SciFi-Serie The Expanse, Staffel 3: Blut, Schweiß und Tränen in Null-G

Seite 2: Knackiger als die Buchvorlage

Inhaltsverzeichnis

Zuschauer ohne Vorkenntnisse werden in der dritten Staffel von The Expanse einfach nur gelungenes Fernsehen vorfinden, das nahtlos an die ersten zwei Staffeln anknüpft. Kenner der Buchserie werden feststellen, mich welchem Können die Produzenten das zweite Buch auf die wesentlichen Action-Szenen und Emotionen eingedampft haben. Ohne die politischen Intrigen der Buchvorlage zu vernachlässigen, wurden hier die Längen geschickt gekürzt und die Action in den Vordergrund gestellt. Der wirkliche Geniestreich allerdings ist, das Geschehen des dritten Buches so auf eine halbe Staffel zusammen zu stauchen, dass dabei zwar Figuren zusammengelegt, stark geändert oder sogar ganz entfernt werden, trotzdem aber nichts Wichtiges verloren geht.

Es ist bewundernswert, wie weit die Macher der Fernsehserie mit ihren sichtbar begrenzten Ressourcen für Sets und Locations kommen. Viel davon wird durch Computer-Effekte wieder wett gemacht, aber ohne radikale Änderungen und ein paar geschickte Mehrfachnutzungen hätte ein Set der Behemoth nach Buchvorlage wohl das Budget eines Hollywood-Blockbusters verschlungen. Um so ein größerer Verdienst aller Beteiligten ist es, dass sich die Staffel am Ende zu einem großen Ganzen zusammenfügt und beiden Büchern gerecht wird.

Das ist am meisten wohl den Schauspielern zu verdanken. Dominique Tipper, Shohreh Aghdashloo, Cara Gee und, in dieser Staffel neu, David Strathairn, überzeugen durchgehend und schaffen es oft, Szenen zu retten, die bei schlechteren Schauspielern auf Grund der komplizierten Dialoge und eingeschränkten Kulissen und Requisiten gnadenlos absaufen würden. Eine Serie, die ihre Skripte auf farblich unterschiedlichem Papier druckt, je nachdem ob sie bei normaler Gravitation oder Null-G spielen, wäre mit schlechterem Casting schon nach der ersten Staffel gescheitert. Das Team hinter The Expanse beweist aber auch in dieser Staffel wieder einen untrüglichen Instinkt für die richtigen Schauspieler in den richtigen Rollen. Und selbst Steven Strait darf nun über sich hinauswachsen, da Holden endlich anfängt, echte Nuancen in seiner Persönlichkeit zu entwickeln. Die Szenen, in denen der Captain halluziniert, spielt Strait geradezu Emmy-reif. Wer Holden in den ersten zwei Staffel für unerträglich hielt, wird sich wahrscheinlich wundern, in welche Richtung die Figur abbiegt, als er wirklich zum sprichwörtlichen Retter der Menschheit wird.

Endlich erfahren wir auch im Detail, was das Protomolekül ist und warum es in unser Sonnensystem gebracht wurde. Mit dem Ende der dritten Staffel steht der Zuschauer zusammen mit Holden, Naomi, Alex und Amos am Beginn einer ganz neuen Reise. Alles bis hierhin wirkt, wie der Vorspann vor dem eigentlichen Film. Wäre The Expanse ein Star-Trek-Streifen, käme nun der Moment, an dem wir zum ersten Mal die Enterprise sehen. Begleitet von der bekannten Bläser-Fanfare und einem verträumten Blick im Gesicht des jeweiligen Captains.

