Verträge & Preiserhöhungen: Beim Verbraucherschutz droht Rückschritt
Kunden müssten Änderungen bei Verträgen etwa mit Banken oder Streaming-Diensten bald nicht mehr ausdrücklich zustimmen, schlagen Verbraucherschützer Alarm.
Vor "drastischen Einschnitten" beim Schutz vor einseitigen Vertragsänderungen warnt der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Bei Änderungen oder Verlängerungen kommt es häufig zu Preiserhöhungen und/oder Einschränkungen der Leistung. In der Regel geht das nur mit Zustimmung der Betroffenen. Das könnte sich bald ändern, verweist der vzbv auf einen Plan des Bundesjustizministeriums (BMJ). Demnach würde Schweigen von Kunden erstmal als Zustimmung gewertet. Das wäre eine massive Beschneidung in die Vertragsfreiheit mit negativen Folgen für Verbraucher.
Hintergrund ist das sogenannte Postbank-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) von 2021. Die Karlsruher Richter erklärten damit Klauseln für unwirksam, die Vertrags- und Preisänderungen grund- und grenzenlos ohne ausdrückliche Zustimmung der Verbraucher ermöglichten. Auf Basis dieser BGH-Grundsatzentscheidung müssen etwa Banken derzeit eine aktive Einwilligung ihrer Kunden einholen, um vorgenommene Vertrags- und Preisänderungen umsetzen zu können. Üben sie dabei beispielsweise beim Zugang zum Online-Banking massiven Druck aus, gilt das als rechtswidrige Nötigung, hat das Landgericht Düsseldorf gerade in einem Beschluss gegen die Targobank geurteilt.
Das BMJ arbeitet laut vzbv nun an einem Gesetzesvorschlag, der die Folgen des BGH-Urteils zur Zustimmungspflicht bei Finanzinstituten in der Praxis revidieren würde und weit über den Bankenbereich hinaus Auswirkungen hätte. Derzeit können Unternehmen entweder die Einwilligung ihres Vertragspartners zu einer Vertragsänderung einholen oder den bestehenden Vertrag kündigen und gleichzeitig ein neues Angebot mit neuen Konditionen unterbreiten. Beide Vorgehen haben laut vzbv gemeinsam, dass Kunden aktiv werden müssen, wenn sie die Kündigung nicht hinnehmen wollen. Geht es nach der derzeit im BMJ diskutierten Gesetzesreform, müssten Verbraucher bei bestimmten Verträgen künftig Änderungen nicht mehr ausdrücklich bewilligen, damit diese wirksam werden.
"Freifahrt für Preiserhöhungen"
"Ein Stillschweigen darf grundsätzlich nicht als Zustimmung gewertet werden", hält vzbv-Vorständin Ramona Pop dagegen. "Das käme einem drastischen Einschnitt in die Vertragsfreiheit gleich." Anbieter dürften auf keinen Fall durch die vorgesehene Rolle rückwärts beim Verbraucherschutz "einen Freifahrtschein für einseitige Preiserhöhungen erhalten". Die Vergangenheit habe gezeigt, "dass hier nicht immer Fair Play gespielt wurde". Die vorgesehenen Änderungen würden Verbraucher im Alltag deutlich schlechter stellen und Unternehmen enorme Preisgestaltungsmacht verleihen.
"Ständig müssten die Menschen aufpassen, dass ihnen keine Preiserhöhungen untergejubelt werden", gibt Pop zu bedenken. Für Unternehmen würde es zugleich mit einem Schlag viel einfacher, bestimmte Dauerverträge quasi einseitig zu Lasten ihrer Kundschaft zu ändern. Bis zum Postbank-Urteil haben Banken ihre Preise für Girokonten kräftig erhöht, ohne dass Verbraucher ausdrücklich einwilligen mussten. Der Branchendienst Finanz-Szene errechnete durchschnittliche Preiserhöhungen von fast 40 Prozent im Zeitraum von 2015 bis 2021. Der vzbv hat daher Musterfeststellungsklagen gegen einseitige Gebührenerhöhungen gegen Sparkassen in Berlin und im Raum Köln-Bonn erhoben. Setzte sich die Bankenlobby mit ihren Forderungen beim BMJ durch, schwänden die Erfolgsaussichten für derartige Verfahren mit Breitenwirkung. Entscheidungen über erhöhte Preise wären nur noch im Einzelfall möglich.
Außerdem hätte die Freigabe einseitiger Preiserhöhungen Auswirkungen auf den Wettbewerb: Unternehmen könnten mit sehr niedrigen Preisen werben, um nach Vertragsabschluss bald die Preise anzuheben. Unternehmen, die nicht so vorgehen, hätten Nachteile bei der Kundengewinnung.
Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums erklärte inzwischen gegenüber heise online: "Fortlaufende Verträge müssen mitunter an veränderte Gegebenheiten angepasst werden." Es liege im Interesse von Unternehmen wie Verbrauchern, dass solche Änderungen "ohne unnötigen bürokratischen Aufwand möglich sind". Das BMJ wolle daher mehr Rechtssicherheit rund um die sogenannte Fiktionsklausel schaffen nach dem Motto: "Wenn der Kunde innerhalb einer angemessenen Zeit nicht widerspricht, dann darf angenommen werden, dass er mit der Vertragsänderung einverstanden ist." Im Gegenzug solle die Ausübung dieser Klausel aber einer strengeren Kontrolle unterzogen werden. Die einschlägige BGH-Rechtsprechung werde beachtet. Zugleich geht das BMJ davon aus, dass "die allermeisten Kunden" wie bisher auch "ein Angebot zur Änderung des Vertrags annehmen wollen". Alle anderen könnten nach dem Opt-out-Modell widersprechen.
(ds)