Wenn Pixel lügen: Bildoptimierung oder Fälschung?

Seite 2: Manipulierte Zeitgeschichte

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Über Photoshop-Schnitzer in der Werbung und peinliche Mängelbeseitigung bei Politikern kann man sich noch amüsieren. Setzt indes der Fälscher seinen Photoshop-Pinsel an politisch oder zeitgeschichtlich bedeutende Dokumente, beginnt der Betrug. Als besonders fälschungsanfällig gelten Aufnahmen aus Krisen- und Katastrophengebieten, denn in der Regel gibt es hier kaum Zeugen. Zu trauriger Berühmtheit gelangte Brian Walski, ein Fotograf der Los Angeles Times, der zwei unmittelbar nacheinander aufgenommene Bilder einer Szene aus dem Irak-Krieg zu einem beeindruckenden Moment kombinierte [2]: Ein aufmerksamer Leser entdeckte, dass zwei Personen doppelt im Bild vorkamen. Walski, der es sogar einmal zum "Photographer of the year" gebracht hatte, musste gehen. In einem Interview mit den Photo District News – einem Magazin für Profi-Fotografen – beschreibt er eindrucksvoll, wie er sich zu der Manipulation hinreißen ließ: Er habe die Bildserie wieder und wieder durchgeblättert, doch nur ein Foto habe das Gesicht des Soldaten gezeigt. Er habe ein wenig herumgespielt. "Es sah gut aus, besser als das, was ich hatte. [...] Ich habe die ethische Frage nicht erörtert, als ich es tat. Ich suchte nach einem besseren Bild."

Der Fall Walski zeigt, wie nah Realität und Fälschung beieinanderliegen: Die Szene hätte sich tatsächlich so abspielen können wie auf der Fotomontage gezeigt. Der Fotograf haderte offenbar damit, dass er die wahre Dramatik des Augenblicks nicht eingefangen, den Soldaten in einigen Bildern der Serie sogar abgeschnitten hatte. Früher habe er nur Kleinigkeiten retuschiert, Stromleitungen und Ähnliches.

Wer Stromleitungen unterschlägt, mutiert früher oder später zum ernsthaften Fälscher? Dass die Gefahr besteht, glaubt jedenfalls GEO-Bildexperte Stefan Bruhn. Jedes Foto, das in GEO erscheinen soll, muss an Bruhn vorbei. Und nicht nur das: Oft bekomme er auch Hilfegesuche aus anderen Redaktionen, erzählt Bruhn gegenüber c't. GEO sei eine der wenigen Redaktionen in Deutschland, die sich einen eigenen Experten für die Bildkontrolle leiste. Seiner Erfahrung nach sei das Problem vieler Fotografen ein zu naiver Umgang mit der neuen Technik Bildbearbeitung: "Es ist häufig kein Unrechtsbewusstsein da", viele seien mit Photoshop und dessen Möglichkeiten aufgewachsen. Echten fotografischen Ehrgeiz sieht Bruhn vor allem noch bei älteren Fotografen, die sogar ein zweites Mal zum Aufnahmeort reisten, um eine Szene perfekt zu erfassen.

Schöne Glamour-Welt: Interessante Einblicke in seine Arbeit für Produktwerbung und Hochglanzmagazine gibt Bildbearbeiter Glenn Feron auf seiner Website (links jeweils Original, rechts die retouchierte Fassung).

(Bild: Glenn Feron)

GEO akzeptiert klassische Dunkelkammertechniken: also Aufhellen, Abdunkeln, Kontrast- und Farbkorrektur, Beschneiden, Kombination eines hellen und eines dunklen Abzugs desselben Fotos. Diese Bearbeitung könne kein Redaktionsmitglied leisten, schließlich habe der Fotograf als einziger die Szene gesehen. Außerdem seien Farbig- und Tonigkeit Ausdruck seines Stils, erläutert Ruth Eichhorn, Director of Photography bei GEO.

Die Manipulation beginnt für die GEO-Prüfer mit Pixelschiebereien. Darunter fallen auch ästhetisch nachvollziehbare Retuschen an ins Bild wuchernden Ästen und Stromleitungen, was bei vielen Fotografen auf Unverständnis stoße. "Aber wir fordern immer auch die Originale an und drucken das Bild dann mit Stromleitungen", erklärt Bruhn. Die Redaktion verlangt zusätzlich zu den bearbeiteten Varianten stets auch die Original-RAW- oder JPEG-Datei von den Fotografen. Wer das Original verweigere, bekomme keine Veröffentlichung in GEO.

Auch bei GEO gab es Zeiten, in denen die Bildmanipulation noch kein Thema war. Im Falle des Fotografen Steve Bloom schlitterte die Zeitschrift haarscharf an einer Peinlichkeit vorbei. Die Redaktion bemerkte gerade noch rechtzeitig, dass der vermeintlich begnadete Wildlife-Fotograf seine beeindruckenden Szenen teilweise am Rechner montiert. Die Bilder wurden den Lesern nunmehr als Diskussionsstoff präsentiert. Bruhn vermutet, dass in den Bildarchiven Zigtausende unentdeckte Fälschungen schlummern. "Beim Stöbern in Bildbänden entdecke ich immer wieder Fälle, die scheinbar jahrelang niemandem aufgefallen sind. Einige Fotografen haben sogar Preise mit sehr dilettantisch montierten Bildern gewonnen." Wie er die Fehler findet? "Ich sehe mir die Bilder anders an, sehe mir sofort die Kontrastkanten und die Grenzen von Objekten an."

