordnung an, in der ein Registry-Registrar-Modell und möglicherweise auch Grundsätze der Registrierungspolitik für die Länderdomain (ccTLD) .ch niedergelegt werden.

Der Vertreter des deutschen Wirtschaftsministeriums, Michael Leibrandt, erklärte bei der Konferenz: "Eine Delegation von .de an die Bundesregierung, die dann ihrerseits das Managment weitervergibt, ist ebenso denkbar wie eine Delegation direkt an das DENIC." Auch eine stärkere Arbeitsteilung bei der Gestaltung der Registrierpolitik zwischen dem DENIC und der Bundesregierung seien möglich: "Vielleicht hält eine Regierung es beispielsweise nicht mehr für opportun, dass Domainnamen wie 'Der-BMW-soundso-fährt-so-schnell.de' registriert werden können." Eine gesetzliche Regelung solcher Fragen hält Leibrandt persönlich allerdings für kaum wahrscheinlich, erklärte er gegenüber heise online. Wahrscheinlicher wäre demnach eine Art Code of Conduct. "Noch ist nichts entschieden", betonte Leibrandt; man habe gerade erst angefangen, diese Fragen zu klären.

Die vom Regierungsbeirat (GAC) der ICANN formulierten Prinzipien für das Verhältnis von ICANN, ccTLDs, und nationalen Regierungen eröffne aber genau diesen Spielraum. Die Regierungen hätten ganz klar die Belange der Gesellschaft insgesamt zu vertreten und nicht nur der Internet-Community. Mit Blick auf das aktuelle Machtverhältnis zwischen ICANN und Regierungen könne man, so sagte Leibrandt in der Diskussion, durchaus einmal die Frage stellen, ob das nicht verkehrte Welt sei: "Vielleicht sollte ja eher ICANN die Regierungen beraten."

Die Länderdomain-Manager waren immerhin ein klein wenig überrascht über solche deutlichen Worte. Sabine Dolderer, Geschäftsführerin der .de-Registrierungsstelle DENIC wollte dann aber doch lieber der ICANN (und den Länder-Registries) eine Chance geben. Sie warnte davor, dass über die ICANN politische Vorgaben der Regierungen – etwa zum Data Escrow – an die Manager der Länderdomains herangetragen werden: "Wir sind durchaus für einen Einfluss der Regierung, und unterliegen ja ohnehin allen deutschen Gesetzen", kommentierte Dolderer. Da das Verhältnis zwischen DENIC und Regierung daher ihrer Meinung klar ist, brauche das DENIC nur einen Vertrag mit ICANN, die die zentralen Root-Server betreibt.

Eine Veränderung des Status Quo hält die DENIC-Chefin für unnötig. Mit Blick auf strengere Registrierungsrichtlinen verweist sie darauf, dass in anderen europäischen Ländern Nutzer im Zweifelsfall in den .com-Bereich auswanderten. "Warum soll man etwas reparieren, das funktioniert", fragte auch Fay Howard vom Council of National Top Level Domain Registries (Centr).

Auch auf Seiten der ICANN weiß man noch immer nicht, wie man das heikle Problem in den Griff bekommen soll. Ein Briefentwurf, mit dem die ICANN alle Regierungen bitten wollte, sich zu ihren ccTLD-Managern zu äußern, ist nun jedenfalls in den Mülleimer gewandert. Mit dem Brief sei niemand so richtig glücklich gewesen, räumte Andrew McLaughlin von der ICANN ein. Erneut steht die ICANN damit vor der Frage, wie sie zu stabilen Vertragsbedingungen mit den Länderdomainmanagern kommen soll, ohne die von Regierungsseite geforderte Mitsprache bei der Delegation und Redelegation zu übergehen.

Einerseits brauche man Signale von den Regierungen, andererseits, so McLaughlin, fürchte man ungerechtfertigte oder nicht den jeweiligen Landesgesetzen entsprechende Redelegationswünsche. Solche hätten allerdings durch den Brief erst ins Rollen gebracht werden können. Stabile Verträge mit den ccTLDs sind, neben Wettbewerb im Namensraum und unter den Registraren, eine der Bedingungen, an die das US-amerikanische Department of Commerce die endgültige Unabhängigkeit der ICANN knüpft.

Die Sonderstellung der US-Regierung, die ICANNs Selbstregulierungsanspruch auch nicht gerade untermauert, stand in Zürich ebenfalls auf der Tagesordnung. Die aus Anlass der Einführung neuer generic Top Level Domains (gTLD) anstehenden Kongressanhörungen machen diese Sonderrolle erneut deutlich. Sie verzögern die Einführung der neuen Top Level Domains noch weiter, große Änderungen erwarten die neuen Anbieter allerdings nicht. Von "Folklore" sprach ICANN-Direktor Hans Kraaijenbrink. "Auch wenn ich eine Überprüfung der Entscheidung durchaus für sinnvoll halte, ein unabhängiges Gremium wäre dafür eigentlich geeigneter", meinte ICANN-Direktor Andy Müller-Maguhn.

Daneben denkt die US-Regierung keinesfalls daran, die Aufsicht über den für das DNS zentralen a-Rootserver in Zukunft völlig abzugeben, wie Studienkreis-Organisator Wolfgang Kleinwächter bemerkte. Der deutsche Regierungsvertreter warnte angesichts dieser Aussage Kleinwächters daher schon, dass es im Falle eines Handelskrieges durchaus möglich sei, dass die USA ein Abschalten der Länderadressbereiche als Druckmittel gegen ihre Kontrahenten einsetzen könnte.

Der Hintergrund für die US-Haltung hinsichtlich des Rootserver sei aber lediglich, dass sie im Falle eines Scheiterns der ICANN wieder die Verantwortung für den Fortbestand des DNS übernehmen könne, erläuterte McLaughlin. Dabei könne durchaus überlegt werden, ob diese Funktion nicht von internationalen Organisationen übernommen werden könne. Selbstregulierung ohne Sicherheitsnetz traut man den "Internetties" heute offenbar nicht mehr zu. Müller-Maguhn will daher quasi zur Sicherheit einen "alternative Root" nicht ganz aus den Augen verlieren. (Monika Ermert) / (jk)