rC3: Der Staat lähmt die digitale Zivilgesellschaft oft mit Anzeigen & Co.
Bei offenen Verwaltungsdaten und E-Government sei der Staat meist der "Verhinderer", beklagte Aktivistin Lilith Wittmann beim Start des CCC-Jahrestreffens.
Der Staat legt Online-Aktivisten, die sich etwa für Open Data und funktionale digitale Verwaltungsdienste einsetzen, noch viel zu häufig Steine in den Weg. Dies beklagte die Programmiererin Lilith Wittmann am Montag zum Auftakt des zweiten remote Chaos Communication Congress (rC3) des Chaos Computer Clubs (CCC). Statt das zivilgesellschaftliche Engagement nach "15 Jahren Stillstand im Digitalen" unter Schwarz-Rot zu schätzen, gingen Behörden "gegen Einzelne von uns vor".
Angezeigt und behindert
Wittmann selbst hatte im Frühjahr Sicherheitslücken in der Wahlkampf-App der CDU entdeckt und deshalb mit einer Anzeige zu kämpfen. Sie verwies nun etwa auf ihren Kollegen Markus Drenger, der Hauskoordinaten von Vermessungsämtern auf einer Webseite des Bundes entdeckte, kopierte und über die Open-Source-Plattform GitHub veröffentlichte.
"Die Länder fanden es nicht so nice", berichtete Wittmann. Die bayerische Hauskoordinaten-Zentralstelle "verklagt ihn jetzt deswegen". Zuvor hatte sie unter anderem versucht, mit Meldungen zu Urheberrechtsverletzungen nach dem US-amerikanischen Digital Millenium Copyright Act (DMCA) gegen die Publikation und daraus abgeleitete Projekte etwa des Datenvisualisierungsexperten Johannes Filter vorzugehen. Für die Länder sind die Daten aus den Liegenschaftskatastern bisher ein Geschäft: Berichten zufolge müssen Käufer für den gesamten Satz 100.000 Euro hinblättern.
Aktivisten übernehmen Aufgaben der Ämter
Sie habe mit mittlerweile rund 100 Mitstreitern dieses Jahr das Portal bund.dev gestartet, brachte Wittmann ein weiteres Beispiel. Ziel sei es, alle inoffiziellen Programmierschnittstellen von staatlichen Organisationen zu dokumentieren und offen zugänglich machen. 30 solcher APIs seien bereits auf der Seite verzeichnet. Damit könnten Hacktivisten "selbst entscheiden, wie wir die Wetter- oder Verkehrsdaten benutzen wollen, etwa für OpenStreetMap". Eigentlich wäre es Aufgabe der Ämter, dies selbst zu machen.
Mehrere Behörden seien nun aber auf die Idee gekommen, dass etwa Katastrophenwarnungen urheberrechtlich geschützt seien, führte die Entwicklerin aus. Die Bundesagentur für Arbeit habe zudem zu bedenken gegeben, dass Job-Beschreibungen datenschutzrechtlich problematisch sein könnten, obwohl es nur um den Zugang zu maschinenlesbaren Informationen gehe. Die Behörde habe die Schnittstelle daher sogar umgebaut, die Portalmacher sie daraufhin neu dokumentiert. Wittmann bezeichnete es als "krass", wenn die Behörden "nur pöbeln oder anzeigen".
Die Arbeit der Netzaktivisten werde erst ermöglicht von einer neuen Basisstruktur der digitalen Zivilgesellschaft wie der Plattform FragDenStaat, erklärte die IT-Sicherheitsforscherin. Damit werde das "Befreien von Dokumenten aus der Verwaltung" einfach, sonst bräuchte man "gefühlt ein halbes Jurastudium" für Anfragen nach den Informationsfreiheitsgesetzen von Bund und Ländern. Der Staat agiere trotzdem oft weiter als "Verhinderer". So habe etwa die Webseite zu Kleinen Anfragen aus den hiesigen Parlamenten ihren Betrieb einstellen müssen, da deren "kaputte" Webseiten keine geeigneten Schnittstellen zum automatisierten Datenabruf zur Verfügung gestellt hätten.
Was bedeutet "digitale Souveränität"?
"Wir bekommen zehn Millionen Euro für Open Source", verwies Wittmann auch auf einen Lichtblick wie den Sovereign Tech Fund. Ein Manko habe die Initiative aber. Gefördert würden nur Projekte zur "digitalen Souveränität". Dieser Begriff dürfte "auf beiden Seiten oft ganz anders ausgelegt" werden, was zu verhärteten Fronten führen könnte. Die Hackergemeinde müsse sich immer fragen, von wem sie sich gerade wofür vereinnahmen lasse und welche Sprache sie dabei übernehmen. Klar sei jedenfalls: "Der Hackerparagraf muss weg."
"Wir müssen noch deutlich mehr Leute werden", um die Utopie einer "freien, selbstbestimmten Welt" zu verwirklichen, betonte die Expertin. "Hacken, bauen, machen" sollte das Motto lauten. Der Kongress sei der perfekte Ort, um damit anzufangen, sich aktivistisch zu bewegen. Dort könne man etwa lernen, wie man Sicherheitslücken richtig meldet, dem Staat gute Fragen stellt und Daten analysiert. In ihrem CDU-Fall habe sie "eine unglaubliche Welle der Solidarität" ermutigt, weiterzumachen. Die digitale Zivilgesellschaft müsse aber auch noch lernen, die gesamte Gesellschaft besser zu repräsentieren.
Dranbleiben
Dass sich auch junge Hackergruppen wie das Kollektiv Zerforschung nebst Wittmann stark einbrächten, bezeichnete CCC-Veteran Manuel Atug als entscheidend. Wenn diese nicht in verschiedene Corona-Testzentren, Schul-Apps, "die unsere Kinder gefährden", sowie Anwendungen von Clubhouse, Gorillas oder Flink "reingepickt" hätten, wären teils große Schwachstellen oft unentdeckt geblieben. Hoffnung macht dem Vertreter der AG Kritis der Koalitionsvertrag des rot-grün-gelben Regierungsbündnisses, da dieses damit etwa Hackbacks ablehne und ein effektives Schwachstellenmanagement forderte. Gleichzeitig drohten aus der EU aber Initiativen wie die "Chatkontrolle", mit der das digitale Briefgeheimnis abgeschafft und eine weitere Form der Massenüberwachung eingeführt würde.
Der rC3 läuft noch bis einschließlich Donnerstag. Den "Fahrplan" veröffentlichte der CCC über Weihnachten. Die Streams sind frei verfügbar, die Videos der Vorträge werden im Anschluss veröffentlicht. Eigentlich soll für Nutzer, die sich ein Ticket im Vorfeld geklickt hatten, auch wieder eine "2D-Welt" zum Austauschen, Kommunizieren und Diskutieren mit Avataren bereitstehen. Das "Faserhörnchen" stecke aber im Detail und fleißige Engel seien noch dran, die Plattform aufzubauen, teilte das Kongressteam in der Nacht zum Montag mit. Man bitte noch um ein wenig Geduld.
(kbe)