Wie Kryoverfahren Korallenriffe retten sollen

Steigende Meerestemperaturen und Versauerung setzen Korallenriffen zu. Meeresbiologen arbeiten an Kryoverfahren, um einem Korallensterben entgegenzuwirken.

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Korallenriff der Insel Pulau Badi in Indonesien.

(Bild: Mudasir Zainuddin / cc by-sa 4.0)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Allison Guy
Inhaltsverzeichnis

Angesichts der fatalen Meerestemperaturen, die die Korallenriffe in der Karibik und darüber hinaus zu Friedhöfen machen, bemüht sich ein Team von Wissenschaftlern, den Korallen Abkühlung zu verschaffen. Und zwar eine recht frostige – runter auf -200 Grad Celsius.

Die Coral Biobank Alliance, die unter anderem von der Meeresbiologin Mary Hagedorn vom Smithsonian Conservation Biology Institute geleitet wird, hat sich zum Ziel gesetzt, die rund 1.000 Arten von Korallen, die ein Riff bilden, zu kryokonservieren oder auf andere Weise zu erhalten. Es wird erwartet, dass die Korallenriffe als Ökosystem bis 2035 aussterben werden. Hagedorn hofft, genügend Korallenspermien, -larven und erwachsene Polypen einfrieren zu können, um nicht nur die derzeitigen Erhaltungsbemühungen zu unterstützen – wie etwa die Zucht hitzeresistenter Korallen –, sondern auch, um die Riffe im immer wahrscheinlicher werdenden Fall eines Massenaussterbens der Meere wiederaufzubauen. Diesem Plan stehen jedoch große technische Hürden im Weg.

Eis ist vielleicht der größte Feind einer erfolgreichen Kryokonservierung. "Eis ist ein Kristall", sagt Matthew Powell-Palm, ein Thermodynamiker an der Texas A&M University. "Was wir stattdessen wollen, ist, dass das Wasser im Korallengewebe ein Glas bildet". Auf molekularer Ebene, so Powell-Palm, ähnelt Glas einer erstarrten Flüssigkeit, ohne die zerklüfteten Kristalle, die das empfindliche Gewebe zerreißen können. Um die Eisbildung zu verhindern, werden die Proben in eine glasfördernde, kryoprotektive Lösung getaucht und dann schnell abgekühlt. Für die symbiotischen Algen der Korallen ist ein anderes Verfahren erforderlich. Außerdem eine Bedingung für das Gelingen: Alle Techniken müssen mit Blick auf die begrenzten technischen Kapazitäten von abgelegenen Feldstationen in Ländern wie Australien oder Indonesien entwickelt werden.

Das Auftauen ist dann wieder eine neue Herausforderung. Die Korallen sind in den ersten Tagen und Wochen nach dem Auftauen kränklich und infektionsanfällig, weshalb das Team einen Cocktail aus Antibiotika, Probiotika und Antioxidantien entwickelt, um die Überlebensrate zu erhöhen. "Stellen Sie sich einen Patienten vor, der gerade eine Operation am offenen Herzen hinter sich hat", sagt Hagedorn. "Er wird nicht am nächsten Tag wieder vor die Tür gehen."

Die Schwierigkeit der Kryokonservierung steigt mit der Größe, der Komplexität und dem Fettgehalt des Gewebes. Spermien sind relativ einfach zu konservieren, sagt Hagedorn, während fetthaltige Eizellen nur wenige Stunden lebensfähig sind, so dass sie "einfach zu schwer zu konservieren" sind. Um das Aussterben von Korallen zu verhindern, müssen einfach zu handhabende Methoden zum Einfrieren von Larven – der unreifen, frei schwimmenden Form von Korallen zu Beginn ihres Lebenszyklus – sowie von Fragmenten reifer Kolonien entwickelt werden.

Hagedorn und ihre Mitarbeiter sind seit 2018 in der Lage, Larven zu kryokonservieren, aber der Prozess war heikel, und das Auftauen erforderte hochentwickelte Laser, um sie mit einer Geschwindigkeit von mehr als 1.000.000 Grad Celsius pro Minute zu erhitzen. Jetzt hat Hagedorns Team eine vereinfachte Methode entwickelt und getestet. Zum Einfrieren werden die Larven auf einem Stahlnetz dehydriert, in ein Kryoprotektionsmittel getaucht und in flüssigen Stickstoff getaucht. Zum Auftauen wird das Netz in eine Rehydrationslösung bei Raumtemperatur gelegt. Wenn alles gut geht, schwimmen die Larven innerhalb von zwei Stunden wieder. "Das war ein großer Fortschritt", sagt Hagedorn. "Das bedeutet, dass wir das Artensterben aufhalten können, und zwar auf eine sehr benutzerfreundliche Weise."

Auch bei der Erhaltung ausgewachsener Korallen sind Fortschritte zu verzeichnen. Im August gaben Powell-Palm, Hagedorn und andere bekannt, dass sie beobachtet haben, dass kryokonservierte erwachsene Exemplare einen oder zwei Tage überleben, bevor sie den Bakterien zum Opfer fallen. Bei dem von ihnen angewandten Verfahren, der so genannten isochoren Vitrifikation, wird eine kleine, abgeschlossene Kammer verwendet, um zu verhindern, dass sich Flüssigkeiten zu Eis ausdehnen. "Ich bezeichne es immer als Low-Tech, High-Science", sagt Powell-Palm. "Die thermodynamischen Prozesse, die in der Kammer ablaufen, sind wunderbar komplex ... aber technologisch ist es unglaublich einfach." Vitrifikationsverfahren spielen üblicherweise eine Rolle bei Kinderwunsch-Behandlungen zur Kryokonservierung von Eizellen und Embryonen.

Falls – und Hagedorn betont dieses "Falls" – die isochore Vitrifikation für die Korallen perfektioniert wird, wäre dies ein Wendepunkt. Anstatt auf die wenigen Nächte im Jahr zu warten, in denen die Korallen laichen, um ihr Sperma und ihre Larven zu fangen, könnten die Forscher mit dieser Methode Korallen sammeln und kryokonservieren, wann immer es ihnen passt. Aufgetaute Fragmente würden zu größeren Kolonien heranwachsen und eines Tages auch laichen, was dazu beitragen würde, tote oder angeschlagene Riffe wiederzubeleben.

Das schwierigste Problem könnte jedoch die Zeit sein. Hohe Temperaturen, saures Wasser, Verschmutzung und Krankheiten setzen den Korallen zu, so dass sie möglicherweise zu kränklich werden, um den Belastungen der Kryokonservierung standzuhalten. Die Korallen müssen so schnell wie möglich entnommen werden, sagt Hagedorn, solange ihr Gesundheitszustand noch weitgehend intakt ist.

Gleichzeitig plant sie ein Konservierungsprogramm, das Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte dauern kann, da sich die Ozeane noch viele Generationen lang erwärmen könnten, selbst wenn entschiedene Klimaschutzmaßnahmen ergriffen würden. Hagedorn untersucht die Möglichkeit, Korallen und andere tierische Gewebe auf dauerhaft kühlen Teilen des Mondes zu lagern. Sollten die Korallenlager auf der Erde von einer Katastrophe heimgesucht werden, könnten die in Lavaröhren oder schattigen Kratern gelagerten Proben jahrhundertelang überdauern.

(jle)