Vier-Tage-Woche​: Weniger Arbeit – gleiches Gehalt?​ ​

In Großbritannien haben Firmen die Vier-Tage-Woche getestet und überraschende Ergebnisse erzielt. Ist weniger Arbeit bei gleichem Gehalt auch ein Thema für uns?

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(Bild: fizkes/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg

Mehr Produktivität, weniger Krankheitsfälle, seltener Kündigungen. Das sind Ergebnisse eines wissenschaftlich begleiteten Pilotprojekts in Großbritannien zu einer Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt. Gut 60 Firmen haben sich am Projekt beteiligt – und fast alle wollen das Modell beibehalten. Ist das auch ein Thema für Deutschland? Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall und die IG Metall mit Argumenten dafür und dagegen.

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Sophie Jänicke, Gewerkschaftssekretärin beim Vorstand der IG Metall

Eine echte Vier-Tage-Woche bedeutet Verkürzung der Arbeitszeit von 35 auf 32 Stunden pro Woche. Denn die gesetzlich festgelegte tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden dient dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten. Wer langfristig länger arbeitet, gefährdet seine Gesundheit. Aktuell sehen wir, dass Unternehmen mit der Vier-Tage-Woche experimentieren: Es gibt die echte Vier-Tage-Woche mit vollem Entgeltausgleich, es gibt Vier-Tage-Woche Teilzeit-Modelle, es gibt die Vier-Einhalb-Tage-Woche, in der die Beschäftigten jeden zweiten Freitag freihaben und vieles mehr. Was der IG Metall dabei wichtig ist: Eine Vier-Tage-Woche soll zur Entlastung der Beschäftigten und zu besserer Work-Life-Balance führen. Wenn dies nicht gewährleistet ist, weil etwa bei einer 40-Stunden-Woche regelmäßig zehn Stunden pro Tag gearbeitet werden muss, ist sie nicht sinnvoll.

Viele Vollzeitbeschäftigte würden gerne kürzer arbeiten, damit sie die Erwerbsarbeit besser mit anderen Lebensbereichen verbinden können. Eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Pflege von Angehörigen, aber auch Qualifizierung in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt fordern Zeit. Die Generation Z, die bald ein Drittel aller Berufstätigen ausmachen wird, legt großen Wert auf ein erfülltes Leben neben der Arbeit. Und die Millennials werden nicht zögern, sich einen neuen Job zu suchen, wenn Unternehmen ihnen nicht die nötigen Freiräume dafür bieten. In Zeiten von zunehmendem Fachkräftemangel geht das.

In der digital-ökologischen Transformation brauchen wir Antworten auf die Frage, wie gute Industriearbeit in Zukunft aussehen kann. Die Vier-Tage-Woche kann eine Antwort auf die Frage sein, wie der Strukturwandel etwa in der Automobilindustrie zu guter Arbeit für Viele führen kann und nicht zu Entlassungen und Profit für Wenige. Dass kürzere Arbeitszeiten in schwierigen Zeiten zusätzlich Beschäftigung sichern können, ist unbestritten. In der Metall- und Elektroindustrie hat die IG Metall 2021 einen Tarifvertrag abgeschlossen, der die Vier-Tage-Woche für Unternehmen mit Beschäftigungsproblemen inklusive Teilentgeltausgleich ermöglicht. Ein erster Schritt.

Bisher gibt es nur einzelne Unternehmen, in denen regelmäßig vier Tage in der Woche gearbeitet wird – meist im Tech-Bereich. Denkt man das Modell größer, wird die Frage nach einem Entgeltausgleich bei kürzerer Arbeitszeit immer wichtiger. Hier meinen wir: Eine Verkürzung der Arbeitszeit muss mindestens mit Teilentgeltausgleich erfolgen. Das ist durchaus finanzierbar. Modellstudien zeigen, dass die Produktivität von Unternehmen bei kürzeren Arbeitszeiten steigt.

Zugegeben: Als Arbeitsmodell für alle ist die Vier-Tage-Woche Zukunftsmusik. Aber was wäre das für eine Zukunft, wenn wir nicht dazu tanzen können?

Martin Leutz, Sprecher des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall

Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD haben wir in Deutschland die kürzesten Arbeitszeiten aller Mitgliedstaaten. Demnach liegt Deutschland bei der geleisteten Arbeit mit 1.349 Stunden im Jahr weit unter dem OECD-Durchschnitt von 1.716 Stunden. Gleichzeitig haben wir schon einen Rechtsanspruch auf Teilzeitbeschäftigung. Das heißt: Wir arbeiten heute schon weniger als andere, und wer noch weniger arbeiten will, kann das jederzeit tun. Natürlich bei entsprechend niedrigerem Verdienst, alles andere wäre unfair – denn wer länger arbeitet, soll ja auch mehr verdienen.

Klimaschutz, Demografie, Digitalisierung sind drei Schlagworte, die für eine enorme Arbeitsleistung stehen, die wir als Gesellschaft erbringen müssen, um unseren Wohlstand und unseren Sozialstaat erhalten zu können. Wir brauchen Erfindungen und neue Produkte. Irgendjemand muss diese Produkte entwickeln, herstellen und warten. Der demografische Wandel bedeutet gleichzeitig nichts anderes, als dass es weniger Menschen bei uns gibt, die die anfallende Arbeit erledigen können. Wir werden den Fachkräftemangel nicht lösen, indem alle noch weniger arbeiten.

Wir hören gelegentlich, dass Menschen doch viel produktiver seien, wenn sie nur vier Tage arbeiteten. Aber was bedeutet das? Da ist die Behauptung, dass sie an vier Tagen sogar mehr schaffen würden als sonst an fünf. Das geht nur, wenn sie vorher so viel Leerlauf hatten, dass es ohne Probleme möglich ist, die Arbeit weiter zu verdichten. Ich will nicht ausschließen, dass es solche Arbeitsplätze gibt. Aber die Regel ist es nicht und gerade in der Industrie habe ich nie den Eindruck gewonnen, dass die Beschäftigten in den Fabrikhallen so herumtrödeln, dass sie die gleiche Arbeit auch in noch kürzerer Zeit schaffen würden.

Eine andere Frage ist, ob wir die vorhandene Arbeit auf vier Tage legen könnten, aber in der Summe eben nicht weniger arbeiten – also das, was Belgien als Option eingeführt hat. Wer in Vollzeit an vier Tagen neun bis zehn Stunden am Tag arbeitet, kann drei freie Tage bekommen. Mehr Flexibilität bei der Verteilung der Arbeitszeit ist in beiderseitigem Interesse. Unter Beachtung der betrieblichen Notwendigkeiten sollten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich auf passende Arbeitszeitmodelle einigen können. Dazu gehört ein entsprechend flexibles Arbeitszeitrecht. Ein höherer Autonomiegrad der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeit muss einhergehen mit einer größeren Eigenverantwortung der Arbeitnehmer für ihre Arbeitszeit und auch deren Erfassung.

Ich verstehe, dass die neuzeitliche Fassung der Schlaraffenland-Erzählung schön klingt. Das Paradies sollte man aber doch den Theologen überlassen. Wer die Illusion weckt, sie könnten mit weniger Arbeit genauso gut leben, der führt die Menschen nur in die Irre.

(axk)