Mediziner warnen vor "Post-Antibiotika-Zeitalter"
Mediziner warnen vor der zunehmenden Gefahr durch resistente Bakterien. 2005 infizierten sich bereits rund drei Millionen Europäer mit Keimen, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht mehr helfen – 50.000 von ihnen starben daran.
Mediziner warnen vor der zunehmenden Gefahr durch gegen Antibiotika resistente Bakterien. 2005 infizierten sich bereits rund drei Millionen Europäer mit Keimen, gegen die herkömmliche Antibiotika einfach nicht mehr helfen – 50.000 von ihnen starben daran. Das berichtet das Technologiemagazin Technology Review in seiner aktuellen Ausgabe 04/07.
Hans-Jörg Linde, Mediziner an der Uniklinik Regensburg, sieht bereits das "Post-Antibiotika-Zeitalter" heraufziehen. Seine Kollegin Petra Gastmeier, Mikrobiologie-Expertin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), stimmt ihm zu: "Das Problem spitzt sich zu." Infektionen sind nach Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen immer noch die dritthäufigste Todesursache in den Industrieländern. Besonders gefährlich sind die Methicillin-resistenten Staphylococcus-aureus-Bakterien (kurz MRSA). Im durch HIV geschwächten Afrika breitet sich derzeit zudem ein als XDR ("extensive drug resistant") bezeichneter Tuberkulose-Erreger rasant aus. Der Erreger entzieht sich also dem Zugriff durch die moderne Pharmazie nahezu vollständig. Auch in Europa tritt XDR immer häufiger auf. In Krankenhäusern sind sogar schon Keime aufgetaucht, die gegen alle bekannten Antibiotika immun waren – total drug resistant (TDR) sozusagen.
"Je knapper das Personal, desto höher ist die Infektionsrate", berichtet Gastmeier aus der klinischen Praxis: "Die Patienten, die viel Betreuung brauchen, sind einem höheren Risiko ausgesetzt." Denn häufig werden die Bakterien von Ärzten und Pflegern von Patient zu Patient transportiert. Eine einfache Handdesinfektion würde dagegen helfen; laut Studien kann dadurch das Übertragungsrisiko um 40 Prozent sinken. Aber die gründliche Reinigung dauert laut Gastmeier 30 Sekunden – und sei bei bis zu 20 unterschiedlichen Patienten pro Stunde schlicht nicht zu bewältigen.
Vor diesem Hintergrund erscheint es wie pures Glück, dass die in zweierlei Hinsicht problematischsten Bakterien bislang nur getrennt voneinander ihr Unwesen treiben: Auf der einen Seite gibt es die hochaggressiven, aber nur teilweise resistenten Erreger. Auf der anderen Seite gibt es in Krankenhäusern die superresistenten Keime, die aber weniger aggressiv sind. Käme es zu einer Kombination der extrem gefährlichen mit den extrem resistenten Erregern, wäre das Ergebnis eine Supermikrobe "mit erheblicher gesundheitspolitischer Bedeutung", wie Linde es vorsichtig formuliert.
Laut Gastmeier besteht allerdings die Chance, dass die Pharmaindustrie wieder größeres Interesse an den Bakterien-Killern entwickelt. Dass man mit Antibiotika tatsächlich kommerziellen Erfolg haben kann, zeigt der Fall Basilea: Fünf Jahre nach der Abspaltung vom Basler Pharmagiganten Roche und ein Jahr nach einem zähen Börsenstart in Zürich hat das Unternehmen 2005 die Erprobung des Breitband-Antibiotikums Ceftobiprole medocaril in der letzten klinischen Phase angekündigt. Es soll Bakterien töten, die bereits immun sind gegen die gebräuchlichsten Antibiotika – wegen der guten Verträglichkeit allesamt Verwandte des Penicillins. Noch im selben Jahr übernahm eine Tochter des US-Chemiekonzerns Johnson&Johnson für im Erfolgsfall fällige 237 Millionen Euro und spätere Umsatzbeteiligung die Vermarktung und Kosten für die letzte klinische Untersuchungsphase. Weitere Impulse kommen, ebenso wie die Gefahr, direkt aus der Natur: In jeder Hand voll Erde leben einige hundert verschiedene Mikroorganismen, viele von ihnen produzieren Antibiotika zur Selbstverteidigung.
In Bakterien der Spezies Bacillus subtilis fand Gabriella Molinari von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig beispielsweise eine Verbindung mit dem Namen 7-O-malonyl-Macrolactin A, kurz MMA, die gegen eine Vielzahl von mehrfach resistenten Erregern wirkt, "vermutlich, indem sie die Zellteilung stört". Im vergangenen Jahr haben Molinari und ihre Kollegen die Substanz patentieren lassen. Ein Hoffnungsschimmer: Doch eine schnelle Rettung lässt er nicht erwarten: "Oft denken die Leute, wenn sie so etwas lesen, dass man den neuen Wirkstoff jetzt in der Apotheke kaufen kann", sagt die Forscherin, "„in Wirklichkeit dauert das bestimmt noch zehn Jahre."
Mehr dazu in TR 04/07 (seit dem 29. 3. am Kiosk und online bestellbar):
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(wst)