Statt Vorratsdatenspeicherung: Buschmann ergreift Initiative bei Quick Freeze

Justizminister Buschmann hat einen Entwurf zur "Sicherungsanordnung fĂĽr Verkehrsdaten" in die Abstimmung gegeben. IP-Adressen will er nicht anlasslos speichern.

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Ethernetkabel

(Bild: asharkyu/Shutterstock.com)

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Nägel mit Köpfen machen will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nach jahrelangen Verzögerungen bei der Umsetzung des Quick-Freeze-Ansatzes zum Einfrieren von Verbindungs- und Standortdaten für die Strafverfolgung. Er hat dazu einen neuen Referentenentwurf zur "Einführung einer Sicherungsanordnung für Verkehrsdaten in der Strafprozessordnung" (StPO) in die Abstimmung mit den anderen Ressorts der Bundesregierung gegeben. Einen ersten Anlauf dazu nahm der Liberale schon im Herbst 2022. Dieser sei nach der grundsätzlichen Einigung innerhalb der Exekutive auf dieses Prinzip im April "punktuell angepasst" worden, hieß es dazu aus dem Bundesjustizministerium (BMJ).

Mit dem Entwurf, den Netzpolitik.org veröffentlicht hat, soll ein neuer Absatz in Paragraf 100g StPO aufgenommen werden. Verkehrsdaten dürften demnach anlassbezogen zur Verfolgung von "erheblichen Straftaten" gesichert werden, soweit sie für die Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsorts eines Beschuldigten von Bedeutung sein können. Die Maßnahme soll im Grundsatz nur auf Anordnung eines Richters zulässig sein.

Damit werde die Menge der zu speichernden Daten auf das notwendige MaĂź begrenzt, schreibt das BMJ. Denn nur die bei den Anbietern von Telekommunikationsdiensten fĂĽr betriebliche Zwecke ohnehin vorhandenen und kĂĽnftig anfallenden Verkehrsdaten dĂĽrften eingefroren werden. Messenger-Dienste sollen nicht zum Sichern von Verbindungs- und Standortdaten verpflichtet werden.

Quick Freeze greift dem Papier nach, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer "eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung", insbesondere eine in Paragraf 100a Absatz 2 bezeichnete, begangen hat. Dieser vergleichsweise weit gefasste Katalog, der auch das Abhören von Telekommunikation erlaubt, fängt bei Mord und Totschlag, Raub oder Erpressung an. Darunter fallen aber etwa auch Bandendiebstahl, bestimmte Formen der Geldwäsche, Computerbetrug, Steuerhinterziehung, Drogenkriminalität sowie sexueller Kindesmissbrauch und die Verbreitung, der Erwerb und der Besitz einschlägiger Darstellungen. Weiter lässt die Formulierung zu, dass auch die Daten des Opfers gesichert werden könnten.

Für das Erheben gespeicherter Standortdaten sollen erhöhte Anforderungen gelten: Hier müsste die Straftat "auch im Einzelfall schwer" wiegen und die "Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos" sein. Sonst dürften nur künftig anfallende Ortsangaben erhoben werden, dies dann aber auch in Echtzeit. Verkehrsdaten sollen zudem eingefroren werden dürfen, wenn "bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat" und es keine anderen Ermittlungsansätze gibt.

Unter ähnlichen Bedingungen sollen auch Nutzungsdaten, die den Inhalt einer Kommunikation betreffen, erhoben werden können. Ergänzende Vorschriften für eine Login-Falle, also der Erhebung einer aktuellen IP-Adresse bei der nächsten Nutzung eines Telemediendienstes zum Identifizieren des Nutzers, hält das BMJ nicht für nötig. Eine Erhebung von IP-Adressen bei Telemedienplattformen sei bereits in Paragraf 100k StPO verankert.

Die eingefrorenen Daten stehen dem Plan nach den Strafverfolgungsbehörden für eine begrenzte Zeit für eine spätere Erhebung und Auswertung zur Verfügung, die einer erneuten richterlichen Anordnung bedarf ("Auftauen"). Ermittler sollen dafür zunächst einen Monat Zeit haben. Die Frist kann noch zweimal um je maximal einen Monat verlängert werden. In das Telekommunikationsgesetz (TKG) sollen Übermittlungsbefugnisse und Vorgaben für technische und organisatorische Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik verankert werden. Leerstellen sind in dem Entwurf noch die Kosten für die Wirtschaft und Behörden.

Eine Neuauflage der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsdatenspeicherung aller Verkehrsdaten sei aufgrund der höchstrichterlichen Vorgaben bereits rechtlich nicht möglich, erläutert das BMJ. Alternativ biete man Strafverfolgern nach vielen Jahren des Streits über das anlasslose Protokollieren von Nutzerspuren "ein grundrechtsschonendes und zugleich effektives" Instrument. Trotzdem würden die Paragrafen zur Vorratsdatenspeicherung, die die StPO weiterhin enthält, auf Wunsch der SPD nicht aus dem Gesetz gestrichen. Es handele sich dabei aber um "totes Recht".

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) drängt trotz der Regierungsabsprache und dem damit übereinstimmenden Koalitionsvertrag weiter darauf, zumindest IP-Adressen auf Vorrat zu speichern. Die SPD-Fraktion will einen solchen Schritt "ergebnisoffen" prüfen. Buschmann gibt zu bedenken: Angesichts der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müsse sich ein Mitgliedsstaat, der den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste eine solche Pflicht auferlegen wolle, vergewissern, dass keine genauen Schlüsse auf das Privatleben der Betroffenen gezogen werden könnten.

Eine entsprechende gesetzliche Regelung sei zudem bei der Dauer "auf das absolut Notwendige" zu begrenzen, argumentiert das BMJ. Betroffenen müssten über wirksame Garantien zum Schutz vor Missbrauchsgefahren verfügen. Den Strafverfolgungsbehörden sei es laut der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 auch so gelungen, 87,2 Prozent der bekannt gewordenen Fälle "der Verbreitung kinderpornographischer Inhalte" aufzuklären.

(mho)