Schlammschlacht um Wordpress – Mitarbeiter fliehen
Der Streit zwischen WordPress-Mitgründer Matt Mullenweg und Hosting-Anbieter WP Engine wird hässlicher: WP Engine klagt, Mullenweg fordert Millionen.
Seit zwei Wochen tobt ein Krieg im WordPress-Ökosystem. In einer neuesten Entwicklung verlassen Mitarbeiter den streitbaren WordPress-Gründer Matt Mullenweg, der die WordPress-Community mit einem Kampf gegen Wordpress-Hoster WP Engine spaltet. Acht Prozent seiner eigenen Belegschaft scheint seine Position nicht zu teilen. Es geht dabei um Forderungen in Millionenhöhe, um Erpressung, um "nukleare Optionen" und ganz groß aufgezogen um die Verteidigung der Zukunft von Open Source gegen profitorientierte Konzernriesen.
So sieht das jedenfalls Mullenweg, einer der Mitgründer und Chefentwickler des weitverbreiteten CMS- und Web-Publishing-Systems WordPress, das als Open-Source-Projekt zurzeit rund zwei Drittel aller bekannten Websites untermauert. Mullenweg selbst ist außerdem Gründer und CEO von Automattic Inc., ein For-Profit-Unternehmen, dem unter anderem Tumblr und die Freemium-Plattform Wordpress.com gehört. Zur Klarheit: WordPress selbst steht unter dem Schirm der WordPress Foundation, ebenfalls von Mullenweg gegründet. Da das Projekt unter der GPL-Lizenz steht, ist die Codebase frei benutzbar, veränderbar und darf zur Erstellung kommerzieller Inhalte eingesetzt werden.
ZerwĂĽrfnis
Matt Mullenwegs erklärter Gegner ist nun seit Mitte September der Hosting-Anbieter WP Engine, der seit einer Dekade Produkte vertreibt, die auf dem freien WordPress basieren. Die Plattform bedient über 150 Millionen Kunden, darunter große Unternehmen. WP steht für WordPress und in der Vergangenheit war WP Engine auch ein gern gesehener Gast bei Community-Veranstaltungen und Teil der Initiative Five for the Future, die große WordPress-Weiterverwerter und -Hoster zur freiwilligen Mitarbeit an WordPress ermuntert. WP Engine ist also eindeutig mit WordPress assoziiert – und steht mit seinem Angebot in Konkurrenz zu Automattic.
Stein des Anstoßes scheint die Übernahme von WP Engine durch den amerikanischen Technologieinvestor Silver Lake zu sein, hinter dem die milliardenschwere Holding-Gesellschaft Mosel Bidco SE steht. In einem Blogeintrag kritisierte Matt Mullenweg Mitte September den Einfluss, den solche profitgetriebenen Gesellschaften auf ein Open-Source-basiertes Projekt hätten: Hier werde genommen, ohne zurückzugeben, und damit höhle man das gesamte System aus, bis nichts mehr davon übrig bleibe.
Silver Lake ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um den schädlichen Einfluss von Venture-Capital auf Softwareunternehmen geht: Die von Silver Lake akquirierte Software AG betreibt zurzeit einen Ausverkauf ihrer Assets; die Entwicklung von Talend, das ebenfalls größtenteils Silver Lake gehört, ist in den letzten Jahren eingeschlafen. Mullenwegs kritischer Blick insbesondere auf Silver Lake wirkt damit gerechtfertigt – wobei er allerdings mehr gegen WP Engine als gegen Silver Lake anzustürmen scheint.
Er kritisierte unter anderem die Praxis von WP Engine, die "Rückgängig"-Funktion aus seinem Angebot gestrichen zu haben, die für das Endprodukt sehr wichtig sei, und verwies auf die geringe Zahl an Arbeitsstunden, die WP Engine in die Codebase investiert. Diese Zeit zeigt Five for Future – sein Unternehmen Automattic befindet sich dabei mit rund 3500 Stunden pro Woche an der Spitze, WP Engine hat nur 45 Stunden für die Entwicklung übrig. Aber auch WP Engine liegt damit noch im oberen Fünftel aller Beitragenden. Ein weiterer Anklagepunkt: das Ausbleiben von Spenden an die WordPress Foundation. Würde man selbst nur einen Dollar spenden, spende man mehr als das millionenschwere WP Engine.
