Web3 und Metaverse: Experten warnen Bundestag vor "toxischer" Technik

Aktuelle Entwicklungen mit Blockchain und 3D-Avataren werfen ethische Probleme auf und könnten zur "digitalen Leibeigenschaft" führen.

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Hauptgebäude des Deutschen Bundestages

(Bild: Mummert-und-Ibold/Shutterstock.com)

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Unter den Begriffen Web3 und Metaverse werden derzeit Konzepte zur Weiterentwicklung des Internets auf Basis von Blockchain-Anwendungen wie Kryptowährungen und 3D-Avataren diskutiert. Die Mehrheit der Sachverständigen beäugte diese Bestrebungen bei einer Anhörung im Digitalausschuss des Bundestags am Mittwoch sehr kritisch. Jürgen Geuter, Forschungsdirektor des Virtual-Reality-Studios ART+COM bezeichnete es als "kompletten Wahnsinn", extrem kritische persönliche Daten technischer Infrastruktur zu überlassen, die die Nutzer gar nicht beherrschen könnten.

Den Begriff Web3 habe der Gründer des Blockchain-Netzwerks Ethereum, Vitalik Buterin, geprägt, erläuterte der Dresdner Informatikprofessor Boris Hollas. Eine Blockchain funktioniere wie ein Journal in der Buchführung, in dem Transaktionen digital signiert und zu einer immer nachvollziehbaren Kette von Blöcken zusammengefügt würden. Es sei dann nicht mehr möglich, Einträge zu ändern. Dieses (nicht neue) Datenbankverfahren wird derzeit für Kryptowährungen, Smart Contracts und NFTs eingesetzt. Für ein globales Netz seien Blockchains aufgrund des hohen Verbrauchs von Bandbreite, Speicherplatz und Rechenleistung "denkbar ungeeignet".

Versprechen der Web3-Befürworter eines dezentralen, unabhängigen Netzes, frei von großen Tech-Konzernen, hätten sich nicht erfüllt, hob Geuter alias "tante" hervor. Die Realität der Welt der Kryptowährungen sei durchsetzt von Betrug. Mit ein "paar langsamen Datenbanken" seien die Probleme des Internets und der Welt nicht zu lösen. Einmal eingespeiste persönliche Informationen ließen sich nie mehr rückabwickeln.

An diesem Punkt knüpfte auch Malte Engeler, Richter am Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein, seine Einwände an. Die Blockchain ist ihm zufolge als dauerhaftes Speichermedium prinzipiell inkompatibel mit der Menschenwürde, der EU-Grundrechtecharta und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Letztere enthalte ein Recht auf Vergessenwerden, das mit Blockchains gerade nicht abbildbar sei.

Mit dem Web3 würde die Gesellschaft "fundamentale Errungenschaften der Demokratie aufgeben", führte Engeler aus. Mit in die Blockchain eingespeisten Daten könnten alle relevanten analogen Vorgänge digital abgebildet, also digitale Zwillinge geschaffen werden. Das damit verknüpfte Dateneigentum bedeute bei Körperdaten eine "digitale Leibeigenschaft". Individuen würden darauf reduziert, durch Verträge zu handeln. Dies sei eine "toxische Technologie", die "autokratische Ideologien" umsetze.

Im Web3 gehe es darum, alle Transaktionen und Güter zu "tokenisieren", also quasi in Währungseinheiten umzurechnen, bestätigte die Softwareentwicklerin Lilith Wittmann. Sogar Applaus könne man sich so "mit Spielgeld" kaufen. Mit bestehendem Vertragsrecht sei dies unvereinbar. Zudem sei die Blockchain-Technik "seit über 15 Jahren im experimentellem Stadium". Ob sie diese Phase angesichts des ständigen Verlusts von Finanzwerten und dem Abfluss persönlicher Daten je verlasse, stehe in den Sternen.

Die selbsternannte "Krawall-Influencerin" beklagte daher, dass die Bundesregierung trotzdem bereits über 65 Millionen Euro auf dieses tote Pferd gesetzt habe. Projekte wie die an konzeptionellen IT-Sicherheitslücken gescheiterte ID Wallet, das digitale Schulzeugnis und ein Speicher für Asylanträge beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wiesen in die falsche Richtung. Besser wäre es, alternative Techniken wie das semantische Web zu fördern, mit dem Daten einfach und maschinenlesbar zugänglich sowie verknüpfbar gemacht werden sollen. Web-Begründer Tim Berners-Lee hat dafür den Begriff "Web 3.0". geprägt. Er will vom Web3 nichts wissen.

