Startup-Szene wählt "Bremsklotz des Jahres"

Der "Silicon City Club" stempelte Daniel David, Gründer des Pleite-Unternehmens Gigabell, noch vor Telekom-Chef Ron Sommer zum Sündenbock der New Economy.

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Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Es will momentan nicht so richtig vorangehen mit der "New Economy", die man übrigens wieder in Anführungsstrichen schreiben darf. Liegts an den abgekupferten Ideen der Gründer, hartherzigen Investoren, die den "Boygroups" mitten im Rennen das Gas abdrehen, oder an bösen Analysten, die Potenziale verkennen? Die Startup-Szene hat jetzt jedenfalls einen Sündenbock ausgemacht und den Bremsklotz des Jahres gewählt. Verliehen wurde der Ehrentitel auf der Berliner Christmas-Party des Silicon-City-Clubs, dem Unternehmen wie 12snap, 4students, allmax, ciao.com, datango, Jamba!, KinderCampus, meOme, paybox oder Webmiles angehören.

Christopher Schering, Sprecher der Initiative, hatte es spannend gemacht und die in den hippen und noch Geheimtipp-Charakter genießenden Club 103 geladenen Gäste bis gegen 1 Uhr morgens auf die Preisverleihung warten lassen. Doch dann trugen seine zwei Helferinnen den schweren, hübsch mit Weihnachtsspray vergoldeten Metallklotz in die Lounge neben dem Dancefloor. Unter den Tannenbaum legen können wird sich das Schmuckstück – täterätä – Daniel David, der Gründer des Telekommunikationsunternehmens Gigabell, der im Herbst – statt die versprochene kostenlose Flatrate zu schaffen – die erste Pleite am Neuen Markt hingelegt hatte.

Die Silicon-City-Mitglieder, von denen sich laut Schering "ein paar hundert" an der geheimen Abstimmung beteiligt hatten, begründen ihre Entscheidung damit, dass Rudolf Zawrel, wie der Ex-Schlagersänger David mit bürgerlichem Namen heißt, "den ersten großen 'Sündenfall der New Economy' am Neuen Markt inszeniert" habe. Durch hemmungslose Selbstüberschätzung und Schönfärberei habe er Gigabell in den Abgrund geführt – und damit "der gesamten neuen Internet-Wirtschaft einen schweren Image-Schaden zugefügt", der bis in die jüngste Pleitewelle unter den Startups hineinreiche. Dass der Größenwahn der New Economy auch in einigen Firmen des Silicon City Clubs grassiert(e), verschwiegen die Organisatoren geflissentlich.

David, der 39 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnte, hatte es vorgezogen, der Preisverleihung fernzubleiben. Damit das Goldstück noch bis Weihnachten ankommt, scheut der Silicon City Club nun keine Kosten und Mühen und schickt ihm den Klotz per UPS. "Das wird teuer", rechnet Schering, doch die Lokalpresse in Frankfurt, dem Heimatort von Gigabell, werde das PR-Event sicher zu schätzen wissen.

Dass auch die Startups des Networking-Clubs in diesen harten Tagen jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen, zeigte die Tatsache, dass sie nicht einmal für die kostenlose Versorgung ihrer Party-Gäste mit Getränken hatten aufkommen können. Glücklich konnte sich da schätzen, wer zuvor beim "Start-Event" des von Grundig aufgezogenen Dot.Coms Eventstoday in den ehemaligen NSA-Abhöranlagen auf dem Berliner Teufelsberg vorbeigeschaut hatte. Dort wurden die dünn gesäten Stars zumindest mit "Fingerfood" und Sekt versorgt.

Knapp verpasst hat die ungewöhnliche Weihnachtsüberraschung in Form des Bremsklotzes Telekom-Chef Ron Sommer, der wegen seiner "halsstarrigen Ausnutzung des Quasi-Monopols im Telefonnetz" und der sich daraus ableitenden hohen Surfpreise auf die Liste gesetzt worden war. Ihm hätten 35 Prozent der Silicon-City-Mitarbeiter die Ehre gegönnt, als Netzverhinderer Nummer eins dazustehen.

"Ehrennominierungen" erhielten außerdem Bundesfinanzminister Hans Eichel auf Grund seiner Vorstöße in Richtung Bitsteuer und Besteuerung des Surfens am Arbeitsplatz sowie Bundesbildungsministerin Edelgard Buhlmann, die nach Meinung der Internet-Gründer vor allem durch "unterlassene Hilfeleistung" bei der Internet-Ausbildung der Jugend in den letzten Monaten geglänzt habe.

Auf dem Kiecker hatten die Silicon-City-Firmen auch Andy Müller-Maguhn, der nach seiner Wahl in den ICANN-Vorstand im Oktober "nichts, aber auch gar nichts" für die New Economy in Europa getan und sich mit seinen ständigen Tiraden rund um die Unsicherheit im Netz sogar noch als kontraproduktiv für die Internet-Wirtschaft entpuppt habe. Diese Meinung der Jury übersprang bei der Abstimmung allerdings nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde. (Stefan Krempl)/ (jk)