Wolfgang Tillmans: Anti-Gursky zeigt sein Werk

Authentizität statt Bearbeitung: Wolfgang Tillmanns präsentiert sein Werk im Düsseldorfer Ständehaus. Der Fotograf hat jeden Raum selbst komponiert und so neue Kunstwerke erschaffen.

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Von
  • Dorothea Hülsmeier
  • dpa

Installationsansicht, K21 Ständehaus, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

(Bild: Achim Kukulies, © Wolfgang Tillmans, Courtesy Galerie Buchholz)

Von der Ratte im Gulli bis in den Sternenhimmel reicht das künstlerische Universum von Wolfgang Tillmans. Schon mit Anfang 30 wurde der Fotograf mit dem renommierten britischen Turner Preis bedacht, dabei kommt er aus Remscheid und nicht aus England. Als Ausnahmekünstler wird der heute 44-Jährige von Großbritannien bis Japan gefeiert. In Deutschland schockierte er Anfang der 90er Jahre mit Fotos aus der Techno- und Schwulenszene, mit zur Schau gestelltem Sex.

Freischwimmer 220, 2013, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin

(Bild: Wolfgang Tillmans, Kunstsammlung NRW)

Jetzt breitet Tillmans in einer Gesamtinstallation sein künstlerisches Schaffen der vergangenen 25 Jahre im Düsseldorfer Ständehaus aus. Jeden Raum, jede Wand der Ausstellung (bis 7. Juli) hat er selbst komponiert. Die Bilder formieren sich so zu neuen Kunstwerken, werden dem "rationalen Zugriff entzogen", wie die Direktorin der Kunstsammlung NRW, Marion Ackermann, sagt. In die Kunsträume von Tillmans einzutauchen, erfordert volle Konzentration von Geist und Auge.

Wolfgang Tillmans, Paper drop (space), 2006, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin

(Bild: Wolfgang Tillmans, Kunstsammlung NRW)

Da sind die großformatigen Himmelsbilder vom seltenen Venustransit an der Sonne vorbei. Daneben hat Tillmans ein kleines Foto von weißen Eiern in gestapelten Eierkartons angeordnet. Ein Porträt seiner Mutter hängt neben einem Modelfoto. Große und kleine Formate positioniert er mal hoch oben, mal in Haufen, mal mit Rahmen, mal nur mit Klebeband befestigt an den Wänden. Ausruhen kann das Auge nur in fast meditativen Räumen mit großen monochromen "Freischwimmer"-Abstraktionen in Blau und Grün, die übrigens ohne Fotoapparat in der Dunkelkammer entstanden, oder bei der "Lighter"-Reihe, wo belichtetes Fotopapier in vielen schönen Farben gefaltet in Plexiglasvitrinen liegt.

Tillmans überschreitet die Grenzen zur Malerei und Objektkunst, und es ist vielleicht kein Zufall, dass er die Künstlerin Isa Genzken als ein Vorbild nennt. Inmitten von Fotos hängt eine Jacke aus Textilien, Plastik, Fotos und Folie. Immer wieder streut Tillmans frühe Zeichnungen und Selbstporträts ein. Manchmal scheint er Malerei zu zitieren, wenn er etwa einen dramatischen Wolkenhimmel in der Art eines Caspar David Friedrich als Tintenstrahldruck präsentiert. Daneben hängt dann ein Foto von 1992 mit einer Turnhose, einem Stuhl und Sandalen.

Wolfgang Tillmans, Cock Kiss, 2002, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin

(Bild: Wolfgang Tillmans, Kunstsammlung NRW)

Der ästhetische Bruch gehört zum Konzept. Tillmans ist ein "Anti-Gursky". Andreas Gursky, der seine Bilder so stark am Computer bearbeitet, dass sie wie Gemälde aussehen, ist der andere Pol der Fotografie. Bei Tillmans zählt die Authentizität. "Das, was in den Medien gezeigt wird, ist alles überarbeitet", sagt er. "Diese Linie will ich nicht überschreiten."

Erst vor wenigen Jahren hat Tillmans seine Vorbehalte gegen digitale Kameras aufgegeben. Und er gibt auch zu, mit dem Handy Fotos zu machen. Doch das verschafft ihm keine Zufriedenheit. "Es entspricht nicht meiner Sehweise." Die Arbeiten von Tillmans haben zumeist auch eine politische Dimension. Wie eine von einem Lichtblitz durchschossene Nacht wirkt ein Darkroom in einer Schwulen-Disco, während an der gegenüberliegenden Wand das in Rot getauchte Bild einer Gedenkstätte für den 1992 von Neonazis erstochenen Hausbesetzer Silvio Meier hängt. Er selbst habe in seinem Leben nie eine Trennung von Privatem und Gesellschaftlichem gekannt, sagt Tillmans. "Ich wollte aber nie ein schwuler Künstler sein." (ssi)