Stolpert Open Source in der Verwaltung übers Vergaberecht?

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft will es nicht länger hinnehmen, dass die öffentliche Hand in Einzelprojekten bewusst freie Software einsetzt und so Einfluss auf die Software-Industrie nimmt.

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Die öffentliche Hand setzt sich in Pionierprojekten mit Open Source vehement über vergaberechtliche Bestimmungen hinweg. Diese These vertrat Dirk Heckmann, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Passau, auf einer Tagung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) am gestrigen Montag in Berlin. Staatliche und kommunale Verwaltungen "dürfen nicht wissentlich Anbieter ausschließen", betonte der Jurist. Jegliche "politische Diskussion" über die Vorteile von Open Source müsse "streng von den erforderlichen formalisierten Vergabeverfahren getrennt werden". Eine ausdrückliche Anforderung von Produkten wie Linux oder eine entsprechend bedarfsorientierte Leistungsbeschreibung widerspricht laut Heckmann "im Regelfall" dem Gebot einer neutralen Ausschreibung.

Konkret ging der Rechtsprofessor auf den "Fall München" ein, wo die Stadtverwaltung mit dem Segen des Stadtrats im Rahmen des 30-Millionen-Euro-Projekts LiMux rund 14.000 Rechner komplett auf freie Software migrieren will und dazu bereits ein Feinkonzept verabschiedet hat. "Hier ist keine Bedarfsermittlung im Vorfeld geschehen", konstatierte Heckmann. Es sei zwar "mächtig diskutiert" und mit allen Seiten verhandelt worden. Letztlich habe aber "kein Wettbewerb nach dem Vergaberecht stattgefunden". Microsoft hatte schon im Mai 2003 gefordert, dass die Ausschreibung für die Software-Ausstattung der Münchner Behörden wiederholt werden müsse, von einer Klage jedoch abgesehen.

Generell geht Heckmann davon aus, dass eine Behörde zwar in Ausschreibungen "gewisse Wege nahe legen dürfe", diese aber "sachlich begründet sein müssten". Mache eine Verwaltung allgemeine Erwägungen geltend wie "ein Zeichen für Wettbewerb setzen" zu wollen, scheitere dies "schon im ersten Schritt". Die Begründung einer auf freie Software hin ausgerichteten Leistungsbeschreibung mit der Anforderung bestimmter Schnittstellen oder dem Bedürfnis nach höherer IT-Sicherheit wäre zwar sachlich korrekt. Aber auch da dürfe aufgrund der erforderlichen Wahrung der "für den Wettbewerb so wichtigen Chancengleichheit" nicht a priori ausgeschlossen werden, dass andere Software diese Bedingungen erfülle. Bei Geschichten wie dem Migrations-Leitfaden des Bundesinnenministeriums müsse man ebenfalls "noch genauer hinschauen". Letztlich habe immer eine nähere Wirtschaftlichkeitsprüfung mit Blick auf alle Preisbestandteile zu erfolgen.

Diesen Hinweis zur Beachtung der "Total Cost of Ownership" führt auch Microsoft im Kampf mit der wachsenden Linux-Konkurrenz ins Feld. Rudolf Gallist, Ex-Chef von Microsoft Deutschland und Vizepräsident des BVDW, richtete denn auch einen eindringlichen Appell an die Politik: "Lassen wir es doch, uns in die Industrie einzumischen." Er wolle die der Softwarewirtschaft aufgedrängte Diskussion, "wie man Business macht", nicht mehr haben. Der Markt funktioniere.

Jörg Tauss, forschungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, hält dagegen wenig davon, dass sich die Politik von ihren Gestaltungsaufgaben im Softwarebereich verabschieden soll. "Für die europäische Software-Industrie ist Open Source eine ungemeine Chance", erklärte er. Bei öffentlichen IT-Projekten gelte es daher, angesichts der massiven "Propagandamaschinerie" der Microsoft-Lobby "zumindest Gleichstand herzustellen".

Dass die Debatte um das Vergaberecht für Microsoft geradezu nach hinten los geht, ist auch für Daniel Riek, bei Red Hat in München für den öffentlichen Verkaufsbereich zuständig, eine ausgemachte Sache: "Wir sehen in der Praxis, dass in 60 Prozent der Ausschreibungen proprietäre Lösungen verlangt werden." Zudem seien die Gesamtrechte, die ein Nutzer an der Software erwerbe, in Vergabeverfahren zu bedenken. Open Source könne auf diesem Feld nur gewinnen und Heckmann habe noch Material für "viele weitere Aufsätze". Microsoft habe in konkreten Verfahren zwar häufig noch Vorteile aufgrund der Vielfalt der Fachapplikationen, die unter Windows laufen, sowie des Funktionsumfangs der Software. Was davon in einem konkreten Projekt tatsächlich erforderlich sei, dürfe aber nicht aus dem Blick geraten.

Nicht zu vergessen seien zudem die "Langfristigkeit und Nachhaltigkeit", die freie Software biete, brachte Andreas Gebhard, Geschäftsführer der Berliner Agentur Newthinking und Mitgründer der Initiative Bundestux, gegenüber heise online zudem einen auf der Konferenz außen vor gelassenen Aspekt ins Spiel. Es gehe um die eigene Kontrolle von IT-Zyklen durch die Verwaltung. Derlei Argumente der "Befreiung" von einem monopolartigen Anbieter wurden auch von Münchner Stadtratsvertretern als ausschlaggebend für die international viel beachtete LiMux-Entscheidung genannt. Ein weiteres wichtiges Argument für Linux sieht Jens Mundhenke vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel darin, dass bei Open Source "die Daten zugänglich bleiben". Diese Tatsache hat auch die französische Regierung mit veranlasst, sich für freie Software in der Verwaltung stark zu machen.

Der Microsoft-Technologiebeauftragte Walter Seemayer freut sich derweil auf den echten "Mitbewerb" aus Richtung Open Source. Sein Unternehmen nehme es mit der Interoperabilität und den Standards sehr ernst. Man würde es daher begrüßen, wenn Entwickler für die freie Softwarelösung OpenOffice "aufgrund unserer Spezifikationen XML-Filter schreiben". Microsoft sei sich sicher, erläuterte Seemayer unter Anspielung auf die Forschungsausgaben des US-Mutterkonzerns in Höhe von jährlich etwa fünf Milliarden US-Dollar, "dass uns unser R&D-Money einen competitive advantage verschaffen wird". (Stefan Krempl) / (jk)