re:publica goes Reeperbahn Festival: Yeah, nicht nur KI
Die Berliner Konferenz hat einen Abstecher nach Hamburg gemacht. Luft ist nach oben, allerdings nur bei den Besuchern. Das Programm ist vielfältig und top.
Spieglein, Spieglein an dem Auto, welches ist die coolste Veranstaltung im Land? Die re:publica war es, vor den sieben Lockdowns und in der Hauptstadt. Lange Zeit wollte jeder zu dieser Konferenz, auf der sich die digitale Elite getroffen hat. Seit 2007 gab es außer in den Corona-Jahren Konferenz, Workshops und viel, viel Input. Nun hat die re:publica erstmals einen Ausflug nach Hamburg gemacht und ist Teil des Reeperbahn Festivals geworden. Da ist der Himmel ganz schön grau und die Spiegel am Deko-Auto bleiben erstmal matt. Leider. Denn das Programm ist spannend wie eh und je.
Das Gelände auf dem Heiligengeistfeld ist schick hergerichtet. Kleine Pagoden mit Mitmach-Aktionen, Bühnenprogramm in großen Zelten und auf dem Freigelände, die obligatorischen Food-Trucks. Es ist alles außerordentlich geschmackvoll, aber zum Start am Freitag halt auch wirklich leer. Immerhin füllt es sich nach dem Mittag deutlich.
Dem ersten Talk des Tages im Neo House, so der Name eines Zeltes, lauschen etwa 50 Menschen. Er ist aber auch nicht unbedingt ein Feel-good-Starter, es geht darum, wie die Gesellschaft und auch Gerichte Frauen, die sexuellen Missbrauch erleben, alleine lassen. Und so richtig digital ist das Thema auch nicht, wenn auch freilich absolut relevant.
KI und Kunst, KI und Urheberrecht
Das Programm wirkt trotz der kleineren Zahl an Sessions als in Berlin fast bunter – oder zumindest ist es ein besserer Querschnitt. Denn die Haupt-Veranstaltung hatte wenig überraschend einen ganz schönen KI-Schwerpunkt, obwohl das eigentliche Motto Cash war. Bis vor einigen Wochen war der Hype aber vielleicht auch einfach noch größer. So langsam scheinen sich viele eher mit dem tatsächlichen Nutzen von KI auseinanderzusetzen und die Utopien sowie wahlweise Dystopie beiseitezulegen.
Da geht es etwa konkret um die Frage, wie KI das Künstler und Künstlerinnenbild ändern wird. Ralf Schlüter trägt vor, er ist langjähriger Kulturjournalist. Inzwischen ist das schmucke Spiegelzelt mit gut 100 Gästen gefüllt. Künstler seien im 20. Jahrhundert zunächst Schöpfer, Tabubrecher und Role Models gewesen, es gibt um Unikate. Mit der Spätmoderne änderte sich das, Andy Warhol nannte sein Atelier Fabrik und Joseph Beuys sprach jedem Kreativität zu. Es folgten in der Musik Remise und Samples. „Hier sehe ich Parallelen zur Entwicklung in der KI“, sagt Schlüter. Allerdings sollte man nun nicht denken, dass Role Models ausgestorben sind – die gibt es bei den Influencern und Content Creatorn.
Heise-Justiziar Joerg Heidrich ist am zweiten Tag dran und schlaut über vermeintlich offene Fragen zum Urheberrecht und KI auf. Was er übrigens auch im Heise-Podcast KI Update macht. Weniger juristisch, dafür mindestens ebenso relevant: Martin Fuchs erzählt, wie Bildgeneratoren den Wahlkampf beeinflussen können. Das passiert bereits. In der Schweiz gab es ein KI-generiertes Bild, das "Klimakleber" zeigt, die einen Krankenwagen blockieren – Fake. Die AfD hat einen vermeintlichen Goldschatz präsentiert, allerdings hatte einer der Begutachter sechs Finger. Google verlangt bereits Kennzeichnungen für den Einsatz von KI in der politischen Werbung.
Podcasts, Social Media und wenig KI
Karin Bjerregard Schlüter sieht derweil in Algorithmen und KI eine Möglichkeit, wie wir selbst zu einer Identität finden, genauer, einem Mosaik als Abbild von uns. Während Social Media auf Nähe basierte, geht es beispielsweise bei TikTok um Reaktionen. Die Algorithmen spielen dabei eine große Rolle.
Daniel Kaiser und Katharina Mahrenholz sind zwei der Podcaster von Eat.Read.Sleep. In einem völlig KI-freien Vortrag erzählen die beiden NDR-Mitarbeiter, wie sie ihre Community aufgebaut haben. Auch hier gibt es Mitmach-Aktionen – direkt für das Publikum um Saal, genauso in den Podcast-Folgen.
Man kann den Programm-Machern wirklich keine Vorwürfe machen. Es gibt für jeden „Ich mach was mit Medien“-Menschen eine Menge Input und Inspiration. Schade, dass nur recht wenig Besucher gekommen sind, wobei es über den Tag doch immer mehr werden. Vielleicht ist auch die gleichzeitig in Köln stattfindende Dmexco einer der Gründe dafür. Das Publikum ist deutlich jünger, als aus Berlin bekannt. Statt weißer Turnschuhe gibt es viel Mesh und klobige Sohlen. Mit denen lässt sich prima über das Gelände am Heiligengeistfeld schlendern. Noch bis in den Abend und den ganzen Samstag.
(emw)