WIPO-Reform: Löcher sind so wichtig wie der Käse

Die UN-Weltorganisation für Geistiges Eigentum soll sich nach Ansicht von Bürgerrechtlern und Aktivisten für eine Neudefinition des Urheberrechts alternativen Modellen öffnen und das öffentliche Interesse stärker im Blick behalten.

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Von
  • Monika Ermert

Aus der World Intellectual Property Organisation (WIPO) soll die "World Innovation in the Public Interest Organisation" werden. Das forderten heute in Genf internationale Verbraucherschutzorganisationen, die unter dem Dach des Transatlantic Consumer Dialogue (TACD) zusammenarbeiten, bei einer Konferenz zur Zukunft der WIPO. "Die WIPO sollte die Globalisierung eines gerechten Ausgleichs als Job ansehen", sagte Sir John Sulston, Wissenschaftler vom Sanger Centre Welcome Trust und maßgeblich am Human Genome Project beteiligt. Stattdessen habe die in Genf ansässige Organisation auf der Basis von einen Dutzend internationalen Verträgen einseitig Interessen von Rechteinhabern verteidigt und beständig ausgeweitet. Wenn in vierzehn Tagen die General Assembly der WIPO-Mitgliedsstaaten tagt, wollen Brasilien und Argentinien sich für eine grundsätzliche Reform stark machen. Den Ausgang bezeichneten Vertreter der Verbraucherschützer und Bürgerinitiativen als offen.

"Wir sind mitten in einer Schlacht um die künftige Ausrichtung der WIPO," sagte James Love vom Consumer Project for Technology und einer der Organisatoren der Konferenz. Love hat vor einem Jahr einen Brief mit unterzeichnet, in dem die WIPO aufgefordert wurde, sich auch um alternative Wege zum klassischen Patent- und Urheberrechtswesen zu kümmern. Statt sich -- wie derzeit für den Rundfunk- und Fernsehbereich -- um eine Ausweitung und Verlängerung von Schutzfristen für die Rechteinhaber zu kümmern, solle die Organisation auch Modelle wie Open-Source- und die Creative-Commons-Lizenzen fördern; die WIPO müsse das öffentliche Interesse im Blick behalten.

"Ganz langsam spürt man bei der WIPO, dass das alte System nicht so ganz in Ordnung ist", meint Love. Aber man sei noch weit von echten Veränderungen entfernt. Gegen eine von der WIPO geplante Tagung zu Open-Source-Softwarelizenzen hatte Microsoft Druck gemacht; das US-Patentbüro hatte schließlich sein Veto eingelegt. "Hat die WIPO denn nun eine gesellschaftliche Aufgabenstellung oder ist sie eine Geisel von Microsoft?", fragt sich Love. Viel zu wenig habe die WIPO ihre nachträgliche Anerkennung als UN Organisation nachvollzogen, sagte Sisule Musungu vom kenianischen South Centre. Als UN-Organisation sollte die WIPO einen Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern schaffen. Creative Commons habe darauf bereits mit Vorzugslizenzbedingungen für Entwicklungsländer reagiert.

Creative-Commons-Initiator Lawrence Lessig forderte dringend, die tatsächlichen wirtschaftlichen Effekte beim Schutz des Geistigen Eigentums mit zu berücksichtigen. Derzeit werde geistiges Eigentum von vielen Juristen wie eine Religion verteidigt. Stattdessen gelte es zu differenzieren, wo der Schutz tatsächliche Innovation fördere und dem öffentlichen Interesse statt Monopolinteressen diene. "Ich habe die WIPO bislang noch nicht sagen hören, dass sie das öffentliche Interesse vertrete", kritisierte Lessig. Das Gros kultureller Produktion falle inzwischen längst nicht mehr unter ein klassisches Urheberrechtssystem. Wirtschaftlich keinen Sinn würde auch die derzeit in den USA diskutierte verschärfte Copyright-Gesetzgebung machen, die nach Befürchtung von Bürgerrechtlern Geräte illegal machen könnte, die auch zu Urheberrechtsverletzungen benutzt werden könnte.

Ein weiteres Beispiel lieferte bei der Konferenz auch die EU-Datenbanken-Direktive. Rogier Wezenbeek von der Europäischen Kommission räumte ein, dass Studien zu den wirtschaftlichen Konsequenzen des urheberrechtlichen Schutzes für Datenbanken unterschiedlich ausfallen. "Wir sind uns bewusst, dass es Studien gibt, die die gesamtgesellschaftlichen Effekte negativ beurteilen", sagte Wezenbeek gegenüber heise online. Die Evaluierung der Direktive, die schon seit einiger Zeit auf der Agenda steht, soll nun bis Mitte kommenden Jahres abgeschlossen werden. Die USA, die bislang solche strukturierten Datensammlungen trotz gegenteiliger Gesetzesvorhaben noch nicht schützen, habe einen sechs bis acht mal so großen Markt, sagte der britische Rechtswissenschaftler James Boyle. Es sei im Übrigen wegen hoher Preise für die Nutzung dieser Datenbanken auch zu beobachten, dass europäische Kunden ebenfalls in den USA einkauften.

Boyle entwarf daher für die anwesenden WIPO-Vertreter, die vor allem ihren Willen zu verstärkter Zusammenarbeit mit den Verbraucherschützern betonten, eine WIPO 2010. Die werde im Idealfall ein echter Moderator der verschiedenen Interessen und Wächter über den Zugang zu Geistigem Eigentum sein. Wie beim Schweizer Käse seien nämlich die Löcher ebenso wichtig wie der Käse selbst. (Monika Ermert) / (jk)