BKA: Polizei braucht Staatstrojaner vor allem zur Drogenfahndung
Der Großteil der Fälle, in denen Ermittler einen Bedarf für Trojanereinsätze angemeldet haben, fallen in den Bereich Rauschgiftkriminalität.
Die Polizei hat den größten Bedarf für die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) im Bereich Drogenfahndung. Dies geht aus einem Analysepapier des Bundeskriminalamts (BKA) von 2014 hervor, das Netzpolitik.org mithilfe einer Anfrage auf Basis des Informationsfreiheitsgesetzes erhalten und jetzt veröffentlicht hat. 53 Prozent der gemeldeten Fälle, in denen Ermittler auf Staatstrojaner zurückgreifen wollten, lassen sich demnach dem Deliktsbereich "Rauschgiftkriminalität" zuordnen.
Das Dossier hat die "Rechtstatsachensammel- und -auswertestelle" (Retastat) beim BKA zusammengestellt. Ihre Aufgabe ist es, Sachverhalte aus der polizeilichen Praxis zu sammeln und aufzubereiten, in denen "rechtliche oder gesetzliche Defizite" als Hürden für die Arbeit der Ordnungshüter deutlich geworden sind. In diesem Fall ging es um die Quellen-TKÜ, mit der verschlüsselte Telekommunikation etwa von Messengern wie WhatsApp, Signal oder Threema sowie Online-Telefonate via Skype & Co. "an der Quelle" abgegriffen werden ann, bevor sie ver- oder nachdem sie entschlüsselt wurde. Für eine derartige Überwachung werden in der Regel Trojaner benötigt.
Betrug, Raub, Erpressung
Als weiteren Schwerpunkt neben der Drogenkriminalität hat die Retastat in ihrer 2012 und 2013 bei Polizeien von Bund und Ländern durchgeführten Bedarfsanalyse "Eigentums- und Vermögensdelikte/Betrugsdelikte/Raub/Erpressung" einschließlich Computerbetrug ausgemacht. Auf diesen Sektor entfallen mit 23 Prozent knapp ein Viertel der angemeldeten Wünsche für den Einsatz von Staatstrojanern zum Abhören verschlüsselter Telekommunikationsinhalte.
Der Bundestag kam mit schwarz-roter Mehrheit voriges Jahr dem Drängen der Ermittler nach und verankerte eine breite Befugnis in der Strafprozessordnung (StPO), mit der die Polizei nun offiziell Internet-Telefonate und Messenger-Kommunikation bei Verdacht auf eine Vielzahl von Delikten überwachen sowie heimliche Online-Durchsuchungen durchführen darf. Der Straftatenkatalog für die Quellen-TKÜ fängt mit Mord und Totschlag an, reicht aber über Steuerdelikte, Computerbetrug, Hehlerei bis zu einem Vergehen, bei dem jemand einen Flüchtling zu einer missbräuchlichen Asylantragsstellung verleitet.
Wasser auf die MĂĽhlen der Kritiker
BegrĂĽndet hatte die groĂźe Koalition die Initiative vor allem mit dem Kampf gegen schwere und schwerste Delikte. "Hier geht es um Straftaten wie die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, um Kinderpornografie, Mord und Totschlag oder um schweren Raub mit Todesfolge", betonte etwa der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg bei der abschlieĂźenden Lesung des Gesetzesentwurfs. Derlei Vergehen werden in der Bedarfsanalyse der BKA-Stelle aber ĂĽberraschenderweise gar nicht genannt, dort geht es vor allem um wenig schwere Delikte.
Die nun öffentlich gewordene Bedarfsermittlung ist Wasser auf die Mühlen von Kritikern des Gesetzes. Ihnen zufolge wird damit der Einsatz von Staatstrojanern vor allem im Kampf gegen Alltagskriminalität ermöglicht. Politiker von SPD, FDP, Linken und Grünen zeigten sich bestärkt in ihrer Ansicht, dass die mit dem Werkzeugkasten für die Polizei verknüpften Grundrechtseingriffe absolut unverhältnismäßig seien. Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchungen gefährdeten auch die IT-Sicherheit allgemein.
Gegen das Überwachungsgesetz laufen mittlerweile einige Verfassungsbeschwerden. Mehrere Bundesländer planen trotzdem parallel, den Einsatz von Staatstrojanern noch breiter zur Gefahrenabwehr zuzulassen. Andere Länder wie Bayern, Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz haben entsprechende Möglichkeiten schon geschaffen. (axk)