Verbraucherschützer gehen mit Musterklage gegen Stromio vor

Die Verbraucherzentrale Hessen hält es für rechtswidrig, dass der Energieversorger Stromio rückwirkend zahlreiche Verträge beendete. Sie will daher klagen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 24 Kommentare lesen
Electricity,Transmission,Pylon,Silhouetted,Against,Blue,Sky,At,Dusk

(Bild: chuyuss/Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Verbraucherschützer wollen erreichen, dass Kunden Lieferstopps bei Anbietern wie Stromio oder gas.de nicht mehr einfach hinnehmen müssen und gegebenenfalls Schadenersatz bekommen. Die Verbraucherzentrale Hessen bereitet daher gegen den Energieversorger Stromio eine Musterfeststellungsklage vor, nachdem dieser im Dezember Stromlieferverträge für zwei seiner Marken überraschend eingestellt hatte. Mit der Initiative sollen die Rechte der Betroffenen gesichert werden.

Auch Sicht der Verbraucherschützer war das Vorgehen des Billiganbieters rechtswidrig. "Stromio bricht seine vertraglichen Pflichten", erklärte Philipp Wendt, Vorstand der Verbraucherzentrale Hessen. Das sei inakzeptabel: "Verträge sind einzuhalten. Dieser Grundsatz gilt auch für Unternehmen. Mit unserer Musterfeststellungsklage lassen wir im Grunde klarstellen, dass Stromio entstandene Schäden ersetzen muss."

Das Kaarster Unternehmen begründete seinen Schritt, Verbraucher nicht mehr mit Strom zu beliefern, mit den zuletzt erheblichen Preissteigerungen auf dem Strommarkt. Die Kunden fielen damit in die Grundversorgung zurück, häufig mit einem vergleichsweise teuren Basistarif für Neukunden. Für die Verbraucherzentrale kommt das Verhalten Stromios einem Vertragsbruch gleich. Preissteigerungen zählten zum normalen unternehmerischen Risiko. Dieses müsse der Anbieter tragen und dürfe es nicht ungefragt auf seine Kundschaft abwälzen.

Mit der Musterklage wollen die Verbraucherschützer daher nun im Namen der Betroffenen gegen Stromio vorgehen. Sie wollen vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf feststellen lassen, dass der Discountlieferant seine Pflichten verletzt hat. Damit sollen die ehemaligen Vertragspartner Schadensersatz erhalten können. Wendt erläutert: "Wir erwarten hier je nach Laufzeit durchaus erhebliche Schadenssummen von mehreren hundert Euro pro Vertrag".

Die Verbraucherzentrale geht allein in Hessen von über 10.000 Betroffenen aus, bundesweit etwa 100.000. Diese sollen sich bald in das Klageregister eintragen können, um von den Wirkungen der Klage zu profitieren. Der kostenlose Beitritt ist möglich, sobald das Bundesamt für Justiz das Register eröffnet hat. Erfahrungsgemäß wird das nach der in Kürze geplanten Klageerhebung noch einige Wochen dauern.

Die Verbraucherzentrale hat angekündigt, auf ihrer Webseite laufend über den aktuellen Stand zu informieren. Momentan bereiten ihre Anwälte die Klageschrift vor. Die Bundesregierung will ihrerseits zeitnah gesetzlich gegen kurzfristige Kündigungen von Strom- und Gasverträgen vorgehen.

Der Gesetzgeber führte die sogenannte Eine-für-alle-Klage 2018 ein. Verbraucher sollen mit dem Instrument nicht länger die Dummen sein, wenn sich Unternehmen nicht rechtstreu verhalten. Wenn rechtzeitig mindestens 50 Einträge im Klageregister vorliegen, findet bei Gericht eine mündliche Verhandlung statt. Dort werden die juristischen Fragen geklärt. Anschließend kommt es entweder zu einem Vergleich oder zu einem Urteil. Der Vergleich hat den Vorteil, dass Betroffene schneller zu ihrem Recht kommen, da eine potenzielle Revision entfällt.

Prozesskostenrisiken bestehen für Verbraucher, die sich für eine solche Klage anmelden, nicht. Diese trägt der für viele Betroffene gleichzeitig vor Gericht ziehende Verband, in diesem Fall die Verbraucherzentrale. Andere Musterklagen laufen aktuell etwa gegen Daimler wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen. Ein anderes solches Verfahren gegen Volkswagen endete im April 2020 nach einer Verhandlung vor dem OLG Braunschweig mit einem Vergleich, von dem gut 245.000 Besitzer von VW-Dieselautos profitierten.

(mho)