Studie zum Tempolimit: Normalfahrer subventionieren Raser

Ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde der deutschen Gesellschaft vor allem Vorteile bringen, sagt ein schwedisches Forschungsteam.

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A27 in Bremen

(Bild: heise online / anw)

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Ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen würde einen volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsgewinn von jährlich mindestens 950 Millionen Euro bringen. Zu diesem Ergebnis kommen Forscher und Forscherinnen der School of Business and Economics der schwedischen Linné-Universität. Die Politik, keine Geschwindigkeitsbegrenzung einzuführen, sei folglich eine Subvention für schnelle Fahrer, heißt es in ihrer Studie. In dieser rechnen sie Kosten gegeneinander auf, die durch die Reisedauer, den Kraftstoffverbrauch, die Infrastruktur, Unfälle, CO₂-Emissionen, die Luftverschmutzung und andere Faktoren entstehen oder eingespart werden.

Die in Deutschland regierende Koalition hat sich in ihrem Vertrag vor allem auf Betreiben der FDP nicht auf ein Tempolimit einigen können. Daher stimmten ihre Abgeordneten im Oktober 2022 im Verkehrsausschuss des Bundestags gegen einen Antrag der Vertreter der Links-Fraktion, ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen von 130 km/h einzuführen. Vor Kurzem schrieb die Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage von den Linken (PDF), die Koalitionsparteien hätten vereinbart, dass es in der laufenden Legislaturperiode kein generelles Tempolimit geben wird.

Die schwedischen Forscher berücksichtigen neben vielen anderen Studien unter anderem eine des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), das auch in der Antwort der Bundesregierung erwähnt wird. Darin schreibt die Regierung, diese und andere Studien zur Kenntnis genommen zu haben. Die IfW-Studie kommt zu dem Schluss, "dass die mit den niedrigeren Geschwindigkeiten einhergehenden längeren Fahrzeiten zu erheblichen Mehrkosten führen".

Das schwedische Forschungsteam stellt in Frage, ob die in der Kieler Studie veranschlagten Zeitverluste tatsächlich als "entgangener Arbeitslohn" gewertet werden können. Falls die Reisezeit als Arbeitszeit wichtig sei, biete es sich an, Eisenbahnverbindungen zu nutzen. Zu berücksichtigen seien auch Erkenntnisse, laut denen eine höhere Reisegeschwindigkeit zwar meist als "Reisezeitersparnis" eingeschätzt werde. Allerdings hätten die meisten Menschen ein festes Reisezeitbudget, sodass höhere Geschwindigkeiten zu längeren Entfernungen, nicht aber zu Zeiteinsparungen führten.

Für die Berechnung des Zeitverlustes durch ein Tempolimit von 130 km/h auf den 55 Prozent der Autobahnabschnitte, auf denen es in Deutschland noch keine Begrenzung gibt, legten die Forscher zugrunde, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit auf Strecken mit Tempo 130 118,3 km/h beträgt, auf jenen ohne 124,7 km/h. Aus der Differenz multipliziert mit den entsprechenden Fahrstunden ergebe sich ein Zeitverlust von jährlich 49,7 Millionen Stunden. Dieser wiederum multipliziert mit einem Wert auf 21,18 Euro pro Stunde ergäben Kosten durch Zeitverlust in Höhe von etwas über einer Milliarde Euro.

Auf der anderen Seite würde durch ein Tempolimit Kraftstoff im Wert von 766 Millionen Euro eingespart, durch geringeren CO₂-Ausstoß 293 Millionen, durch vermiedene Unfälle 255 Millionen, durch Energieeinsparungen entlang der Lieferkette 286 Millionen und durch geringere Wartungs- und Herstellungskosten für die Infrastruktur 248 Millionen Euro. Hinzu kommen kleinere Posten beispielsweise für Kraftstoffsubventionen, Landnutzung und Luftschadstoffe.

Argumente der deutschen Autoindustrie wie jenes, dass die Autobahnen immer sicherer würden, lassen die Forscher nicht stehen. Der Verband der Automobilhersteller (VDA) ziehe dafür heran, dass die Zahl der Todesfälle bei Unfällen auf Autobahnen zurückgegangen sei. Dabei bleibe unklar, ob der Rückgang nicht auch auf andere Faktoren zurückzuführen sei, zum Beispiel, dass die Rettungsdienste heute schneller als früher reagieren oder die Sicherheitstechnik verbessert wurde.

Die Forscher weisen darauf hin, dass die Wechselwirkungen von Faktoren wie Reisezeit, Energieverbrauch, Luftschadstoffe, Lärm oder auch der Risikowahrnehmung der Menschen komplex sind. So könne auf Autobahnen die maximale Fahrzeugkapazität von 2.000 pro Fahrspur und Stunde bei einer Geschwindigkeit von 70 km/h erreicht werden. Verkehrsstaus würden dort wahrscheinlicher, wo mit höheren Geschwindigkeiten gefahren wird; beispielsweise Staus, die ohne erkennbaren äußeren Anlass auftreten.

Abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen einer Geschwindigkeitsbegrenzung führe der Klimawandel dazu, dass neue Prioritäten gesetzt werden müssten, meinen die Forscher. Die deutsche Regierung habe sich selbst dazu verpflichtet, die Emissionen im Verkehrssystem zu reduzieren, dafür gebe es aber keine Anzeichen. Vielmehr gebe es auf deutschen Straßen immer mehr Autos, darunter viele größere und schwerere. Die 2022 in Deutschland angemeldeten 48,54 Millionen Kfz bedeuteten einen historischen Höchststand. Die schwedischen Forscher meinen, durch ein Tempolimit werde es begünstigt, Autos auf niedrigere Geschwindigkeiten und auf niedrigeren Kraftstoffverbrauch zu optimieren.

(anw)