Ă–sterreichs Rechnungshof kritisiert Gesundheitskarte e-card

Der österreichische Rechnungshof kritisiert in seinem aktuellen Wahrnehmungsbericht verschiedene Aspekte der elektronischen Gesundheitskarte e-card.

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Der österreichische Rechnungshof (RH) kritisiert in seinem aktuellen Wahrnehmungsbericht 2005/8 [PDF-Datei] verschiedene Aspekte der elektronischen Gesundheitskarte e-card. Bemängelt werden hohe Projektnebenkosten, Fehler im Projektmanagement und der Projektrückstand von zweieinhalb Monaten bis Mai 2004 – zu diesem Zeitpunkt beendete der RH seine Prüfung. Auch fehlende Verträge über Kostentragungen sind ein Kritikpunkt. Vor dem Hintergrund des Berichts wundert es nicht, dass die Sozialversicherungs-Chipkarten Betriebs- und Errichtungsgesellschaft mbH (SV-ChipBE) einen neuen technischen Geschäftsführer sucht. Bewerbungen sind bis zum 16. August möglich.

Das e-card-System umfasst Chipkarten (einschließlich Lesegeräte, Datennetz und Back-Office-Funktionen) für zirka 8,5 Millionen Versicherte, etwa 500.000 Arbeitgeber und einige zehntausend Vertragspartner im Gesundheitswesen (Ärzte, Spitäler, Apotheken, Rehabilitationseinrichtungen usw.). Es ist Teil des Bürgerkarten-Systems der österreichischen Bundesregierung und beherrscht vier elektronische Signaturen zwecks Durchführung elektronischer Behördenkontakte und gesicherter Datenabfragen. Das e-card-System ist bereits mehrmals heftig kritisiert worden. Vor allem das monopolistische Konzept des zur Datenübertragung vorgeschriebenen Gesundheits-Informations-Netzwerks (GIN) ist auf Widerstand von Seiten ausgeschlossener Internetprovider, von Softwareanbietern, Datenschützern und Ärzten gestoßen. Zudem hat der Verband der österreichischen Medizinsoftware-Hersteller (ÖMS) Datenschutzverletzungen dokumentiert.

Der RH-Bericht setzt die Kritik wirtschaftlich fort: "Zu Beginn des neuen Projekts e-card im April 2003 lagen keine Kostenschätzungen vor. Weiters fehlten die erforderlichen Beschlüsse der Geschäftsführung des Hauptverbandes und des Aufsichtsrates der SV-ChipBE." Später habe der Hauptverband der Sozialversicherungsträger eine Kostenübernahme durch Ärzte in Höhe von 10 Millionen Euro angesetzt, zu der die Ärzte sich aber nie bereit erklärt hatten. Laut Kontrollbehörde sind die Projektnebenkosten deutlich zu hoch. Als ausgabefreudig stellt sie die SV-ChipBE auch im Bereich der Gehälter dar: Durchschnittlich 45 Prozent über den Mindestgrundgehältern des Kollektivvertrags für IT-Unternehmen zahle diese ihren Mitarbeitern, dazu Leistungsprämien, Überstundenabgeltungen, Erfolgsprämien und freiwillige Altersversorgungsleistungen. Der RH empfiehlt eine Straffung der Projektorganisation und eine Reduktion des Personalstandes.

Im Mai 2003 sollte ein "Programmdirektor" eingesetzt werden, von dessen technischen Kenntnissen der technische Geschäftsführer nicht überzeugt war. "Die Geschäftsführung des Hauptverbandes schränkte daraufhin, ohne Gesellschafterbeschluss, den Aufgabenbereich des technischen Geschäftsführers ein" -- im November 2003 wurde er ohne Begründung seiner Funktion enthoben. Obwohl weder Weisungsbefugnisse noch Haftungsfragen geklärt waren, nahm der Programmdirektor ohne schriftlichen Vertrag im September 2003 seine Tätigkeit zum Stundenlohn von 200 Euro auf. Als am 22. Dezember ein Vertrag unterzeichnet wurde, geschah dies "ohne Beachtung der Vorschriften des Bundesvergabegesetzes 2002". Bereits am 3. Januar 2004 wurde der Mann, der schließlich 47.600 Euro erhielt, "mangels konkreter Aufgaben" nicht mehr gebraucht.

Ein Professor der Technischen Universität Wien hat für "wissenschaftlich-industrielle Beratungsstunden" zwischen August und Oktober 2003 52.000 Euro berechnet. Allerdings meldete er diese Nebenbeschäftigung nicht an, besaß keine Gewerbeberechtigung für Consulting-Leistungen und zahlte auch keinen Kostenersatz an die TU. Offenbar wurde auch keine Umsatzsteuer entrichtet. Die 2,22 Millionen schwere Beauftragung einer von dem Professor ohne Wissen des Dekans gegründeten informellen Forschungsgruppe erfolgte ohne vorgeschriebene Ausschreibung. An einen von dem TU-Professor gegründeten Verein wurden mindestens 840.000 Euro bezahlt   ohne schriftlichen Vertrag. Zweck der Zahlungen war die parallele Entwicklung eines zweiten Projektes, für den Fall, dass das eigentliche Projekt scheitern sollte   aus Sicht der RH-Experten "aufgrund des knappen Zeitbudgets wenig sinnvoll". Die Umstände führten zum Rücktritt der sechs Kapitalvertreter im SV-ChipBE-Aufsichtsrat.

Ein über 147.000 Euro beauftragter Berater verletzte seine Verschwiegenheitspflichten, die Geltendmachung der Vertragsstrafe (75.000 Euro) war erfolglos. Ein eher unspezifisch beauftragtes Consultingunternehmen, dem eine Kostengrenze von 67.800 Euro vorgegeben worden war, verrechnete 116.000 Euro. Einem Mitglied der Bewertungskommission wurden Fahrzeiten zum Stundensatz von 175 Euro vergütet. Ein Geschäftsführer des Hauptverbandes sah sich aus Informationsmangel über das Projekt dazu veranlasst, einen externen Gutachter zu bestellen; Kostenpunkt: rund 8.200 Euro.

"Nach Ansicht des RH war die bestehende Projektorganisation aufgrund der zersplitterten Entscheidungsstruktur und der unzureichenden Abgrenzung der Verantwortlichkeiten für eine zeit- und kostengünstige Projektabwicklung nicht geeignet. Im Wesentlichen war die organisatorische Rahmengebung beim zweiten Projekt nicht besser gelöst als beim ersten, gescheiterten Projekt e-card."

"Wegen schlechter Erfahrungen beim ersten Projekt e-card und mangelndem Vertrauen in eine zuverlässige Controllingtätigkeit der SV-ChipBE beauftragte der Hauptverband einen externen Spezialisten mit dem Projektcontrolling. Der Auftragswert betrug 456.000 Euro. Ferner fehlten die für die Entwicklung der e-card erforderlichen Erhebungen über den EDV-Ausrüstungsbedarf in den Arztpraxen und bei anderen Vertragspartnern." Weiter sei die GINA-Box, die in den Arztpraxen zur Abrechnung eingesetzt wird, mangels Kostenvergleich und mangels Einsatz von Standardhardware zu teuer geraten.

Überhaupt gescheitert scheint die Entwicklung eines "Mobilen Ordinations-Client", der den Einsatz der e-card bei Hausbesuchen ermöglicht hätte. Der RH bemängelt "die unzureichende technische Kompetenz der SV-ChipBE, brauchbare Lösungen vorzulegen." (Daniel AJ Sokolov) / (hos)