Äußerst dilettantische Machwerke beispielsweise waren die geklonten und geschwärzten Rauchwolken über Beirut oder der jüngst als erfolgreicher Raketenstart verkaufte Rohrkrepierer der iranischen Regierung. Obwohl sogar von Laien als Manipulation erkennbar, wurden sie zunächst von Agenturen beziehungsweise seriösen Medien veröffentlicht und erst im Nachhinein als Fälschung entlarvt. "Diese enttarnten Fakes sind lediglich die Spitze des Eisbergs", sagt Bruhn. Er ist überzeugt: "Die meisten Redaktionen sind zu wenig sorgfältig, fordern nicht einmal die Originale an." Diese Naivität sowohl der Fälscher als auch der Publisher nahm der Weblog Gizmodo mit einem Foto-Wettbewerb aufs Korn: Die Teilnehmer bastelten aus den iranischen Raketen ganze Silvester-Feuerwerke oder montierten Irans Präsidenten Ahmadinedschad als mit Spielzeugraketen zündelnden Jungen ins Bild.

Blut statt Wasser: Das Foto zeigt den Tempel der Hatschepsut am Tag nach dem Luxor-Attentat. Das Schweizer Boulevardblatt "Blick" drehte offenbar so lange am Rotkanal, bis die von Reinigungsarbeiten stammenden Wasserlachen wie Blutströme aussahen.

Bei der deutschen Presseagentur wiegt man sich in Sicherheit und vertraut den unter Vertrag stehenden Fotografen. Erlaubt seien ebenfalls die klassischen globalen Korrekturen, bei der Entfernung von Staub und Kratzern werde es schon kritisch, so dpa- Sprecher Justus Demmer gegenüber c't. Gefahr sieht er eher in angebotenem Material, das von externen Fotografen kommt, aber darauf greife die dpa ohnehin nur selten zu. Manipulierte Bilder tauchten dabei so gut wie gar nicht auf: "Maximal ein bis zwei Fälle pro Jahr, aber nichts politisch Brisantes, sondern eher die Kategorie Wetterphänomene mit dramatisierten Wolken", so Demmer.

Auch die Bildredaktion des "Stern" sieht das Vertrauensverhältnis mit Fotografen und Agenturen als Sicherungsleine, um keiner Manipulation aufzusitzen. "Alle sind sich bewusst: Wenn uns wissentlich manipulierte Bilder untergeschoben werden, ohne diese deutlich als solche auszuweisen, ist das ein Vertrauensbruch und führt im Zweifel zur Beendigung der Zusammenarbeit", erklärt Nicole Granzin, Leiterin des Ressorts Bildtechnik, gegenüber c't. Zudem nehmen Bildredakteur und -bearbeiter alle Bilder, die gedruckt werden sollen, genau unter die Lupe. RAW-Dateien fordere man in der Regel nicht an, denn: "Unser Workflow lässt den Durchlauf von RAW-Daten nicht zu und diese werden von uns beim Fotografen auch nur explizit angefragt, wenn es technische Notwendigkeiten dafür gibt, aber nicht, um mögliche Manipulationen zu unterbinden."

Dilettantische Fotomontage als iranische Propaganda: Über den Rohrkrepierer beim Raketenstart wurde einfach die benachbarte Rakete kopiert.

(Bild: AFP/Getty Images)

Bisweilen ziehen Redaktionen auch externe Gutachter hinzu. Eine fast unglaubliche Anekdote aus einem solchen Auftrag erzählte uns der Chefredakteur des Fachmagazins für digitale Bildbearbeitung DOCMA, Doc Baumann: Er sollte Fotos begutachten, die für einen Politiker kompromittierend gewesen wären. "Erstaunlicherweise kamen damals gleich beide Parteien mit der Bitte zu mir, für sie Echtheit oder Falschheit zu beweisen – den zweiten Auftrag musste ich natürlich ablehnen." Das Bild sei auf eine geringe JPEG-Größe komprimiert worden, sodass Baumann angesichts der groben Bildstruktur nur mühsam nach Fehlern suchen konnte. "Aber wenn das Bild eines Pressefotografen eine ganz miese Qualität aufweist und wenn der auch noch behauptet, die Originaldateien gelöscht zu haben (und das in einem so brisanten Fall!), dann sind das zumindest Indizien, dass etwas nicht stimmt." Belege kamen aus einer ganz anderen Richtung: Ein Fotografenkollege habe die kompromittierenden Fotos an derselben Stelle mit dem gleichen Auto nachgestellt, um ihre Authentizität zu prüfen, und dabei festgestellt, dass im gezeigten Wagen bei geöffneter Tür das Licht nicht wie üblich von oben kommt, sondern von unten. Dieses Ergebnis ihres Gutachtens habe der Redakteurin jedoch nicht gefallen, weshalb sie ein weiteres Foto als zusätzlichen Beleg publizierte. Dieses allerdings habe zuvor ein Fernsehsender in Auftrag gegeben, um die Situation nachzustellen, erzählt Baumann.