Klinische Studie: In 6 Jahren zu neuen Zähnen, die der eigene Körper generiert

Während Knochen nachwachsen, gilt das nicht für Zähne: Sind sie einmal weg, hilft nur noch künstlicher Ersatz. Ein japanisches Forscherteam könnte das ändern.

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Person mit Zahnlücke

Person mit Mut zur Lücke: In einigen Jahren echter Zahnersatz auf Rezept?

(Bild: irinaorel / Shutterstock)

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Es gibt Menschen, die tragen ihre Zahnlücke wie ein Markenzeichen: Schauspieler Jürgen Vogel tat das beispielsweise jahrelang – und aktuell sorgt der deutsche Stürmerstar Niclas Füllkrug mit seinen ganz besonderen Beißerchen für Furore im Stadion. Wenn durch Unfälle oder Genetik Zahnlücken entstehen, konnte man bislang nur das Beste daraus machen, wie Vogel und "Fülle" – oder man griff zu Kunstzähnen, Brücken und/oder Kronen, um das Problem zu übertünchen. Japanische Forscher wollen nun medizinisch ran an das Problem: Mithilfe einer Antikörpertherapie, die ein bestimmtes Gen ausschaltet, das das Nachwachsen von Zähnen bislang verhindert. So sollen sich natürliche "dritte Zähne" generieren lassen, obwohl das bei Säugetieren physisch unmöglich erschien – einmal weg, bleiben sie weg.

Die Idee verfolgte eine Forschergruppe aus Wissenschaftlern der Universitäten Kyoto und Fukui bereits seit 2021. Im vergangenen Sommer wurde dann angekündigt, dass es erste klinische Studien geben wird. Diese stehen nun am Kitano-Krankenhaus in Kita, Osaka, kurz vor dem Start, wie die Zeitung The Mainichi schrieb. Die "Medizin für das Zahnneuwachstum" soll ab September 2024 an 30 sonst gesunden Männern zwischen 30 und 64 getestet werden, denen Zähne fehlen. Die Untersuchung soll bis August 2025 laufen. Geht alles gut, sei mit einer Kommerzialisierung bis 2030 zu rechnen. "Wir wollen etwas tun, um denjenigen zu helfen, die unter Zahnverlust oder Zahnlosigkeit leiden", so Katsu Takahashi, Leiter der Zahnmedizin und Zahnchirurgie am Kitano-Krankenhaus, der sich schon seit Jahren mit der Idee beschäftigt. Bislang fehle es an dauerhaften Heilungsmöglichkeiten für die Betroffenen. "Die Erwartungen der Menschen sind [dementsprechend] hoch."

Takahashi hatte zuvor mit seinen Kollegen Antikörper für ein Gen-Protein gefunden, dessen Unterdrückung den Zahn(nach)wuchs stimuliert. Bei dem betroffenen Gen, dessen Manipulation über die Ausschaltung des zugehörigen USAG-1-Proteins mittels Unterbrechung der Interaktion von USAG-1 und BMP (Bone Morphogenetic Protein) im Tierversuch bereits bei Mäusen und Frettchen gut funktioniert, handelt es sich um das "Uterine Sensitization Associated Gene-1", kurz USAG-1. "Wir wussten bereits, dass die Unterdrückung von USAG-1 das Zahnwachstum fördert. Was wir nicht wussten, war, ob es ausreichen würde", so Takahashi bei der Vorstellung der Idee vor drei Jahren, als er noch Senior Lecturer an der Kyoto University Graduate School of Medicine war.

Um USAG-1 auszuschalten, untersuchten die Forscher verschiedene monoklonale Antikörper. Diese dienen sonst unter anderem der Impfstoffherstellung oder der Bekämpfung bestimmter Krebsarten. Da das Gen nicht nur für die Bildung von Zähnen wichtig ist, war es von zentraler Bedeutung, sehr spezifische Antikörper zu finden, die nur diese eine Funktion blockieren. Das USAG-1 interagiert nämlich auch mit Proteinen, die bei der Entwicklung verschiedener anderer menschlicher Organe eine Rolle spielen, was den Eingriff risikoreich machte. Nun haben die Forscher einen Sicherheitsstand erreicht, der eine klinische Phase-1-Untersuchung ermöglicht. Wird darin belegt, dass es nicht zu problematischen Nebenwirkungen kommt, sollen auch Menschen behandelt werden, die an genetisch bedingter Zahnlosigkeit leiden – die Forscher denken an Kinder im Alter zwischen 2 und 7 Jahren.

Bei der Testgruppe handelt es sich um Personen, bei denen mindestens ein hinterer Zahn fehlt, damit die potenzielle Wirkung getestet werden kann. Sie werden die Antikörper intravenös erhalten. In den Tierversuchen gab es bislang keine problematischen Nebenwirkungen, hieß es. Letztlich soll die Therapie für jeden Menschen, der unter Zahnverlust leidet – auch durch Zahnerkrankungen oder Unfälle – , zur Verfügung stehen, hoffen Takahashi und sein Team. Es gibt Millionen von Menschen auf dem Planeten, die darunter leiden und nur mit Kunstzähnen leben. In vielen Weltregionen fehlt aber auch dafür das Geld, schließlich sind solche Behandlungen sehr teuer. Erblicher Zahnverluste – oder ein Gebiss, dem von Geburt an Zähne fehlen – soll bei ungefähr einem Prozent der Bevölkerung vorkommen. Immerhin 0,1 Prozent der Bevölkerung fehlen sechs oder mehr Zähne von insgesamt 32 im Gebiss.

Update

Präzisiert, dass sich die Antikörpertherapie gegen das USAG-1-Protein richtet.

(bsc)