Wasserstoff: Wie Deutschland seinen Bedarf decken will

Etwa 70 Prozent des künftig in Deutschland benötigten Wasserstoffs wird wohl importiert werden müssen. Die Regierung hat nun dafür eine Strategie vorgelegt.

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Eisenschwamm vor einem Stahlwerk

In einer Pilotanlage von Vattenfall im schwedischen Luleå wurde 2021 der weltweit erste wasserstoffreduzierte Eisenschwamm hergestellt.

(Bild: Vattenfall / Åsa Bäcklin)

Lesezeit: 5 Min.

Die Bundesregierung erwartet für 2045 einen Bedarf von bis zu 500 TWh für Wasserstoff und 200 TWh für Wasserstoffderivate. Bis zu 70 Prozent davon müssen wohl importiert werden. Wie das nachhaltig, stabil, sicher und diversifiziert geschehen könnte, hat die Regierung nun in einer Importstrategie dargelegt. Sie ergänzt die bisherige Nationale Wasserstoffstrategie.

Neben molekularem Wasserstoff kommen diverse Wasserstoffderivate wie Ammoniak, Methanol, Naphtha, strombasierte Kraftstoffe sowie Trägermedien, wie Liquid Organic Hydrogen Carrier (LOHC) in Frage. Dabei müsse frühzeitig berücksichtigt werden, dass es besonders kostengünstig ist, die importierten Derivate möglichst direkt zu nutzen. Derivate in molekularen Wasserstoff zurückzuverwandeln werde aber auch eine wichtige Rolle spielen, heißt es in der Importstrategie (PDF).

Darin ist vorgesehen, parallel Importinfrastrukturen für Pipeline- und Schiffstransporte aufzubauen; Kosten könnten eingespart werden, indem bestehende Erdgas-Infrastuktur umgestellt wird. Pipelines seien besonders für molekularen Wasserstoff geeignet, Transporte per Schiff, auf der Schiene oder Straße vor allem für Wasserstoffderivate, Trägermedien und Folgeprodukte. Aktuell geplante landseitige LNG-Terminals werden so konzipiert, dass diese nach der LNG-Nutzung Wasserstoffderivate anlanden können. Die Wasserstoff-Lieferquellen sollen möglichst diversifiziert werden. Dafür will die Regierung in bi- und multilateralen Kooperationsformen mit Partnerländern, -regionen und internationalen Akteuren zusammenarbeiten.

Greenpeace kritisiert, dass auch sogenannter blaue Wasserstoff importiert werden soll, der aus Erdgas hergestellt wird. Das dabei entstehende CO₂ werde mit CCS (Carbon Capture and Storage) abgeschieden und gespeichert. Greenpeace-Energieexpertin Mira Jäger erläutert, die CO₂-Speicherung sei unwirtschaftlich und nicht ausreichend erprobt. Fossile Unternehmen könnten damit zu lange an ihrem klimaschädlichen Geschäft mit Gas festhalten. Das behinder die dringend notwendige Entwicklung zu einer klimaneutralen Wirtschaft erheblich. "Nur Grüner Wasserstoff ist klimafreundlich, denn er wird vollständig mit erneuerbaren Energien erzeugt."

Für den Wasserstoff-Transport soll das geplante deutsche Kernnetz laut der Strategie als Grundgerüst dienen. Die Fernleitungsnetzbetreiber haben dazu bereits 9700 km Leitungen beantragt. Mit dem Netz soll möglichst bis 2032 Elektrolyseure, Importterminals und -pipelines, Industriezentren, Kraftwerke und Kraft-Wärme-Kopplungs-(KWK)-Anlagen sowie unterirdische Speicher miteinander verbunden werden. In einer zweiten Stufe soll in einer integrierten Netzentwicklungsplanung Gas und Wasserstoff das Kernnetz zu einem vermaschten Transportnetz weiterentwickelt werden.

Das deutsche Wasserstoff-Kernnetz soll über Interkonnektoren und transeuropäische Wasserstoffimportkorridore an die entstehenden Wasserstoffnetze von EU-Mitgliedstaaten und Anrainerländern angebunden werden. Die erste Aufbaustufe eines transeuropäischen Wasserstoffnetzes stellen Infrastrukturprojekte wie jene der Förderungswelle "Hy2Infra" dar, bei denen es um die Erzeugung, Transport und Speicherung von Wasserstoff geht.

Zwischen Deutschland und Dänemark soll die erste grenzüberschreitende Pipeline entstehen, sie wird gerade vorbereitet. Für eine Pipeline zwischen Norwegen und Deutschland wird zurzeit eine Machbarkeitsstudie erstellt, mit Großbritannien sprechen deutsche Vertreter über ein ähnliches Projekt. Laut aktuellem Antragsentwurf vom November 2023 sieht das Wasserstoff-Kernnetz bis 2032 vier deutsch-niederländische Interkonnektoren und einen deutsch-belgischen Interkonnektor vor.

Im Ostseeraum werden derzeit zwei Pipelines entwickelt: Eine Offshore-Leitung durch die Ostsee ("Baltic Hydrogen Collector") und eine Onshore-Leitung durch das Baltikum und Polen ("Nordic Baltic Hydrogen Corridor") sollen Verbindungen zwischen Finnland und Deutschland herstellen. Der Südwestkorridor sieht die Verbindung von Spanien, Portugal und möglicherweise Marokko via Frankreich mit Deutschland vor. Hier erwähnt die Importstrategie das Pipelineprojekt "H2Med" und dessen Anbindung nach Deutschland "Hy-FEN". Größtenteils mit umgewidmeten Erdgasleitungen soll Wasserstoff von Algerien, Tunesien, Italien und Österreich nach Deutschland strömen.

Zur Importstrategie gehört auch, den internationalen Wasserstoffmarkt mit aufzubauen. Hierzulande soll deshalb mit Förderinstrumenten und Anreizsystemen die Nachfrage gestärkt werden. Dafür sollen Rahmenbedingungen gesetzt und Planungssicherheit geschaffen werden. Der Wasserstoffhochlauf erfordere zudem Nachhaltigkeitsstandards und Transparenz über die Eigenschaften der gehandelten Wasserstoffprodukte, heißt es weiter in der Strategie. Hier seien die Erneuerbare-Energien-Richtlinie sowie die Gas- und Wasserstoff-Binnenmarktrichtlinie der EU maßgeblich.

Besonderen Bedarf an Wasserstoff sieht die Bundesregierung in der Stahlindustrie, die ihre Hochöfen zurzeit mit Koks betreibt. Stattdessen könne in Direktreduktionsanlagen Eisenschwamm erzeugt werden, der anschließend zu Stahlprodukten weiterverarbeitet werden kann. In der Grundstoff- und Petrochemie werde bereits lokal Wasserstoff mit Dampfreformierung produziert und direkt als chemischer Rohstoff genutzt. Ersatzbedarf gebe es hier für petrochemische Grundstoffe, die heute durch Steamcracking aus Naphtha erzeugt werden, und als Brenngas für Hochtemperaturprozesse. Als weitere Beispiele für Wasserstoffbedarf werden in der Importstrategie der Schiffs-, Luft- und Schwerlaststraßenverkehr aufgezählt. In all diesen Bereichen soll geforscht und gefördert werden.

(anw)