Nukleare Optionen
Mullenweg forderte daher eine Kompensation von WP Engine. Der Hoster setze die Marke WordPress, die eigentlich der WordPress Foundation gehöre, unerlaubterweise zu Werbezwecken ein – was sogar seine eigene Mutter verwirre –, und solle deshalb monatlich einen Teil seiner Einkünfte abtreten, um die Benutzung zu bezahlen. Es geht hier um viel Geld: Mullenweg forderte 8 Prozent der Einkünfte, rund 35 Millionen US-Dollar. Dies sei wahlweise auch als Arbeitskraft durch Mitarbeiter von WP Engine ableistbar, die sich in der bezahlten Zeit voll und ganz der Arbeit an WordPress widmen. Die Zeit, die Mullenweg WP Engine gab, seiner Forderung nachzukommen, war dabei knapp bemessen: Knapp eine Woche später wollte Mullenweg bereits die teure Unterschrift erhalten. Käme WP Engine dem nicht nach, drohte Mullenweg mit einer "nuklearen Option", die bedeutete, beim jährlichen Communitytreffen WordCamp am 20. September eine anklagende Keynote zu halten.
WP Engine spricht diesbezüglich von "Erpressung" und in einer am 2. Oktober gelisteten Klageschrift seitens WP Engine finden sich Screenshots der Kommunikation mit Mullenweg – eine Einordnung als Erpressung ist, Korrektheit vorausgesetzt, nicht aus der Luft gegriffen. Die Unterschrift kam nicht zustande, Mullenweg hielt die nukleare Keynote, die aus zwei Slides bestand: einer Erläuterung des fruchtbaren Open-Source-Systems und einem Porträtbild des Managing Directors von Silver Lake, Lee Wittlinger, zusammen mit einer öffentlichen E-Mail-Adresse.
Recht und Ideal
Hier spaltet sich der zum ausgewachsenen Drama geratene Disput in einen Rechtsstreit über die Marke WordPress und Mullenwegs Aktionismus. Die Klageschrift enthält neben der dokumentierten Kommunikation auch ein weiteres pikantes Detail, und zwar lägen die Rechte an der Marke WordPress gar nicht bei der WordPress Foundation, sondern bei Mullenweg selbst, respektive Automattic. Als WordPress die Marke an die Foundation übergab, übertrug die Foundation sie postwendend und exklusiv an Mullenwegs Unternehmen, weshalb Automattic auch als abmahnende Partei in Bezug auf deren Nutzung auftritt. WP Engine zitiert außerdem eine jahrelange Verwendung der Marke, ohne dass dies abgemahnt worden wäre, und stellt die zentrale Frage: "Warum denn jetzt auf einmal?" Darunter liegt auch die klare Lizenzierung von WordPress als GPLv2, die WP Engine rein rechtlich ihre Geschäftspraxis erlauben sollte.
Mullenweg tat die Klageschrift zuletzt als gegenstandslos ab, womit er es aktuell wohl auf einen Rechtsstreit ankommen lassen wird. Er setzt statt Anwaltsbriefen aber auf die Kraft der Community und seinen eigenen Einfluss. Mit seiner Keynote und seinen Blogbeiträgen, in denen er sich auf den notwendigen Schutz von quelloffener Software beruft, WP Engine unterstellt, seine Unterstützer einzuschüchtern, und versichert, dass er "sicher keinen Suizid begehen werde", holt er das ganz große Besteck aus der Schublade und bringt die Community damit bisher wirkungsvoll gegen Silver Lake und WP Engine auf. Daneben etwas handfester: die Abschaltung der WordPress-Dienste für WP Engine bis zum 1. Oktober. WP Engine dokumentierte die erheblichen Auswirkungen in seinem Incident-Blog, weigerte sich aber weiterhin, zu zahlen.
Spaltung
Aktionen wie diese treffen aber dadurch nun auch die Community selbst, deren Sympathie sich Mullenweg eigentlich sicher war. Zurzeit kursiert aber bereits der Gedanke an einen Fork und Mullenwegs Vorgehen sorgt fĂĽr Verunsicherung: Warum bezieht er sich so stark auf WP Engine, wo sich doch auch zahlreiche andere Anbieter an WordPress bedienen, die Marke verwenden und weniger zum Projekt beitragen?
Dass sein eigenes Unternehmen Automattic der primäre Nutznießer der Kompensation ist, wirft ebenfalls nicht das beste Licht auf den Open-Source-Kämpfer und in Reaktion auf die bevorstehende Spaltung der Community kündigte er am 5. Oktober an, Mitarbeitern seines Unternehmens eine Ausgleichszahlung zu leisten, wenn sie Automattic ob der Kontroverse verlassen wollen. Diesem Angebot folgten nun 159 Angestellte – gut acht Prozent seiner Belegschaft. Die Schlammschlacht wird weiterhin an zwei Fronten geführt werden: Mullenweg wird weitere öffentliche Schläge verteilen und WP Engine wird sich rechtlich verteidigen.
Nicht ein Achtel, also 12,5%, sondern 8,4% der Belegschaft hat Mullenwegs Angebot angenommen. Wir haben die Textstelle korrigiert und auch die Gesamtzahl auf 159 erhöht.
(kki)