Zweite Staffel von "Die Ringe der Macht": Egale Charakterschwemme
Fabian Scherschel hat Amazons Ringe der Macht viele Chancen gegeben. Nach dem Ende der zweiten Staffel zeigt er sich enttäuscht.

(Bild: Amazon)
Amazons Fantasy-Serie "Die Ringe der Macht" ist die bislang teuerste Fernsehserie aller Zeiten. Die erste Staffel gefiel uns offenbar deutlich besser als den meisten Lesern und Zuschauern, zumindest Kommentaren im Internet zufolge. Laut der Hollywood-Fachpresse verlor dann auch die zweite Staffel bereits zu Anfang gut die Hälfte ihres Publikums. Bei uns weckte die erste Hälfte der zweiten Staffel trotz aller Unzulänglichkeiten noch die Hoffnung, diesen Trend umkehren zu können.
Hinweis: Diese Rezension enthält signifikante Spoiler für die gesamte Serie.
"Die Ringe der Macht" macht optisch zweifellos einiges her. Auch die zweite Staffel setzt auf grandiose Spezialeffekte, ĂĽppige KostĂĽme und einen guten Soundtrack. Bei einem Budget von knapp 500 Millionen US-Dollar fĂĽr acht Folgen einer Staffel darf man das auch erwarten.
Aber auch die Schauspieler und die von ihnen verkörperten Figuren zählen zu den Stärken der Serie. Insbesondere Robert Aramayo als Elrond, Charles Edwards als Celebrimbor, Markella Kavenagh als Nori und Ciarán Hinds als dunkler Magier (wahrscheinlich Saruman, vielleicht aber auch Khamûl) spielen hervorragend auf. In der zweiten Staffel gefällt zudem Rory Kinnear als Tom Bombadil, obwohl sein offensichtlich aufgesetzter Cornish-Akzent in der englischen Originalversion schon ziemlich gewöhnungsbedürftig ist. Dass viele dieser Schauspieler in bester Shakespeare-Tradition oft sehr dick auftragen und ihre Dialoge meist ein bisschen gestelzt wirken, passt unserer Meinung nach gut in das Setting von Mittelerde und steht in Tradition der Herr-der-Ringe-Kinofilme.
Leider schafft es die jüngere Staffel von "Die Ringe der Macht" nicht, die in der ersten Staffel mühsam eingeführten Figuren in eine mitreißende Geschichte zu verpacken. Dazu gibt es einfach zu viele Figuren in der Geschichte und bei einigen, wie Groß-Elb (Grand-Elf) Gandalf und den Harfoots (nicht-ganz-Hobbits-aber-doch-Hobbits) wird überhaupt nicht klar, was sie überhaupt in der Serie zu suchen haben. Sie laufen offensichtlich über die Mattscheibe, um dem Zuschauer das Gefühl zu geben, man schaue eine Herr-der-Ringe-Serie, erleben aber eigentlich nichts Interessantes. Gandalf ist aber eben nur Gandalf, weil er schlaue Dinge sagt und Probleme auf epische Art löst. Wenn Gandalf aber nichts zur Geschichte beizutragen hat, wird er egal. Ebenso hätte man die Harfoots, den dunklen Magier, Isildur, Theo und Arondir aus dieser Staffel streichen können, ohne irgendeinen interessanten Aspekt der Geschichte zu verlieren.
Das Sauron-Problem
Die Charakterentwicklung von Sauron (Charlie Vickers) entpuppt sich als wohl größter Fehltritt der zweiten Staffel. In einer Serie, die sich ansonsten mit der Vertiefung von Charakteren schwertut, wird diese gerade an eine Figur verschwendet, die keine haben sollte. Sauron ist Sauron. Das personifizierte Böse; eher ein Halbgott als ein normaler Sterblicher. Bei ihm gibt es keine Charakterentwicklung, jedenfalls nicht, wenn es nach Tolkiens Vorlage geht. Warum die Serien-Macher gerade bei dieser Figur auf die Idee gekommen sind, sie müsse dazu da sein, dass sich der Zuschauer mit ihr identifizieren kann, bleibt eines der größten Mysterien der Serie.
Aber gerade Sauron wird in dieser Staffel fast als tragischer Held dargestellt, der – aus uns unverständlichem Grund – um Galadriels Gunst buhlt. Nachdem klar wird, dass der mysteriöse Fremde, der in der ersten Staffel sogar so etwas wie den Anfang einer Liebesbeziehung zu Galadriel aufbaut, wirklich Sauron ist, ergibt auch dieser Aspekt der ersten Staffel im Nachhinein noch weniger Sinn. Die zweite Staffel verstärkt dieses Problem noch. Diese tollpatschigen Versuche, Sauron menschlich erscheinen zu lassen, untergraben die Bedeutung der Figur im Tollkien-Mythos komplett und sorgen dafür, dass die Serie ihren wichtigsten Gegenspieler und einen ihrer Haupt-Ankerpunkte unnötigerweise komplett zerlegt.
Saurons Szenen mit Celebrimbor am Höhepunkt der Staffel, am wichtigsten historischen Moment der ganzen Geschichte, wirken plump und geradezu lachhaft. Statt Drama und Tragödie bieten die Serien-Produzenten uns hier eher eine Slapstick-Komödie. Nichts daran, wie Sauron die Macht in Eregion übernimmt oder wie er Celebrimbor dazu verführt, die Ringe der Macht zu schmieden, wirkt glaubhaft. Das Einzige, was an dieser Erzählung mitreißt, ist, wie stümperhaft sie von einem erzählerischen und schauspielerischen Desaster ins Nächste taumelt.
