Wirecard-Gutachten: Großer Schuldenberg, wenig Liquidität

Ein Gutachten des Insolvenzverwalters von Wirecard zeigt Medienberichten zufolge kaum Substanz, aber einen großen Schuldenhaufen beim Bezahldienstleister.

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Wirecard-Bilanz soll weitere Milliardenlöcher enthalten

(Bild: Franco Francisco Maria/Shutterstock.com)

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Berichten zufolge hat der Insolvenzverwalter von Wirecard weitere Lücken in der Bilanz des skandalgeschüttelten Zahlungsdienstleisters ausgemacht. Nur wenige der 50 Firmen des Konzerns hätten überhaupt eigene Einnahmen gehabt, zitieren Süddeutsche Zeitung und der WDR aus einem Gutachten des Insolvenzverwalters Michael Jaffé zur Lage im Unternehmen. Insgesamt habe der ehemalige Dax-Konzern 3,2 Milliarden Euro Schulden angehäuft – demgegenüber seien aber nur 26,8 Millionen Euro an frei verfügbaren Bankguthaben aufzufinden gewesen.

Eine Auflistung aller Vermögensgegenstände habe Werte von 428 Millionen Euro ergeben, schreibt das Handelsblatt, das ebenfalls das Gutachten einsehen konnte. Damit bliebe – vorausgesetzt, dass sich alles Verwertbare auch zu Geld machen ließe – noch ein Minus von rund 2,8 Milliarden Euro. Eine Chance, die Wirecard AG fortzuführen, gebe es so nicht.

Das komplex verschachtelte Firmengeflecht habe die Erfassung der Lage für den Insolvenzverwalter erheblich erschwert, hieß es weiter. Weltweit habe Wirecard 750 Konten unterhalten, insgesamt seien zwei Millionen Gigabyte an Daten zur Erfassung der Geschäfte gesichert worden. "Die Strukturen der Schuldnerin und der Gruppe (…) waren völlig intransparent. Insbesondere war zu Beginn kaum zu ermitteln, welche Konzerngesellschaften welche Dienstleistungen erbrachten und ob diese für eine Fortführung der Geschäfte wiederum anderer Konzerngesellschaften erforderlich waren", zitiert das Handelsblatt aus dem Gutachten.


Die Scheingeschäfte herausgerechnet soll Wirecard im Jahr 2017 einen Verlust von 99 Millionen Euro erlitten haben, 2018 ein Minus von 190 Millionen Euro, 2019 dann 375 Millionen Euro Verlust, berichten SZ und WDR. Vor der Insolvenz-Anmeldung im Juni seien pro Woche etwa rund 10 Millionen Euro verbrannt worden. Bereits zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Wirecard AG am vergangenen Dienstag hatte Jaffé erklärt, dass Wirecard kaum Liquidität und eine "enorme Cash-Burn-Rate" aufweise. 730 Mitarbeitern wurde in dem Zuge gekündigt, auch die Verträge der Vorstände wurden aufgelöst.

Wirecard war im Juni implodiert, nachdem die Wirtschaftsprüfer EY keine Hinweise auf 1,9 Milliarden Euro gefunden hatten, die in der Bilanz als Guthaben aus Drittpartnergeschäften geführt wurden. Das Unternehmen musste die Luftbuchungen einräumen und Insolvenz anmelden. Ex-Vorstandschef Markus Braun sitzt in Untersuchungshaft, nach dem abgetauchten COO Jan Marsalek wird international gefahndet. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Wirecard seit 2015 Scheingewinne auswies.

Den Berichten zufolge erwägt Jaffé wohl auch, juristisch gegen ehemalige Vorstände vorzugehen, möglicherweise auch gegen die Wirtschaftsprüfer von EY, die den Wirecard-Bilanzen ihr Testat erteilt hatten. EY hat sich bislang gegen Vorwürfe verwahrt.

Längst ist aber auch schon zum Gegenstand der Debatte geworden, ob Aufsichtsbehörden und Politik zu lange tatenlos zugesehen haben. Zuletzt hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ihren Einsatz für Wirecard bei einer China-Reise vor einem Jahr verteidigt. "Es ist Usus, nicht nur in Deutschland, dass man bei Auslandsreisen natürlich die Anliegen von Unternehmen auch anspricht. Das macht man nicht nur in China, das gibt's auch bei anderen Auslandsreisen natürlich", sagte Merkel am Freitag bei ihrer Sommer-Pressekonferenz in Berlin.

Merkel hatte im September 2019 in China bei der Pekinger Führung für den geplanten Markteintritt des Konzerns in der Volksrepublik geworben. Damals seien die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard noch nicht bekannt gewesen, sagte sie, betonte aber auch: "Das, was da passiert ist, muss natürlich aufgeklärt werden, das ist klar." (axk)