The Witcher auf Netflix: Herrlich altmodische Fantasy

Seite 2: Schwachstellen und Zeitsprünge

Inhaltsverzeichnis

Natürlich ist The Witcher auf Netflix nicht perfekt. Trotz einzigartigen Film-Locations, sehr gelungener Kostüme und der Buchvorlage entsprechend dezenten, aber trotzdem glaubwürdigen Spezialeffekten, sieht man an einigen Stellen dann doch, wo es an Budget gefehlt hat. Teile des Sets, in dem die Belagerung von Cintra spielt, sind etwas karg. Und manche der Ritterrüstungen zeigen ein bisschen zu deutlich, dass sie nicht aus Metall sind. Außerdem haben die Aufnahmen vieler Außenszenen merkwürdige Verzerrungsartefakte an den Bildrändern, die entweder der Nachbearbeitung des Bildmaterials oder einer unpassenden Objektiv-Auswahl geschuldet sind. Das Gesamtbild ist allerdings so stimmig, und stimmungsvoll, dass man über solche Kleinigkeiten gerne hinweg sieht und im Handumdrehen in das Geschehen hineingezogen wird.

Anya Chalotra als Yennefer von Vengerberg

(Bild: Netflix)

Über eine Schwachstelle der Netflix-Verfilmung ist allerdings schwer hinwegzusehen – vor allem wenn man weder die Bücher gelesen hat, noch die Figuren und ihre Beweggründe aus der Fortsetzung der Geschichte in den Videospielen kennt. Die Macher haben zwar sehr geschickt Sapkowskis Hexer-Kurzgeschichten mit dem Handlungsstrang der Roman-Saga verwunden, verfehlen es allerdings, dem Zuschauer dabei ein Gefühl dafür zu geben, wann wieviel Zeit vergeht. Die vielen Zeitsprünge müssen Neulinge in der Welt von Geralt zwangsläufig schrecklich verwirren.

Zuschauer, die ohne eine Vorlektüre der Bücher kaum wissen können, wie lange Yennefers Ausbildung zur Zauberin gedauert hat und dass sie zum Zeitpunkt des ersten Treffens mit Geralt bereits Mitte 70 ist, können erst Recht keine Vorstellung davon haben, in welchem Zusammenhang Geralts Abenteuer mit dem Dschinn oder Borch Drei Dohlen zum Massaker in Cintra stehen. Auch werden sie den Diskurs mit der Entzauberung Dunys zeitlich nicht in diese Vorgänge einreihen können. Woher sollen sie wissen, dass zwischen Parvettas Hochzeit und Ciris Flucht aus Cintra elf Jahre liegen? Da hilft es nicht, dass Freya Allan, die eine zehnjährige Ciri spielt, achtzehn Jahre alt ist. Außerdem wird nicht deutlich erklärt, dass man Yennefer ihr Alter auf Grund diverser Verzauberungen nicht ansieht. Die Netflix-Serie spielt nur einmal kurz auf "die Jahrzehnte" an, die sie am Hof von Aedirn verbracht hat. Dass Geralt auf Grund seiner Mutationen ebenfalls relativ zeitlos ist, soll sich der Zuschauer wohl auch selbst zusammenreimen.

Schwertkämpfe gibt's zu Genüge: Hier Geralt gegen Renfri

(Bild: Netflix)

Im Gegensatz zur vierten Staffel von The Expanse bei Amazon ist es beim Witcher also durchaus von Vorteil, wenn man vor dem Genuss der Netflix-Serie Sapkowskis Bücher gelesen hat. Allen denen, für die die Fernsehserie der Einstieg in die Welt von Geralt ist, kann man nur empfehlen, sich durch die Chronologie der Ereignisse nicht zu stark verwirren zu lassen. Da Sapkowski sich mit seinen Büchern stark vom Gedankengut osteuropäischer Märchen und Sagen hat beeinflussen lassen, versteht man den Kern der Geschichte auch ohne das politische Drumherum. Trotzdem hätte es der Netflix-Serie wohl gut getan, unbelesene Zuschauer etwas mehr an die Hand zu nehmen und Rückblicke wenigstens irgendwie zu kennzeichnen. Eventuell hätte man am Anfang der entsprechenden Szenen einfach eine plumpe Jahreszahl einblenden können.

Die Produzenten der Serie wollten wohl, dass die Geschichte für sich steht und der Zuschauer von der Action durch die einzelnen Folgen geführt wird. Vielleicht auch genau weil sie das Game-of-Throne-Feeling vermeiden wollten.

The Witcher bei Netflix ist eine durchweg gelungene Umsetzung der Romanreihe. Sie nimmt die Buchvorlage ernst, ist aber nicht zu verliebt in sich selbst (man denke an das überlange Herr-der-Ringe-Epos). In Anlehnung an Märchen und Groschenromane ist die Erzählweise mal romantisch und mal herb, oft erfrischend politisch inkorrekt.

Wo Zauberer noch richtige Zauberer sind: Lars Mikkelsen als Stregobor

(Bild: Netflix)

Herausragende Schauspieler, genau im richtigen Maße durch die Videospielreihe beeinflusste Bühnenbilder und Kostüme, atemberaubende Drehorte und ein hervorragender Soundtrack vereinen sich zu einem stimmigen Ganzen. Die Serie hat viel Action, wunderbaren Humor und interessante Charaktere. Die Spezialeffekte sind dezent, aber fulminant wenn die Geschichte es verlangt. Kurz: Altmodische Abenteuer-Fantasy wie gemacht für die Weihnachtsferien. Wer über mysteriöse Zeitsprünge und kleinere Schwächen hinwegsehen kann (oder in der Lektüre der Witcher-Bücher firm ist) wird mit Geralt, Ciri und Yennefer viel Spaß haben.

Die gute Nachricht: Eine zweite Staffel ist bereits in Arbeit. Die schlechte Nachricht: Wir müssen für die Fortsetzung der Geschichte wohl bis 2021 warten.

Die acht Folgen von The Witcher mit Henry Cavill, Anya Chalotra, Joey Batey, Björn Hlynur Haraldsson, Adam Levy und Lars Mikkelsen gibt es exklusiv beim Streaming-Dienst Netflix. (fab)