Wenn wenige Weise wollen würden: Jaron Lanier über das Web 2.0

Der Computerwissenschaflter, Musiker und Pionier der "virtuellen Realität" hält das Web 2.0 zwar für eine hervorragende Technik, inhaltlich jedoch für ein eher abstoßendes Phänomen.

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Von
  • Detlef Borchers

Nach Ansicht von Jaron Lanier, Computerwissenschaflter, Musiker und Pionier der "virtuellen Realität", ist das Web 2.0 eine hervorragende Technik und damit die Fortsetzung der Internet-Technologie der frühen Jahre. Inhaltlich ist Web 2.0 mit all seinen "sozialen Netzwerken" und interaktiven Blogs für Lanier jedoch ein eher abstoßendes Phänomen, tauge es doch zu nichts anderem als die Menschen zu einer anoymen breiten Masse zu nivellieren.

So seien die gern bemühten Blogs nur dann halbwegs zivil, wenn sie nicht anonymisiert geschrieben sind, aber gemein und widerlich, wenn Beiträge in der Anonymität verfasst würden. Dies erklärt Lanier in einem heute veröffentlichten Interview mit der Süddeutschen Zeitung. Lanier zufolge könnte die viel zitierte "Weisheit der Masse" nur dann funktionieren, "wenn das Internet genutzt würde, die in der Masse durchaus existierenden wenigen Weisen zu lokalisieren, sie zur Kooperation zu bewegen – und ein gutes Geschäft zu machen".

Lanier hatte mit ähnlichen Argumenten bereits vor einiger Zeit in seinem Essay "Digitaler Maoismus: die Gefahren des neuen Online-Kollektivismus" die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia und ihr Vertrauen auf die "Weisheit der Masse" kritisiert. Die altersweise Einschätzung des Computerwissenschaftlers zum Web 2.0 wird nun in der Online-Ausgabe des SZ-Interviews von einem Bild der "Bundeskanzlerin 2.0" illustriert, einem der ersten deutschen Politiker-Podcasts. Mit der Technik könnte Angela Merkel die Vertreterin einer neuen Religion sein, meinen die Autoren in der Bild-Unterschrift.

Wie egal der Politik indes das Web 2.0 ist, wenn sie nur eine Plattform zur medialen Profilierung sucht, zeigt ein Vorfall auf der derzeit in Paris stattfindenden Web 2.0-Konferenz Le Web 3. Dort wurde kurzerhand zum Ärger der meisten Teilnehmer das Veranstaltungsprogramm geändert, damit sich der französische Innenminister Nicholas Sarkozy für den anstehenden Präsidentschaftswahlkampf in Szene setzen konnte. Sarkozy konnte offenbar seinen peinlichen Auftritt ungestört absolvieren, während die verärgerten Blogger darüber eifrig bloggten. (Detlef Borchers) / (jk)