Zweite Halbzeit im Microsoft-Prozess
Nach den 16 Zeugen der Anklage, die in den vergangenen vier Wochen ausgesagt haben, tritt nun die 18-köpfige Riege der von den Microsoft-Anwälten Benannten in den Zeugenstand -- darunter auch Bill Gates und Steve Ballmer.
Im Kartellprozess gegen Microsoft beginnen heute die Wochen der Verteidigung: Nach den 16 Zeugen der Anklage, die in den vergangenen vier Wochen ausgesagt haben, tritt nun die 18-köpfige Riege der von den Microsoft-Anwälten Benannten in den Zeugenstand. Damit hat nun der Redmonder Konzern die Chance, auf die mitunter heftigen Vorwürfe der Klägerseite zu antworten. Zu Wort kommen wollen auch Firmengründer Bill Gates und der jetzige Chef Steve Ballmer.
Diese Woche sollen fünf Zeugen ihre Hände für Microsoft ins Feuer legen. Scott Borduin, Vizepräsident des Design- und Zeichensoftware-Herstellers Autodesk, will die Vorteile der Windows-Plattform für Entwickler darstellen und welche Nachteile die Kunden hätten, sollte das Betriebssystem in Module aufgeteilt werden. Der Sachverständige Andrew Appel, der den Quellcode von Windows XP inspizierte, hatte als Zeuge der Anklage ausgesagt, ein modulares Windows sei machbar.
MSN-Vizepräsident David Cole will sich den Ansichten des AOL-Managers John Borthwick entgegenstellen. Dieser hatte belegen sollen, wie Microsoft mit Hilfe seiner .NET-Konzeption versucht, auf der Basis des De-facto-Monopols bei Betriebssystemen seine Marktstellung im Online- und Servicemarkt auszubauen. Borthwick hatte sich als wenig hilfreich für die Anklage erwiesen, da er bei der Vernehmung durch den Microsoft-Anwalt Richard Pepperman arg in Verlegenheit geriet. Cole will Auskünfte über Microsofts Passport-Technologie geben und seine Befürchtungen über die konkurrierende Liberty Alliance von Sun Microsystem zur Sprache bringen.
Borthwick hatte zwar eingestehen müssen, dass Microsofts .NET-Konzept im Wesentlichen auf offenen Standards beruhe -- und damit sehr viel offener für die Nutzung durch Wettbewerber sei als der proprietäre MagicCarpet-Dienst von AOL. In die gleiche Kerbe soll aber auch Heather Davisson, CEO des Web-Dienstleisters Opus-i, hauen. Für die Entwicklung der Produkte ihrer Firma sei es außerdem sehr ungünstig, wenn es verschiedene Windows-Versionen gebe.
Anschließend will Brent Frei, CEO von Onyx Software, die Vorteile neuer Funktionen in Windows schildern. Als fünfter Zeuge in dieser Woche soll Chris Hofstader, Vizepräsident von Freedom Scientific, vor Richterin Colleen Kollar-Kotelly treten. Für die Kunden seines Unternehmens, das Software für Sehbehinderte herstellt, ist angeblich ein einheitliches Erscheinungsbild des Microsoft-Betriebssystems wichtig. Auch für sein Unternehmen würde die Entwicklung neuer Software durch ein modulares Windows erschwert.
Neben den kommenden Zeugenaussagen beschäftigt die Prozessbeobachter aber noch die allgemeine Frage, ob Richterin Colleen Kollar-Kotelly rückwärts- oder vorwärtsgewandt urteilen wird. Während die Klägerseite darauf beharrt, dass künftige Vergehen vermieden werden sollten, argumentieren die Microsoft-Anwälte in die Gegenrichtung. Nach ihrer Ansicht gehe es in dem Kartellprozess lediglich um die Zeit des so genannten Browserkriegs Mitte der 90er Jahre. Vergangene Woche hatte Kollar-Kotelly angedeutet, bei ihrer Entscheidung mögliche künftige wirtschaftliche Konstellationen berücksichtigen zu wollen. (anw)