WIWE: Mobiles EKG für Android oder iPhone
Apple behauptet, die neue Watch Series 4 sei das erste mobile EKG für Konsumenten. Dabei gibt es längst andere Lösungen.
Apples COO Jeff Williams meinte bei der Vorstellung der neuen Apple Watch 4, dies sei das erste EKG-Produkt, das direkt für Endnutzer angeboten werde, man habe dafür auch eine Zulassung durch die zuständige US-Behörde FDA (Food and Drug Administration) erhalten. Dabei hat die Uhr, die ab morgen ausgeliefert wird, diese Funktion noch gar nicht.
Einen Vorteil hat die Apple Keynote aber für die Mitbewerber AliveCor und Sanatmetal, die schon längst Produkte im Markt haben. Auf einmal kommt das Thema ins Bewusstsein einer breiteren Bevölkerungsschicht. Die Tatsache, dass die EKG-App zunächst nur in den USA erscheinen soll, vermutlich mit dem watchOS 5.1 Update, macht sie nur noch begehrenswerter.
Apple Watch trifft auf etablierte Konkurrenz
Dabei benötigt man keine neue Apple Watch, um jederzeit seine Herzaktivitäten mit einem Einkanal-EKG aufzuzeichnen. Das amerikanische Unternehmen AliveCor, dessen CEO Vic Gundotra einst für Google+ verantwortlich war, hat mehre Produkte, darunter das auch in Deutschland erhältliche Kardia Band, ein Armband für die Apple Watch. In Europa bietet Sanatmetal, ein ungarischer Hersteller von Körperimplantaten wie künstliche Knie- oder Hüftgelenke, das WIWE im Format eines Visitenkartenetuis an, das sich mit Android-Smartphones oder iPhones verbindet.
Das WIWE hat eine eigene Batterie, die per mitgeliefertem MicroUSB-Kabel für bis zu 50 Messungen aufgeladen wird. Zur Inbetriebnahme installiert man eine Android oder iOS-App, die das WIWE per Bluetooth anbindet. Man erzeugt zunächst einen Account für den Hauptbenutzer, für den alle Messungen lokal abgespeichert werden. Die Daten bleiben stets auf dem Smartphone. Es gibt keinen Cloud Service. Will man Messungen für mehrere Personen verwalten, kann man weitere Profile anlegen. Dem Hauptbenutzer sind zwei Funktionen vorbehalten: Das WIVE kann auch ohne Smartphone aufzeichnen und diese Daten später synchronisieren und es hat einen eingebauten Schrittzähler.
Eine Messung dauert 60 Sekunden
Zur Messung legt man jeweils einen Finger der linken und der rechten Hand auf die beiden Sensoren. Der linke Sensor bestimmt zusätzlich die Sauerstoffsättigung im Blut. Nach zehn Sekunden Kalibrierung beginnt die eine Minute dauernde Aufzeichnung der Herzaktivitäten. Da das WIWE nur einen Stromkreis schließt, spricht man von einem Einkanal-EKG. Die Aufzeichnung entspricht in etwa dem Kanal 1 eines klinischen EKGs, der über die beiden Handgelenk-Elektroden aufgenommen wird.
Nach der Messung analysiert die WIWE-App die gemessenen Daten und klassifiziert das Ergebnis mit Ampelfarben. Grün heißt alle ausgewerteten Parameter liegen im normalen Bereich. Gelb bedeutet, mindestens ein Parameter zeigt eine leichte Abweichung. Mit rot wird eine bedeutende Abweichung gekennzeichnet. Auch wenn das WIVE die einzelnen EKG-Parameter QRS, QTc und PQ genau erklärt, heißt rot schlicht: Geh zu einem Arzt, der sich damit auskennt.
Das EKG ersetzt nicht den Facharzt
Die Kardiologen sehen diese Technik mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist eine Aufzeichnung durch den Patienten sehr hilfreich, weil sie in genau dem Moment erfolgen kann, in dem der Patient Symptome spürt. Andererseits befürchten die Ärzte, dass Menschen zur Selbstdiagnose, oder schlimmer noch zur Selbsttherapie greifen. Die drei grünen Werte, die das EKG liefert, heißen auch keineswegs, dass alles in Ordnung ist. Auch ein roter Wert kann Grund zur Besorgnis sein, muss es aber nicht.
Gut für den Patienten ist, dass er die gemessenen Werte einfach seinem Arzt übermitteln kann. Die App erzeugt ein mehrseitiges PDF, das man per Mail verschicken, aber auch einfach ausdrucken und mitnehmen kann.
Das WIWE soll wie die Apple Watch eine Herzrhythmusstörung finden sowie einen Verdacht auf Vorhofflimmern erhärten können. Das ist insofern bedeutend, dass Vorhofflimmern das Risiko für einen Schlaganfall auf das Fünffache erhöht.
Die dritte Gruppe von Werten, die WIWE auswertet, soll die elektrische Labilität der Herzmuskelzellen bestimmen. Vereinfach gesagt geht es um die Koordination der Herzmuskelzellen. Versagt diese Zusammenarbeit kann es zu einem plötzlichen Herzstillstand kommen. Bei zahlreichen Messungen mit dem WIWE an einem Dutzend Probanden gab es Abweichungen der EKG-Werte, Hinweise auf Arhythmie, aber keinen einzigen Fall mit erhöhter Labilität.
Erst Besorgnis, dann Entwarnung
In einem Fall traten erhebliche Abweichungen im EKG auf. Der umgehend hinzugezogene Kardiologe zeigte sich interessiert, aber auch milde amüsiert. Die Messungen des einen Kanals seien viel zu schwach, um eine Aussage zu erlauben. Die abschließende Klärung ergab dann eine Entwarnung. (vowe)