Tiktok klagt gegen Verbot in Montana

Montana hat Betrieb und Bereitstellung von Tiktok in dem US-Staat verboten. Dieses Verbot sei mehrfach verfassungswidrig, sagt Tiktok in einer Klage.

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Tiktok-App auf Smartphone

(Bild: Primakov/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
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Montana möchte als erster US-Bundesstaat die chinesische Videoapp Tiktok verbannen. Dagegen richtet sich eine Klage der Firma. Sie argumentiert, dass das Verbot mehrfach gegen die US-Verfassung verstoße; außerdem falle die Angelegenheit nicht in die Kompetenz eines US-Staates, weil tatsächlich der US-Präsident und andere Bundesbehörden zuständig seien.

Tiktok hat die Klage am Montag beim US-Bundesbezirksgericht für Montana eingebracht. Beklagter ist Austin Knudsen, Montanas Justizminister, stellvertretend für den Staat, den Tiktok direkt nicht verklagen darf. Bereits vergangenen Mittwoch haben bei dem selben Gericht fünf Tiktok-Nutzer Klage gegen Montanas Bann eingelegt. Das Verbot soll Anfang 2024 greifen. Die grundlegenden juristischen Argumente sind in weiten Teilen deckungsgleich, das Klagebegehren auch: Das Gericht soll das Gesetz für nichtig erklären und die Durchsetzung eines Tiktok-Verbots durch Montanas Behörden verbieten.

Weil Tiktok für die Verbreitung von Inhalten genutzt wird, liegt das erste juristische Argument auf der Hand: Ein Verbot der Plattform verunmöglicht Verbreitung und Empfang der dort verfügbaren Inhalte. Solch generelle Zensur, speziell bevor der Inhalt einer Äußerung konkret bekannt ist, steht in diametralem Gegensatz zum Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung. Er verbrieft das Recht auf Freie Rede. Montanas Problem: Justizminister Knudsen selbst hat Tiktok als "bestes Mittel zur Verbreitung Freie Rede" bezeichnet.

Außerdem verweisen beide Klagen auf eine Bestimmung der US-Verfassung, wonach es Aufgabe des US-Gesetzgebers ist, internationalen Handel, Handel mit Ureinwohnervölkern und Handel zwischen US-Staaten zu regeln (die sogenannte Commerce Clause in Artikel 1, Abschnitt 8, 3. Punkt). Daraus haben US-Gerichte die nicht unumstrittene Dormant Commerce Clause abgeleitet: Weil diese Regeln Bundessache sind, dürfen US-Staaten keine eigenen Regeln erlassen, die internationalen Handel oder Handel zwischen US-Staaten ungebührlich belasten. Auch darauf stützen sich beide Klagen.

Tiktok argumentiert, dass ein Verbot Tiktoks in Montana über dessen Grenzen hinaus wirke, die Verfügbarkeit in anderen US-Staaten und sogar den Reiseverkehr zu beeinträchtigen drohe. Weil schon die Verfügbarmachung der App in Montana verboten werde, die Abgrenzung zwischen US-Staaten im Internet aber schwierig sei, könnten App-Stores entscheiden, Tiktok-Software überhaupt zu verbannen. Und weil das Verbot nicht nur Einwohner Montanas sondern auch Durchreisende betreffe, behindere es den Wirtschaftsverkehr.

Begründet wurde das Tiktok-Verbot vor allem mit dem möglichen Zugriff auf Userdaten durch chinesische Behörden. Damit fällt die Angelegenheit in den Bereich der Außenpolitik, und diese ist exklusiv der Bundesebene vorbehalten. Entsprechend argumentieren beide Klagen, dass das Gesetz Montanas Zuständigkeit überschreite. Außerdem verweisen sie auf das Bundesgesetz International Emergency Economic Powers Act (IEEPA).

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Dieses US-Gesetz erteilt dem Präsidenten weitreichende Vollmachten Notstände auszurufen und bestimmte Transaktionen mit Ausländern zu verbieten. Doch kennt das Gesetz zwei ausdrückliche Einschränkungen: Der Präsident darf den Im- und Export von Information und Informationsmaterial ebenso wenig untersagen wie die persönliche Kommunikation, bei der nichts von Wert übertragen wird. Laut Gesetzgeber sind diese Einschränkungen weit auszulegen, unabhängig von Format oder Medium, und dürfen auch nicht durch indirekte Verbote umgangen werden.

