Ukrainische IT-Industrie trotzt bislang dem Angriffskrieg Russlands

Die IT-Unternehmen in der Ukraine arbeiten derzeit trotz des Angriffskrieges laut Verbandsschätzungen noch mit rund 80 Prozent des Vorkriegsniveaus.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 7 Kommentare lesen
Tastatur

(Bild: JARIRIYAWAT/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Weite Teile der Ukraine einschließlich der Hauptstadtregion Kiew stehen seit dem Angriffskrieg Russlands vor zweieinhalb Wochen unter massivem russischen Raketen- und Panzerbeschuss. Dem IT-Sektor des Landes kann dies bislang aber offenbar wenig anhaben. Trotz der anhaltend schwierigen Situation befinde sich die Branche "in einem guten Zustand", erklärte Konstantin Vasyuk, geschäftsführender Direktor des Verbands der ukrainischen IT-Wirtschaft, gegenüber dem Online-Portal Euractiv.

Vasyuk verwies auf aktuelle Daten, wonach die IT-Unternehmen des von Russland angegriffenen Staates "auf rund 80 Prozent ihres Vorkriegsniveaus arbeiten". Demnach zeigt sich die ukrainische IT-Industrie vergleichsweise robust. Auf sie entfällt rund vier Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes.

Der ukrainische IT-Bereich entwickelte sich in den vergangenen Jahren laut dem Bericht rasant. Mit einer Wachstumsrate von 25 bis 30 Prozent jährlich und rund 300.000 Beschäftigten verfüge die Ukraine über einen der am dynamischsten wachsenden IT-Sektoren in Europa. Zum Vergleich: Im laufenden Jahr wird nach Schätzungen des hiesigen Digitalverbands Bitkom in der IT in Deutschland ein Umsatz von 108,6 Milliarden Euro erwartet – das wäre im Vergleich zu 2021 ein Wachstum um 5,9 Prozent. Die Zahl der erwerbstätigen IT-Fachleute lag 2018 bei über 800.000.

Die Gründe dafür, dass die ukrainische Branche sich aktuell weitgehend behaupten kann, erläuterte Garry Poluschkin von dem Beratungsunternehmen German Economic Team gegenüber Euractiv. Viele der dortigen IT-Unternehmen verfügen ihm zufolge schon seit Längerem "über Standorte in mehreren Ländern". Sie können daher – unterstützt durch die recht hohe Mobilität der IT-Experten – "zumindest mittelfristig vergleichsweise flexibel auf solche Szenarien reagieren".

Die weitere Entwicklung und das Ausmaß der wirtschaftlichen Störungen hänge "sehr entscheidend von der Intensität und Dauer des russischen Angriffes ab", gibt Poluschkin zu bedenken. Sollten die Kriegshandlungen andauern oder sich sogar verstärken, könnte es zu Investitionsausfällen sowie zur Kündigung von Verträgen kommen. Knapp 45 Prozent der Beschäftigung im IT-Sektor des Landes gehe auf das Konto von Outsourcing etwa im Rest Europas: Viele einschlägige Firmen dort fungierten zumindest teils als ausgelagerte IT-Abteilungen für internationale Unternehmen.

Die auf IT-Outsourcing spezialisierte Firma Krusche & Company hatte just einen Tag vor dem bewaffneten Angriff auf die Ukraine gewarnt, dass ein Stopp der von dort und aus Russland gelieferten IT-Dienste "den Westen digital lahmlegen könnte". Fast jedes europäische Unternehmen sei auf ukrainische Softwareentwickler angewiesen. Ganz so drastisch schätzt Poluschkin die Lage nicht ein: "Unterbrechungen im Arbeitsablauf der IT-Unternehmen würden eher zu Verlängerungen von Entwicklungszyklen führen", nicht zu Produktionsstopps.

Über finanzielle Mittel scheinen ukrainische IT-Firmen noch zu verfügen: sie unterstützen aktiv die Bemühungen der Regierung in Kiew, die russischen Angreifer zurückzuwerfen. Einer Branchenumfrage zufolge haben sie bislang umgerechnet rund 25 Millionen Euro für humanitäre Hilfe sowie an für das Militär des Landes gespendet. Auch eine "Cyber-Armee" hat die ukrainische Regierung ins Leben gerufen.

Derzeit sei es wichtig, "dass unsere Kunden uns weiter unterstützen und die Verträge aufrechterhalten", unterstrich Vasyuk. Diesen Appell trägt Cecilia Bonefeld-Dahl, Geschäftsführerin des europäischen IT-Verbands DigitalEurope, mit. Vertragsverlängerungen seien wichtig "neben humanitärer Hilfe und technischer Ausrüstung, die für die Kommunikation benötigt wird". Zuvor hatte es Meldungen gegeben, dass die ukrainische Regierung für den Fall der Fälle einen Umzug eigener Server und darauf gespeicherter Daten ins Ausland vorbereite. Derzeit liege der Fokus aber auf der Absicherung der IT-Infrastruktur.

"Die Ukraine mit ihren vielen jungen Tech-Unternehmen und IT-Spezialistinnen und -Spezialisten ist ein wichtiger Entwicklungspartner der digitalen Wirtschaft in Deutschland", betonte der Bitkom jüngst. Die hiesigen Digitalunternehmen täten das ihnen Mögliche, "die Menschen, die nun aus der Ukraine zu uns kommen werden, bestmöglich in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben in unserem Land zu integrieren". In einer Zeit, in der sich soziale Beziehungen immer stärker in der digitalen Welt entwickelten und in der es "um Brain statt um Bodenschätze geht", sei "dieser brutale und menschenverachtende Feldzug noch sinnloser, als es Kriege ohnehin sind".

()