China: Human Rights Watch legt App für die Massenüberwachung offen

Polizisten in Xinjiang tragen Daten über die Bürger in einer App zusammen. Die informiert im Gegenzug über verdächtiges Verhalten, sagt Human Rights Watch.

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China: Eine App für die Massenüberwachung

(Bild: JoaoCachapa/Shutterstock.com)

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Die chinesischen Behörden greifen bei ihrem harten Vorgehen gegen die muslimische Minderheit der Uiguren auf eine App zurück, die große Teile des Überwachungsapparats zusammenführt. Das haben Recherchen der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch ergeben, die nun veröffentlicht worden. Dafür haben die Menschenrechtler die App analysiert und per Reverse Engineering auseinandergenommen, um ihre Funktionsweise zu ergründen. Die Ergebnisse geben einen weiteren Einblick in Chinas Überwachungsapparat.

Die Minderheit der Uiguren ist mehrheitlich muslimischen Glaubens und spricht eine Turksprache. Sie lebt vorwiegend in der westchinesischen Region Xinjiang. Das Vorgehen des chinesischen Zentralstaats dort und andernorts gegen die Uiguren steht seit längerem immer wieder in der Kritik. Bis zu einer Million Uiguren soll in sogenannten "Umerziehungslagern" eingesperrt sein. Chinas Führung spricht von präventiven Maßnahmen zur "Verhinderung von Terrorismus" und verbittet sich jedwede Einmischung aus dem Ausland. Wie dort mit High-Tech ein Überwachungsstaat aufgebaut wurde, beleuchtet nun Human Rights Watch.

Dem ausführlichen Bericht zufolge handelt es sich bei der analysierten App um ein Werkzeug, mit dem Polizisten und andere Staatsbedienstete mit der Integrated Joint Operations Platform (IJOP) kommunizieren können. Darüber können sie demnach nicht nur Daten an die Plattform weitergeben, sondern werden informiert, wenn dort Verdächtiges registriert werde. Human Rights Watch sieht darin ein weiteres Schlaglicht auf die Überwachungspraxis in China. Die sei zwar in der autonomen Region Xinjiang – wo die App eingesetzt wird – besonders umfassend, entspreche aber im Prinzip jenem System, das im Rest des Landes zum Einsatz komme oder kommen solle.

In der App werden die Nutzer demnach aufgefordert, verschiedenste Daten über die Bürger einzugeben und zu erklären, unter welchen Umständen sie gesammelt wurden. Das gehe über Basisinformationen wie den Namen oder die Ausweisnummer deutlich hinaus und umfasse etwa das Autokennzeichen, die erfahrene Ausbildung, die Telefonnummer, die Blutgruppe, die Religion und die Ausprägung des religiösen Glaubens ("durchschnittlich" oder "stark"). Von besonderem Interesse sind demnach längere Auslandsaufenthalte, der Verzicht auf Smartphones, zu viele Nachkommen, "abnormaler Energieverbrauch" oder das Sammeln von Spenden für Moscheen.

Gleichzeitig scheine die App aber auch mit anderen Datenbanken verbunden zu sein, schreibt Human Rights Watch. So würden Nutzer alarmiert, wenn Bürger zu viel Strom verbrauchen. Polizisten sollen das dann untersuchen und entscheiden, ob weitere Ermittlungen nötig sind. Wenn ein Mobiltelefon sich länger nicht mehr ins Netz einloggt, wird demnach ebenfalls Alarm geschlagen. Sogar wenn ein Auto über längere Zeit nicht in den Überwachungsdaten auftaucht, würde die Polizei alarmiert. Das gleiche passiere, wenn jemand ein Auto betankt, das nicht auf ihn oder sie registriert ist. Möglich mache das eine Registrierungspflicht, laut der nur unter Angabe des Namens getankt werden dürfe.

Durchquert eine Person einen der vielen Checkpoints in Xinjiang, könne das ebenfalls einen Alarm auslösen. Verdächtig könne sich auch jemand machen, der wenig Kontakt zu Nachbarn hat und Gebäude öfter nicht durch die Vordertür betrete, wo Videokameras für Überwachung sorgen. Handys und Smartphones von Bürgern werden demnach ebenfalls durchsucht und bestimmte Apps können die Nutzer ebenfalls weiter ins Visier der Behörden bringen. Dazu gehören verschlüsselnde Messenger wie WhatsApp und VPN-Dienste.

Human Rights Watch ist überzeugt, dass das aufgedeckte Vorgehen auch in China gesetzwidrig ist. Die dahinterstehende Plattform müsse eingestampft und die gesammelten Daten gelöscht werden. Die zuständigen Parteikader müssten zur Verantwortung gezogen werden und Vertreter der Vereinten Nationen müssten Zugang zu Xinjiang erhalten. Regierungen in aller Welt sollten gezielte Sanktionen gegen die Verantwortlichen einleiten, der Export von Technik für die Überwachung müsse unterbunden werden. Beteiligte Unternehmen sollten sich zu ihrer Verantwortung bekennen. (mho)