The Witcher auf Netflix: Herrlich altmodische Fantasy

Kann man den Hexer Geralt von Riva ohne Fremdschämen auf die Leinwand bringen? Wenn man Henry Cavill heißt und Netflix im Rücken hat, dann ja.

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The Witcher auf Netflix: Herrlich altmodische Fantasy

Henry Cavill in der Hauptrolle des stoischen Hexers Geralt von Riva

(Bild: Netflix)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Mit seiner Adaption des Hexer-Mythos des polnischen Romanautors Andrzej Sapkowski zeigt Netflix wie man erfolgreich ein Videospiel verfilmt: In dem man sich der Primärliteratur zuwendet. Die neue achtteilige Fantasy-Serie mit Henry Cavill als Geralt von Riva ist eine ziemlich direkte Umsetzung der Bücher, die als Inspiration für die erfolgreiche Spieleserie dienten. Aber der Einfluss der RPG-Reihe des polnischen Entwicklerstudios CD Projekt Red ist überall: Vom Kostüm Geralts, über dessen Kampfstil bis hin zur unverwechselbaren Art, wie die Bewohner des Kontinents ihre überlangen Gürtel verknoten. So vereint The Witcher bei Netflix das beste beider Welten: Die Geschichten der Bücher und die Ästhetik des Spiels.

Achtung: Diese Rezension enthält kleinere Spoiler zur Geschichte Geralts von Riva. Da die Serie ohne ein bisschen Hintergrundwissen allerdings kaum verständlich ist, sollte man auch nach der Lektüre dieses Artikels noch viel Spaß an ihr haben.

Wer sich nach Game of Thrones mal wieder ein bisschen altmodischere Fantasy mit theatralischen Schwertkämpfen, mächtigen Zauberern, Dschinns und allerlei anderer Fabelwesen wünscht, der ist in der Märchenwelt von Geralt von Riva genau richtig. Zwar bilden auch hier die politischen Intrigen korrupter Könige und Kaiser den Hintergrund, vor dem die Geschichte von Geralt, Yennefer und Ciri ihren Lauf nimmt, allerdings ist dies nur das Beiwerk der TV-Serie. Der Witcher-Zyklus ist eine Geschichte von tragischer Liebe, von Verlust und vom Schicksal von Einzelgängern. Und von einem Helden, der wenig redet und noch weniger Kompromisse eingeht.

Ästhetik direkt aus dem Videospiel: Geralt in einer Taverne

(Bild: Netflix)

Henry Cavill spielt den wortkargen Protagonisten in Perfektion. In bester Clint-Eastwood-Manier brummelt und starrt er sich durch seine Szenen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich durchaus lohnt, The Witcher in der Originalsprache anzusehen. Die deutsche Synchronisation ist für eine Netflix-Produktion überraschend gut, aber vor allem die Gesangseinlagen von Rittersporn (der in der englischen Fassung statt Dandelion den polnischen Namen Jaskier trägt) und das Gebrummel von Geralt wirken im Original einfach mehr. Cavill überzeugt nicht nur stimmlich, sondern ist auch rein körperlich ein Ebenbild des Videospiel-Geralts.

Überhaupt ist das Casting ein Höhepunkt der Serie. Die hauptsächlich britischen Darsteller sind, von Cavill abgesehen, fast alle relativ unbekannt. Man merkt vielen allerdings die klassische Theaterausbildung an. Allen vorweg Joey Batey, der den Barden Rittersporn nicht nur, entgegen aller Albernheiten der Roman-Figur, überzeugend Leben einhaucht, sondern auch noch hervorragend singen kann. Vor allem seine Ballade "Coss a Toin to Your Witcher" kann man getrost als Ohrwurm bezeichnen.

MyAnna Buring spielt Tissaia de Vries, die kontroll-besessene Rektorin der Zauberschule Aretuza, zur Perfektion. Jodhi May gibt, sowohl triumphal blutüberströmt und nach Bier verlangend, als auch verzweifelt und kurz vor dem Selbstmord, eine großartige Calanthe. Anya Chalotra überrascht am Anfang der Serie damit, wie überzeugend sie ihre atemberaubende Schönheit verbergen kann, die sie später zu einer Yennefer von Vengerberg macht, die dem unrealistischen Schönheitsideal eines Groschenromans und der pubertären Videospiele gerecht wird. Was den Respekt vor ihrer schauspielerischen Leistung nicht schmälern soll – Yennefer ist wohl der komplexeste Charakter der Witcher-Geschichten und Chalotra ist dieser Komplexität offensichtlich gewachsen.

Allein Anna Schaffers Figur kommt nicht an die Vorstellung von Triss Merigold heran, die, vor allem durch die Videospiel-Serie anders geprägt wurde, als sie in der Netflix-Serie dargestellt wird. Freya Allan spielt bisher eine überzeugende Ciri, wie gut die Darstellerin sich schließlich in ihre Figur hinein finden kann, wird sich allerdings später zeigen müssen, da Ciri in der ersten Staffel der Serie noch ganz am Anfang ihrer Entwicklung als zentraler Charakter der Geschichte steht. Und durch die Dialoge all dieser vortrefflichen Schauspieler schreitet ein entschlossener Henry Cavill und verteilt mit Schwertspitze und gebrummelten Dialogfetzen eine Pointe nach der anderen.

Joey Batey überzeugt als Rittersporn nicht nur schauspielerisch, sondern auch musikalisch.

(Bild: Netflix)

Ähnlich wie auch Game of Thrones nutzt The Witcher die hauptsächlich britische Besetzung und europäische Drehorte, um sich vom in Hollywood produzierten Fantasy-Einheitsbrei abzusetzen. Polnische Schlösser, ungarische Wälder und die schroffen Landschaften der Kanaren geben der Serie einen ganz eigenen Look. Netflix hat sich die knapp acht Stunden von The Witcher offensichtlich einiges kosten lassen, was der Serie im Gegensatz zu früheren Versuchen, den Stoff zu verfilmen, deutlich gut tut. Hinzu kommt ein hervorragender Soundtrack, der sich zwar an der Videospiel-Musik orientiert, aber trotzdem sehr gelungen eigene Wege geht. Mittelalterlich-slawische Einflüsse mischen sich mit keltischen Untertönen und, dezent, mit modernen Instrumenten und versetzen den Zuschauer in die passende Stimmung.