Eregion wird zum Waterloo der Drehbuchschreiber
Ein weiteres Problem mit dem Höhepunkt der Staffel, der zugleich ein Höhepunkt der ganzen Serie sein sollte, ist die stümperhaft inszenierte Belagerung der Elbenstadt Eregion. Bei dieser Sequenz, die sich über mehrere Folgen hinzieht, ergeben sehr wenige Dinge einen Sinn. Das fängt bei der Ausgangslage der Schlacht an: Sauron ist in Eregion, ohne Armee, und versucht Celebrimbor abzulenken, damit dieser ihm seine Ringe schmiedet. Nun wollen Elrond mit einem Elbenheer und Adar mit seiner Ork-Armee die Stadt stürmen, um Sauron zu vernichten. Anstatt zusammenzuarbeiten, kämpfen sie gegeneinander (hauptsächlich um Galadriel). Zwischenzeitlich bombardieren die Orks die Stadt und die Elbenverteidiger in deren Mauern rennen mehrere Wochen lang kopflos schreiend hin und her – diesen Eindruck vermitteln mehrere Szenen, die angeblich Wochen auseinander liegen.
Die eigentliche Schlacht um die Stadt, die dann folgt, wirkt noch dümmer. Die Orks bombardieren einen Berg, der dann den Fluss vor der Stadt austrocknet und schaffen es so mit ihren Belagerungsmaschinen bis vor die Mauern. Abgesehen davon, dass weder Berge noch Flüsse sich wie in der Serie dargestellt verhalten, sind auch die auf allen Seiten zur Schau gestellten militärischen Taktiken geradezu irrsinnig. Kavallerie reitet in vollem Galopp in einen Wald, Belagerungsmaschinen enthalten explosive Fässer, die man mit einem Feuerpfeil zur Explosion bringen kann und ein übermächtiger Riesen-Troll lässt sich einfach von ein paar Elben töten, ohne etwas Nennenswertes im Kampf auszurichten.
Komplette Orientierungslosigkeit
Das Schlacht-Szenen werden dabei durch ein weiteres großes Problem dieser Serie verschlimmert: Trotz aller CGI-Effekte und großartiger Landschaftsszenen weiß man eigentlich nie, welche Figur sich gerade wo befindet, wie weit zwei Orte voneinander entfernt sind oder wie ein Ort (zum Beispiel die Elbenstadt Eregion) eigentlich aufgebaut ist. Wo befindet sich das Ork-Heer genau? Wo ist Elronds Kavallerie im Vergleich dazu? Gibt es eine Brücke über den Fluss oder zwei? Warum versucht niemand, die Stadt über die Brücke (gibt es vielleicht mehrere Brücken?) anzugreifen? Gil-Galad taucht mitten im Kampf plötzlich auf, greift den Troll an und wir fragen uns, wo er herkam oder auch, was er die ganze Zeit davor gemacht hat.
Die Serie bietet auf alles das keine Antworten. Ist die Höhle mit dem Balrog unter Khazad-dûm in der Nähe des Marktes oder unter der tiefsten Mine der Zwergenstadt? Als König Durin dem Biest entgegenspringt, wie schaffen es sein Sohn und dessen Frau da, dem Monster zu entkommen? Wie genau bergen sie dabei Durins Ring der Macht? Man hat das Gefühl, die Drehbuchschreiber wissen das genauso wenig wie die Zuschauer.
Zusammenschnitt
Die zweite Staffel der "Ringe der Macht" verschärft die Probleme der ersten Staffel deutlich, anstatt sie zu beheben. Sie hinterlässt den Eindruck, dass die kreativen Köpfe bei Amazons Produktionsfirma damit überfordert waren, tausende von Jahre, die von Tolkien nur spärlich mit Notizen gefüllte Mythologie in einen Handlungsstrang zu gießen, der auch nur annähernd überzeugen kann. Eigene von ihnen erschaffene Figuren wirken bedeutungslos oder langweilig. Der Versuch, durch mit Ach und Krach in die Handlung gezwängte Figuren wie Gandalf, Bombadil und Pseudo-Hobbits die Zuschauer-Gunst zu erhaschen, die hauptsächlich auf Erinnerung an die Filme von Peter Jackson beruht, schlägt gänzlich fehl. Egal, wie bedeutungsschwanger Gandalf über seinen ikonischen Zauberstab streicht oder wie viele berühmte Schwerter, Riesen-Adler oder bekannte Namen die Drehbuchschreiber in ihre Geschichte einbauen. Sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Serie fast nichts selbst leistet, was auf eigenen Beinen steht.
Die hier erzählte Geschichte ist fahrig, in weiten Teilen uninspiriert und die großen dramatischen Momente sind schlecht geschrieben und so verwirrend in Szene gesetzt, dass sie fast allesamt flach fallen. "Die Ringe der Macht" hat so gut wie alle eingefleischten Tolkien-Fans bereits enttäuscht. Für Gelegenheits-Zuschauer ist die Geschichte zu langweilig und unglaubwürdig, um auf eigenen Beinen zu stehen. Vor allem, wenn die große Konkurrenz-Serie von HBO, George R. R. Martins "House of the Dragon", nach einer eher weniger überzeugenden ersten Staffel mit ihrer zweiten Staffel nun deutlich an Fahrt aufnimmt, während die "Ringe der Macht" sich selbst weiter ins Abseits schießen.
Die acht Folgen der zweiten Staffel von Amazons Tolkien-Serie sind exklusiv bei Prime Video anzusehen. Vielleicht ist es besser, dieses Angebot auszuschlagen und die kostbare Freizeit mit besseren Geschichten verbringen. Gute Schauspieler und bombastische Kulissen trösten nicht über schlechte Drehbuchschreiber hinweg, ganz gleich, wie viel Geld Amazon auch zu verbrennen übrig hat.
(dmk)