Zeit für Pierer läuft ab - Showdown bei Siemens

Am Mittwoch berät der Aufsichtsrat über die Konsequenzen aus Heinrich von Pierers Weigerung, Schadenersatz für den milliardenschweren Schmiergeld-Skandal zu zahlen.

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Der Streit zwischen dem Elektrokonzern Siemens und seinem früheren Chef Heinrich von Pierer steuert auf den Höhepunkt zu. Seit fast eineinhalb Jahren pocht das Unternehmen auf Schadenersatz von der einstigen Führungsspitze für den milliardenschweren Schmiergeld-Skandal, beißt damit aber bei Pierer nach wie vor auf Granit. Doch nun läuft die Zeit für den einstigen "Mister Siemens" endgültig ab: Am Mittwoch, den 2. Dezember berät der Aufsichtsrat über die Konsequenzen aus Pierers Weigerung, zu zahlen. Dass er in letzter Sekunde einlenkt, gilt als unwahrscheinlich, deshalb steht dem 68-Jährigen wohl eine Klage seines früheren Arbeitgebers ins Haus. Zuletzt sah alles danach aus, dass Pierer es auf einen Prozess ankommen lässt.

Der Korruptionsskandal hatte das Unternehmen 2006 in seine bisher schwerste Krise gestürzt und schon rund 2,5 Milliarden Euro für die Aufarbeitung gekostet. Die Siemens-Aufseher werfen dem früheren Top-Management vor, nicht genau genug hingeschaut und so das System aus schwarzen Kassen und fingierten Beraterverträgen ermöglicht zu haben, über das Schmiergelder zur Erlangung von Aufträgen in aller Welt flossen. Dafür verlangt der Konzern zumindest einen symbolischen Beitrag von der damaligen Führungsspitze. Mit drei ehemaligen Vorständen hat sich Siemens bereits geeinigt, und auch die Mehrzahl der übrigen Ex-Manager soll zu Schadenersatzzahlungen bereit sein, darunter auch der frühere Konzernchef Klaus Kleinfeld.

Pierer dagegen wies die Vorwürfe von Anfang an entschieden zurück. Er soll mit sechs Millionen Euro die höchste Summe zahlen und fühlt sich auch deshalb ungerecht behandelt. Ein Ultimatum für eine gütliche Einigung ließ er verstreichen und erst kürzlich noch einmal wissen, dass er den geforderten Betrag nicht zahlen wird. Schon die Höhe der Forderungen sei völlig "willkürlich", beklagt sein Anwalt Winfried Seibert. Auch Siemens-Chefkontrolleur Gerhard Cromme soll es deshalb aufgegeben haben. Er wolle nicht mehr auf Pierer zugehen, um ihn zum Einlenken zu bewegen, weil das aussichtslos sei, berichtete die "Süddeutsche Zeitung" (Samstag) unter Berufung auf Beteiligte.

Pierer kämpft um sein Lebenswerk. Rund 13 Jahre stand er an der Spitze des Elektrokonzerns, mittlerweile gilt er in der Konzernzentrale am Wittelsbacherplatz in München als Persona non grata. Eine persönliche Verwicklung in den Skandal bestritt Pierer stets, eher vage räumte er lediglich eine "politische Verantwortung" ein.

Dem Siemens-Aufsichtsrat bleibt nun vermutlich gar keine andere Wahl, als ihn zu verklagen, sagt der Wirtschaftsrechtler Mathias Habersack von der Universität Tübingen. Denn wenn das Kontrollgremium der Überzeugung ist, dass ihm ausreichende Anhaltspunkte für Pflichtverletzungen von Vorständen vorliegen, muss es schon von rechts wegen einschreiten. Andernfalls könnten die Aufseher selbst haftbar gemacht werden.

Sollte es zur Klage gegen Pierer kommen, stünde der 68-Jährige vor einem schwierigen und möglicherweise langwierigen Verfahren. "Das Aktiengesetz geht davon aus, dass die Beweislast, ob sich ein Vorstandsmitglied pflichtgemäß verhalten hat, in solchen Fällen dem Betroffenen obliegt", sagt Habersack. Erst kürzlich hatte ein Gutachten einer Düsseldorfer Anwaltskanzlei den früheren Konzernchef noch einmal unter Druck gebracht. Demnach soll das ehemalige Top-Management um Pierer schon von Ende 2003 an Hinweise auf schwarze Kassen, dubiose Beraterverträge und fragwürdige Treuhandkonten erhalten, die Kontrollen aber nicht zügig verschärft haben, wie der "Spiegel" berichtete.

Der Aufsichtsrat muss sich jetzt mit dem Thema befassen, weil etwaige Vergleiche mit den Ex-Vorständen bei der nächsten Hauptversammlung im Januar 2010 durchgewunken werden müssen. Pierer wird die Entscheidungen des Kontrollgremiums wohl aus der Ferne verfolgen: Derzeit ist der 68-Jährige auf Asienreise.

Geschäftlich dürfte es für Siemens derweil im Schlussquartal 2008/09 (30. September) durchwachsen gelaufen sein. Die genauen Zahlen legt der Konzern am Donnerstag vor. Trotz eines Stabilisierungstrends im Jahresverlauf rechnen Experten im Vergleich zum Vorjahr mit prozentual zweistelligen Rückgängen bei Auftragseingang und Umsatz. Der Gewinn im Kerngeschäft dürfte zwar auch dank des Sparprogramms zugelegt haben, doch fürchten Analysten wegen Belastungen durch das Gemeinschaftsunternehmen Nokia Siemens Networks unter dem Strich rote Zahlen. Auch wegen der Folgen der Wirtschaftskrise hatten die Beschäftigten zuletzt immer wieder Sorgen um ihre Jobs geäußert. Der Konzern versicherte dagegen mehrfach, dass kein weiteres großangelegtes Abbauprogramm geplant sei. (dpa) / (se)