Diese Metapher ist vielleicht auch gar nicht so verkehrt, denn in vielerlei Hinsicht übernimmt The Expanse die Scifi-Fackel von den Star-Trek-Serien der 1990er und anderen Vorreitern wie Babylon 5. Star Trek Discovery mag eine sehr gelungene moderne Serie sein, aber The Expanse ist der eigentliche spirituelle Nachfolger des klassischen Fernseh-Science-Fiction. Alle wichtigen Fragen nach der Bedeutung der Menschheit im Angesicht der unendlichen Weiten des Weltalls werden hier gestellt, nicht bei Discovery.

Was bedeutet es, Krieg zu führen, wenn beide Seiten sich im Recht fühlen? Wie wird der Erstkontakt zu außerirdischen Lebensformen wirklich aussehen? Wie ist das mit Gott vereinbar? Und spielt Liebe und Freundschaft zwischen einzelnen Menschen vor solchen kolossalen Hintergründen überhaupt eine Rolle? Das alles sind Fragen, die The Expanse stellt. Auch wenn die Serie nicht für sich beansprucht, Antworten zu liefern, so ist doch die Tatsache, dass sie sich mit diesen Themen auseinandersetzt, das, was Science Fiction im klassischen Sinne ausmacht. Die Serie stellt aktuelle gesellschaftlichen Fragen, wie sie Star Trek Next Generation in den '90ern gestellt hat, spannt erzählerische Bögen von Babylon-5-Ausmaßen und bringt uns Figuren so nah wie Firefly. Es ist eine Scifi-Serie die im Fernsehen und auf Streaming-Diensten ihres gleichen sucht ...und nicht findet.

Serien wie Discovery sehen gut aus, entwickeln ihre Figuren weiter und sind modern erzählt, aber The Expanse hat all das und darüber hinaus eine gehörige Portion technisch innovativer Ideen. Und sie stellt die politischen, gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Fragen, die uns heute bewegen – auf eine äußerst moderne Weise. Daraus, dass sich hier in jeder Folge gleich mehrere Frauen über eine Menge wichtige Dinge unterhalten, die nichts mit einem Mann zu tun haben, muss diese Serie keinen großen Hehl machen – das ist hier selbstverständlich. Trotz der ganzen Explosionen, Schießereien und den knackigen Dialogen ist The Expanse nämlich nicht einfach irgendeine Action-Serie, die auf einem Raumschiff spielt. The Expanse ist Science Fiction erster Güte.

Wo sonst wäre in Mikrogravitation herumfliegendes Werkzeug die schlimmste Bedrohung, mit der sich unsere Helden in einer Folge auseinandersetzten müssen? Und es gibt auch keine andere Science-Fiction-Serie derzeit, die so ins Detail durchdacht ist, dass selbst die Tränen der Figuren sich realistisch in Null-G verhalten. Star Trek TNG hat Ende der '80er den Grundstein für das iPad und alle darauffolgenden Tablets gelegt. Nun ist es an The Expanse, zu zeigen, wie Smartphone-Benutzeroberflächen in der Zukunft aussehen werden. Es wäre kaum verwunderlich, wenn die Wischgeste, mit denen die Protagonisten Daten vom Bildschirm ihres Handterminals auf ein anderes Display verschieben in ein paar Jahren auch in der Realität genauso Einzug hält.

Kurzum: Wer jetzt nicht The Expanse sieht, verpasst die wohl beste Science-Fiction-Serie der letzten Jahre mit schauspielerischen und technischen Leistungen, die ihres gleichen suchen. Und wen das nicht interessiert, der kommt mit gehörig Action und politischen Intrigen auf seine Kosten. Und nebenbei kommt man noch über wichtige gesellschaftspolitische Fragen ins Grübeln. Was will man als Science-Fiction-Fan mehr?

Staffeln 1 bis 3 von The Expanse sind ab sofort komplett über den Streaming-Dienst Amazon Prime Video verfügbar. The Expanse Staffel 1 und 2 kosten jeweils 14,99 Euro; The Expanse Staffel 3 ist momentan exklusiv Prime-Kunden vorbehalten. Eine vierte Staffel befindet sich in Arbeit. (fab)