Senat vs. "kybernetische Waffe": Pegasus darf in Polen nicht mehr genutzt werden

Ein Ausschuss des polnischen Senats erklärt den Einsatz von Spyware wie Pegasus von der NSO Group durch die Regierung für rechtswidrig und fordert Konsequenzen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
Stuttgart,,Germany,-,07-31-2021:,Cellphone,With,Webpage,Of,Israeli,Technology

(Bild: T. Schneider/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Inhaltsverzeichnis

Nach 18-monatigen Untersuchungen hat eine Sonderkommission des polnischen Senats zur Aufklärung von Fällen illegaler Überwachung, deren Auswirkungen auf den Wahlprozess und die Reform der Geheimdienste am Donnerstag ihren Abschlussbericht beschlossen und veröffentlicht. Die Senatoren beklagen demnach, dass nationale Behörden die von der israelischen NSO Group entwickelte Spähsoftware Pegasus in Polen gegen Personen einsetzten, "gegen die wegen ihrer Beteiligung an der Begehung einer Straftat kein Verfahren anhängig war". Bei den Opfern der Überwachung handle es sich vor allem um Personen, die der politischen Linie der konservativen Regierungspartei PiS "kritisch gegenüberstanden".

Zu den Ausgespähten gehörten dem Bericht zufolge etwa Senator Krzysztof Brejza, Staatsanwältin Ewa Wrzosek, Rechtsanwalt Roman Giertych, einige führende Kommunalpolitiker sowie der Unternehmer Andrzej Długosz. Der Einsatz der Spyware gegen alle von der Kommission angehörten Personen verstoße "in grober Weise" gegen Verfassungsnormen.

Das Gremium kritisiert die Regierung scharf. Der Kauf von Pegasus sei illegal gewesen und habe gegen nationale Anti-Korruptionsbestimmungen und mehrere andere Vorschriften im Zusammenhang mit den öffentlichen Finanzen verstoßen. Das Überwachungsprogramm dürfe nach polnischem Recht gar nicht verwendet werden, da eine Überprüfung und Zertifizierung der IT-Sicherheitsanforderungen im Zusammenhang mit dem Schutz vertraulicher Informationen nicht möglich sei. Die derzeitige Rechtslage in Polen gewährleiste zudem keine wirksame Kontrolle der Geheimdienste.

Der Ausschuss gelangte auf Basis seiner Anhörungen von Betroffenen und Rechtsexperten zum Schluss, dass die Parlamentswahlen 2019 "nicht fair waren und ihren Teilnehmern keine gleichen Chancen boten". Die Abhörpraktiken der Regierung ähnelten "dem Vorgehen russischer Hacker, die im Wahlkampf die USA und europäische Länder angriffen".

Die Kommission hat beschlossen, die Staatsanwaltschaft über die Möglichkeit der Begehung von Straftaten beim Pegasus-Skandal durch Beamte von Behörden nach dem Kauf und der Nutzung der umstrittenen Software zu informieren. Sie nennt dabei konkret einige ehemaligen und aktuellen Minister. Die Strafverfolger müssten prüfen, ob eine kriminelle Handlung begangen wurde und wer dafür verantwortlich ist.

Die Senatoren drängen darauf, ein Gesetz über die Grundsätze der Durchführung von Einsatz- und Aufklärungstätigkeiten von Polizei und Geheimdiensten zu verabschieden und dabei den Schutz der Grundrechte zu stärken. Die Sicherheitsbehörden müssten durch einen Ombudsmann, die Gerichte, die Regierung und das Parlament schärfer kontrolliert werden. Der Ausschuss plädiert ferner für die Übertragung strafrechtlicher Befugnisse an den Obersten Rechnungshof und erweiterte Kompetenzen des Kommissars für Menschenrechte. Er schlägt vor, die Cybersicherheit bei Wahlen und deren Überprüfbarkeit zu verbessern. Zudem sollten die Funktionen des Justizministers und des Generalstaatsanwalts getrennt werden.

Vor allem Mitglieder der oppositionellen Bürgerkoalition griffen die Regierung an und stellten die Anwendungsmöglichkeiten von Staatstrojanern in einer Demokratie insgesamt in Frage. "Pegasus ist kein operatives Werkzeug der Sicherheitsdienste, sondern eine kybernetische Waffe", rügte Senator Marcin Bosacki. Es gehe also darum, das Verhalten anderer Menschen zu beeinflussen. Die Spyware sei in Polen "in einem äußerst aggressiven Ausmaß" verwendet worden. Gabriela Morawska-Stanecka, Vizeprecherin des Senats, geißelte einen "groben Verstoß gegen verfassungsrechtliche Standards".

"Gegen Terroristen eingesetzte Waffen dürfen nicht gegen normale Bürger eingesetzt werden", betonte Senatorin Magdalena Kochan. "Der Watergate-Skandal, der zum Sturz von Präsident Nixon führte, ist nichts im Vergleich zum Pegasus-Skandal", ergänzte ihr Kollege Michał Kamiński. "Was wir in den letzten anderthalb Jahren dank der Arbeit unseres Ausschusses gelernt haben, muss uns als Bürger beunruhigen." Die riesigen Geldbeträge, die Polen für nationale Sicherheit und Landesverteidigung ausgebe, flößen nicht in die Jagd auf russische Agenten. Vielmehr würden die Mittel missbraucht, um die Ansichten der Opposition auszuspähen.

Die Spionageaktivitäten in Polen und Ungarn führten dazu, dass auch das EU-Parlament einen Untersuchungsausschuss einberief. Die dortigen Abgeordneten führen in ihrem finalen Bericht aus, "dass es in Polen zu erheblichen Verstößen und Missständen bei der Umsetzung des Unionsrechts gekommen ist". Sie verlangen von dem Mitgliedsstaat etwa, "die Generalstaatsanwaltschaft aufzufordern, Ermittlungen über den Missbrauch von Spähsoftware einzuleiten". Es sei dringend nötig, "ausreichende institutionelle und rechtliche Garantien wiederherzustellen". Dazu gehörten unabhängige Aufsichtsmechanismen.

Für John Scott-Railton, einen Forscher am Citizen Lab der Uni Toronto, der die NSO Group seit Jahren unter die Lupe nimmt, wirft das polnische Ergebnis laut dem Magazin Techcrunch auch "Fragen zu Ländern wie Deutschland auf". Andere EU-Staaten nutzten offenbar ebenfalls weiter Pegasus, Predator & Co. ohne Bewusstsein dafür, wie schädlich das sei. Damit würden die NSO Group und andere Teile der Überwachungsbranche noch legitimiert und mit Einnahmen versorgt. Der israelische Produzent wollte sich nicht dazu äußern.

(tiw)