Streaming-Studie: Vergütungsmodelle bevorteilen große Künstler
Mangelnde Transparenz im Musikstreamingmarkt ortet eine Studie. Sie wurde im Auftrag der Bundesregierung erstellt.

(Bild: Daniel AJ Sokolov)
Musikstreaming hat unabhängigen Künstlern kein goldenes Zeitalter beschert. Vielmehr sind die neuen Plattformen an die Stelle der alten Gatekeeper des Musikmarktes getreten. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Kulturstaatsministerin Claudia Roth in Auftrag gegeben hat: "Der Markt für Musikaufnahmen bleibt ... auch im Streamingmodell von Informationsasymmetrien und struktureller Ungleichheit geprägt".
Auf über 350 Seiten versuchen Wissenschaftler zu ergründen, was die derzeitigen Strukturen im Musikstreaming-Markt für Kulturschaffende bedeuten, und welche Defizite es dabei gibt. Alle befragten Gruppen begrüßen demnach, dass mit den Streamingangeboten die Zeit der Kopierproblematik zu Ende gekommen ist. Allerdings seien damit längst nicht alle Probleme verschwunden, einige bereits früher vorhandene sind durch das Streaming-Zeitalter vielleicht sogar verstärkt worden. Die Autoren der Studie versuchen, zumindest Teile der offenen Fragen dazu zu beantworten.
Zwei der wesentlichen Fragen dabei: Ob die Vergütung für Streamingabrufe für die Künstler fair ist, und ob Streaming Hürden senkt, damit Urheber von ihren Werken zumindest teilweise leben können. Immerhin können sie nun ohne große Labels nun an Abermillionen potenzielle Hörer herantreten, theoretisch.
Großteil der Künstler verdient an Streaming wenig
Insgesamt 2.868 Menschen aus dem Musikgeschäft haben gegenüber den Studienautoren Auskunft zu ihrer Einnahmesituation gegeben. Nur 13,9 Prozent ihrer Einnahmen geht laut den Selbstauskünften auf Streaming zurück, verglichen mit 34 Prozent aus Live-Auftritten. Knapp drei Viertel der Künstler erhalten jährlich weniger als 500 Euro aus Streamingabrufen, 17,8 Prozent erhalten 500 bis 4.999 Euro. Neun Prozent liegen bei 5.000 bis 100.000 Euro, 1,1 Prozent darüber.
Gut die Hälfte der Einnahmen geht dabei auf Spotify zurück, gefolgt von Apple, Youtube und Amazon Music (zusammen 32,4 Prozent). Der Rest stammt aus Tantiemen von Bandcamp, Deezer, Tidal, Soundcloud und anderen Anbietern. Kaum eine Rolle spielen werbefinanzierte Streams, die einen vernachlässigbaren Anteil des Gesamtstreamingumsatzes stellen.
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"Wenn 75 Prozente der Umsätze auf 0,1 Prozent der Künstlerinnen und Künstler entfallen, spricht das eine klare Sprache", sagt Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne), früher Musikmanagerin, zu dem Studienergebnis. "Es braucht eine faire Vergütung von Musikschaffenden, mehr Transparenz und insgesamt also eine Demokratisierung der Marktmacht."
Umstrittenes Vergütungsmodell
Kernfrage einer gerechten Vergütung ist (neben der Höhe der Zahlungen insgesamt) das sogenannte "Pro Rata"-Modell. Dabei werden die Ausschüttungen einer Plattform an die Rechteverwerter eines bestimmten Landes und Zeitraums auf Basis des Anteils der Streams eines Rechteverwerters an der Gesamtzahl aller Streams berechnet. Das Pro-Rata-Modell bevorzuge bereits bekannte Künstler, stellen Wissenschaftler fest. Da Marketingkampagnen die Hörgewohnheiten beeinflussen, seien Künstler mit großen Labels im Vorteil.
Die Befragten der Studie präferieren mehrheitlich ein anderes, das sogenannte nutzerzentrierte Modell: Die monatlichen Abonnementgebühren einzelner Nutzer würden dabei durch die Zahl ihrer Abrufe dividiert, die Gelder direkt an die Rechteinhaber der gehörten Musikstücke verteilt. Das macht einzelne Abrufe wertvoller, je weniger ein Nutzer im Zeitraum streamt. Allerdings bekommen Künstler keine Einblicke in die realen Abspieldaten der Anbieter – aus Sicht der Befragten ein eklatanter Mangel.
GEMA fordert mehr Algorithmentransparenz
Was gehört werde, hänge immer weniger von persönlichen Entscheidungen der Nutzerinnen und Nutzer ab, sondern von Algorithmen, betont Tobias Holzmüller, Geschäftsführer der GEMA im Gespräch mit heise online. Das sei bei Streamingdiensten wie Spotify der Fall, noch viel extremer aber bei Musik auf Social-Media-Plattformen wie Tiktok. "Deswegen kommt diesen Algorithmen und ihren Auswahlprozessen eine riesige Bedeutung bei der Frage zu: Was ist erfolgreich am Markt und was nicht? Und die Transparenz hinter diesen Algorithmen ist gleich null." Sprich: ob der Markt durch die Plattformen verzerrt wird, ist nicht nachvollziehbar.
Holzmüller sieht hierin ein handfestes Problem. "Es gibt starke Anzeichen dafür, dass die Dienste diese Algorithmen nutzen, um ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen zu Gute zu kommen – beispielsweise um Musik bevorzugt auszuspielen, wo sie weniger bezahlen müssen oder wo sie selber Rechte daran haben." Der GEMA-Geschäftsführer fordert deshalb, dass die entsprechenden Algorithmen der Plattformen offengelegt würden – und dafür notfalls auch gesetzliche Grundlagen geschaffen werden müssten.
Rechtsgutachten empfiehlt Transparenzstelle
Mehr Transparenz fordert auch ein Anhang zur Studie: In einem Gutachten des Rechtswissenschaftsprofessors Philipp Hacker wird erörtert, wie Musikschaffende und Streamingdienste sich juristisch zueinander verhalten, und welche rechtlichen Ansprüche Künstler möglicherweise geltend machen könnten. Tatsächlich sei hier die deutsche Umsetzung des EU-Urheberrechts lückenhaft, folgert Hacker, und empfiehlt Änderungen am Urheberrechtsgesetz, um die rechtlich eigentlich vorgesehene "angemessene Vergütung" gegenüber den Plattformen durchsetzbar zu gestalten.
Um die Vergütungssystematik des Streamings transparent zu machen, empfiehlt Hacker "eine zentrale Streaming-Transparenzstelle". Diese solle neutral agieren und Daten von Anbietern wie Rechteinhabern sammeln, um in Streitfällen eine unabhängige Grundlage bieten zu können.
(ds)