Über die Blockchain werde alles in kommerzielle Transaktionen überführt, hieb Elizabeth Renieris, Gründerin der Beratungsfirma Hackylawyer, in die gleiche Kerbe. Prinzipiell werde so der Überwachungskapitalismus verstärkt. Mit diesem Recycling der Vorstellung eines libertären Cyberraums seien "gravierende ethische Probleme" verbunden, die sich teils gegen die Demokratie richteten. Der Gesetzgeber müsse daher zumindest Balance mit dem öffentlichen Interesse sicherstellen.

Das Web3 schade den Verbrauchern immer mehr, monierte Molly White, Forscherin an einem Innovationslabor der Harvard-Universität. Nur für Datenanalysten und Gründer, die auf Wagniskapital spekulierten, sei die Blockchain ein gefundenes Fressen. Währungen wie Bitcoin hätten das Finanzsystem nicht wirklich für mehr Menschen geöffnet, sondern vor allem Diebstahl ermöglicht. Viele Web3-Projekte seien selbst sehr zentralisiert, sodass auch von einer Teilung der Macht keine Rede sein könne.

Auch das Metaverse, das Neal Stephenson 1992 mit Snow Crash als Dystopie konzipiert hat, "repliziert kapitalistische Strukturen", spann Geuter den Bogen weiter. Dies sei wohl auch Punkt 1 auf der To-Do-Liste von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der seinen Dachkonzern deswegen sogar Meta getauft hat. Virtual Reality (VR) sei schon "seit 30 Jahren immer die Zukunft, die bald kommt". ART+COM baue entsprechende eigene Hardware, reüssiere damit aber "eher in Nischen wie Architektur und Design". Die Technik sei jedenfalls marktreif, sodass die Politik "nicht noch viel Geld draufwerfen" müsse.

Die aktuellen zweidimensionalen Medien seien in Bezug auf das Realitätsverständnis "wenig praktikabel", hielt Philipp Rauschnabel, Professor für digitales Marketing und Medieninnovation an der Universität der Bundeswehr München, dagegen. "Wir surfen auf dem Internet, im Metaverse werden wir tauchen", veranschaulichte er den möglichen Paradigmenwechsel. Die Nutzer seien dann endlich wirklich "drin", beispielsweise durch virtuelle Hologramme oder Avatare.

Mit Hardware, softwarebasierter Technik, Plattformen und Inhalten skizzierte Rauschnabel vier große Märkte für das Metaverse. Prägende Marken dafür existierten heute noch nicht, gefragt seien neue Akteure. Nur bei Hard- und Software dürften etablierte Konzerne eine größere Rolle spielen. Die Abgeordneten ermunterte der Professor daher, die Grundlagenforschung etwa über die Wirkungen von VR-Technik sowie die Extended-Reality-Community zu fördern. Ethische Aspekte wie Tracking-Algorithmen, die die Umgebungen interpretierten, müssten eine Rolle spielen. Er fragte: Wäre es etwa zulässig, sich eine Traumwelt zu bauen und Obdachlose rauszunehmen?

Sebastian Klöß vom IT-Verband Bitkom brach ebenfalls eine Lanze für das Metaverse. Er schwärmte von einem "Riesenpotenzial auch für den Standort Deutschland", da etwa "Echtzeitabbildungen ganzer Maschinenparks" greifbar würden. Menschen mit körperlichen Einschränkungen könnten sich in solchen Online-Räumen so bewegen, "als ob sie diese (Einschränkungen) nicht hätten". Deutschland und Europa dürften die Chance nicht verpassen, die Entwicklung mitzubestimmen. Viel Regulierungsbedarf gebe es aber nicht, da DSGVO & Co schon als Leitplanken dienten.

Technisch einen "dritten Weg" zwischen dem Silicon Valley und China zu gehen, empfahl Ludwig Siegele vom "Economist" den Europäern. Entscheidend sei, weniger kommerzielle Dezentralisierungsprojekte wie Mastodon und Standardisierung zu unterstützen. Mehrere Abgeordnete wunderten sich über viel vorab eingegangene Post. Tenor: Sie hätten zu wenig Experten geladen, die das Web3 bejubeln. Dies sei ungewöhnlich für solche Anhörungen.

(ds)