Diese Bestimmungen waren ein wesentlicher Grund, warum Tiktok in den USA überhaupt noch weitermachen darf. Der damalige US-Präsident Donald Trump hat im August 2020 Verweis auf die Nationale Sicherheit Geschäfte von US-Amerikanern mit Tiktok untersagt (Executive Order 13492). Doch das Bundesgericht des Hauptstadtbezirks Columbia stoppte Trumps Tiktok-Verbot unter Verweis auf die Einschränkungen des IEEPA. Und wenn selbst er Präsident, der für Außenpolitik zuständig ist, sogar im Notfall die internationale Informationsübertragung ausdrücklich nicht untersagen darf, dürfe Montana das schon gar nicht, so das sinngemäße Argument jetzt.

Tiktok wendet außerdem ein, dass Montanas Gesetz einer Verurteilung durch das Parlament gleich komme. Anstatt Soziale Netzwerke generell zu regulieren, habe sich Montanas Gesetzgeber einen einzelnen Anbieter ausgesucht, nämlich Tiktok; dieser werde aus "spekulativen" Gründen bestraft. Solche Entscheidungen seien aber Aufgabe der Gerichte, nicht des Gesetzgebers, daher sei das Gesetz eine von der Verfassung verpönte Bill of Attainder.

Die klagenden Tiktok-User führen aus, dass sie Tiktok nicht nur für Freie Rede, sondern auch für geschäftliche Zwecke nutzen. Der 14. Zusatzartikel der US-Verfassung untersagt den Entzug von Leben, Freiheit sowie Eigentum ohne rechtsstaatliches Verfahren (so genannte Due Process Clause). Montanas Tiktok-Verbot greife in die Freiheit der User und in deren Eigentum ein; weil das Gesetz ohne Anhörung der Betroffenen verabschiedet wurde, verstoße es gegen die Due Process Clause der US-Verfassung.

Schließlich verweisen die klagenden Tiktok-User auch noch auf ein US-Gesetz für Waffenproduktion. Dessen Paragraph 721 lege es in die Zuständigkeit des Präsidenten und der Bundesbehörde CFIUS (Committee on Foreign Investment in the United States), Risiken für die Nationale Sicherheit aus ausländischer Wirtschaftstätigkeit zu identifizieren und darauf zu reagieren. Der Präsident und die Behörden hätten sich des Problems Tiktok bereits angenommen, entsprechende Verhandlungen seien im Laufen. Auch daher sei Montana nicht befugt, in diese Sache einzugreifen.

Die größte Hürde für Montanas Gesetz ist sicherlich der Erste Zusatzartikel der US-Verfassung. Der US-Staat versucht sich an sehr breite Zensur indem er ein großes Forum generell verbieten möchte, anstatt die kritisierten Übelstände beispielsweise durch ein Gesetz für Datenschutz oder Datensicherheit anzugehen. Außerdem dürfte es Montana schwerfallen, überzeugend darzulegen, weshalb es in einer Angelegenheit der Nationalen Sicherheit überhaupt Gesetze erlassen dürfe. Dieser Bereich fällt deutlich in Bundeskompetenz.

Das ebenfalls von beiden Klagen bemühte Argument, das Gesetz beeinträchtige auch den Handel zwischen US-Staaten, ist zwar inhaltlich nicht von der Hand zu weisen. Allerdings hat der US Supreme Court die dabei ventilierte Dormant Commerce Clause gerade erst die Flügel gestutzt: Eine kalifornische Volksabstimmung hat im Jahr 2018 ein Gesetz beschlossen, dass den Vertrieb von Schweinefleisch in Kalifornien untersagt, wenn die Tiere "grausam" gehalten wurden, nämlich wenn sie sich nicht hinlegen, aufstehen, voll ausstrecken oder umdrehen können. Egal, woher das Fleisch kommt.

Weil Kalifornien der bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste US-Staat ist, hat dieses Tierschutzgesetz Auswirkungen auf die Schweinefleischbranche im ganzen Land. Also verklagten ein Bauernverband und ein Verband von Schweinefleischproduzenten Kalifornien unter Verweis auf die Dormant Commerce Clause; damit sind sie am 11. Mai beim Supreme Court abgeblitzt. Das Höchstgericht billigt den Einfluss des kalifornischen Gesetzes auf den Handel zwischen US-Staaten (National Pork Producers et al v Ross, SCOTUS Az. 21-468).

(ds)