Wirren um elektronische Patientenakte: Ärzte fordern späteren Start
Der Ärzteverbund MEDI fordert eine deutlich längere Testphase für die neue elektronische Patientenakte. Der Start müsse "realistisch und transparent" verlaufen.

(Bild: DG FotoStock/Shutterstock.com)
Die Ereignisse rund um die elektronische Patientenakte überschlagen sich. Der unvorbereitete Start der elektronischen Patientenakte (ePA) sorgt nicht nur bei den Software-Herstellern, die noch mit den Spezifikationen zu kämpfen haben, für Unmut. Neben Patientenschutzorganisationen melden sich jetzt auch Ärzte zu Wort, die eine "deutliche Verschiebung" für einen "sicheren Start" der ePA fordern. Ab dem 15. Januar startet die ePA Version 3.0 erstmal in Modellregionen, nach ungefähr vier Wochen soll sie dann bundesweit ausgerollt werden. Die kurze Testphase und Umsetzungszeit hatten bereits im Juni für Kritik gesorgt.
"Seit Juni fordert MEDI vehement eine deutlich längere Testphase für die ePA. Spätestens jetzt müsste mittlerweile auch dem BMG endlich klar sein, dass der bundesweite Rollout Mitte Februar nicht eingehalten werden kann, nachdem die Anbieter der Praxisverwaltungssysteme (PVS) ihre Bedenken deutlich gemacht haben", mahnt Dr. Norbert Smetak, Vorsitzender von MEDI Baden-Württemberg. Immer noch steht keine Testumgebung für die Hersteller der Praxissysteme bereit. Der Ärzteverband fordert eine "deutlich längere Testphase" für die elektronische Patientenakte. Das BMG solle "den Start der ePA realistisch und transparent" anpassen.
"Wir stehen kurz vor der Weihnachtszeit, mitten in einer noch lange anhaltenden Infektwelle und agieren in einem völlig überlasteten Gesundheitssystem. Es ist verantwortungslos, dass ein Mega-Projekt wie die ePA in den Praxen jetzt innerhalb von nur wenigen Wochen umgesetzt werden soll", sagt Smetak. Eine unrealistische Planung sei "für ein milliardenschweres Projekt [...] fahrlässig". Auch der Hausärzteverband hatte bereits vor einem Chaos-Start gewarnt. Ebenso ist die Sicherheit der ePA nicht vollständig geklärt. Für MEDI habe die ärztliche Schweigepflicht und der vertrauliche Umgang mit Gesundheitsdaten oberste Priorität.
Keine Sanktionen für Ärzte
Nachdem Software-Hersteller das Bundesgesundheitsministerium (BMG) um eine Fristverschiebung gebeten hatten, kam das BMG selbigen etwas entgegen. Demnach müssen die ePA-Module für die Primärsysteme für Praxen und Krankenhäuser erst nach erfolgreicher Probezeit bereitstehen. Nach Medienberichten und viel Diskussion in den sozialen Medien aufgrund einer Verschiebung des Starttermins der elektronischen Patientenakte äußerte sich Susanne Ozegowski auf LinkedIn zu den "Gerüchten". Für viele stiften die Änderungen Ungewissheit. "Die aktuelle Kommunikation des BMG zur Zeitplanung sorge für Verwirrung bei der niedergelassenen Ärzteschaft", kritisiert der Ärzteverband MEDI Baden-Württemberg.
Da PVS-Hersteller nicht mehr verpflichtet sind, die Module für die ePA bis Mitte Januar bereitzustellen, sei es laut Dr. Sibylle Steiner, Vorstandsmitglied bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) "selbstverständlich, dass Praxen nicht mit Sanktionen bestraft werden dürften, wenn sie kein aktuelles ePA-Modul hätten". Daher dürfe die TI-Pauschale nicht gekürzt werden. "Wir haben diesbezüglich das BMG bereits angeschrieben und gehen davon aus, dass das Ministerium diese Auffassung bestätigen wird", so Steiner.
Wer informiert die Patienten?
Während Ärztinnen und Ärzte eine Möglichkeit, Patientendaten unkompliziert und sicher miteinander teilen zu können, schon lange ersehen, könnte die Realität doch etwas komplizierter aussehen. "Zunächst einmal ist es Aufgabe der Krankenkassen, ihre Mitglieder über die ePA zu informieren und aufzuklären. Praxen arbeiten schon jetzt am Limit und haben keine Kapazitäten, zusätzlich ihren Patientinnen und Patienten noch die Grundlagen der ePA nahezubringen", erklärt Dr. Roland Stahl von der KBV. Aus dem aktuellen Praxisbarometer Digitalisierung der KBV geht hervor, dass ein Großteil der Praxen (90 Prozent) befürchtet, "dass die ePA zu einem hohen Verwaltungs- und Zeitaufwand führen wird".
Praxen müssen Patienten darüber informieren, welche Daten sie in der ePA speichern. "Dies kann mündlich oder auch per Praxisaushang erfolgen. Sollten Patienten widersprechen, ist dies in der Behandlungsdokumentation zu dokumentieren. [...] Stimmen Patienten der Speicherung zu, wird auch dies vermerkt", erklärt die KBV. Ebenso müssen Ärzte und Psychotherapeuten ihre Patienten auf das Widerspruchsrecht bei besonders sensiblen Daten hinweisen, etwa bei psychischen Erkrankungen oder Schwangerschaftsabbrüchen. Die Widersprüche müssen laut KBV "in der Behandlungsdokumentation protokolliert" werden. "Sollen genetische Untersuchungsergebnisse in die ePA eingestellt werden, müssen Patienten schriftlich zustimmen", heißt es weiter.
Sorge vor Verwaltungsaufwand bei Praxen und Kliniken
Auch bei den Ärzten im Krankenhaus gibt es Bedenken bezüglich der neu hinzukommenden Informationspflichten. "Dies ist derzeit im Krankenhaus nicht vorgesehen und wird zu viel Unmut führen. Darunter wird auch die Akzeptanz der ePA im Krankenhaus leiden", heißt es dazu von der Deutschen Krankenhausgesellschaft.
Unklar ist auch, wann die Software in Krankenhäusern und Praxen "ePA-reay" ist. Bei den Krankenhäusern werde es zusätzlich Zeit in Anspruch nehmen, bis nicht nur das Krankenhausinformationssystem, sondern auch weitere Systeme wie Radiologie-Informationssysteme und Laborinformationssysteme angeschlossen sind. Bis zum gesetzlichen Starttermin sei das nicht flächendeckend realisierbar, so die DKG. Realistischer für den bundesweiten Rollout wäre Mitte 2025.
(mack)