Chinas Plan für Künstliche Intelligenz: Orwell live erleben
China baut mithilfe von Maschinenlernen und Social Scoring ein gigantisches Kontrollsystem auf, hieß es in der KI-Kommission des Bundestags.
Der Paderborner Medienwissenschaftler Jörg Müller-Lietzkow sieht China schnurstracks auf dem Weg zur Weltmacht im Bereich Künstliche Intelligenz (KI). Das Reich der Mitte dominiere schon heute den Hardwaremarkt, erklärte der Forscher am Montag in einer öffentlichen Sitzung der Enquete-Kommission des Bundestags für KI. Werde diese Position nun plangemäß mit smarter Software kombiniert, könne China auf dem gesamten Sektor "weltweit Standards setzen".
Die KI-Strategie Pekings sehe genau dieses Ziel auch vor für die nächsten Jahrzehnte, berichtete Müller-Lietzkow. Künstliche Intelligenz werde darin als "Schlüssel zur Aufrechterhaltung der Produktivität" gesehen. Die chinesische Regierung habe in diesem Zusammenhang auch erkannt, dass billige Arbeitskräfte allein auf dem Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr das A und O seien.
Wohlstand und Bürgerkontrolle mit KI
KI wird in China laut dem Wissenschaftler in China zum einen als "unterliegende Schicht" gesehen, um zunehmenden Problemen wie der Umweltzerstörung oder dem Verkehrsinfarkt entgegenzuwirken. Zudem solle die Technik Wohlstand und Reichtum mehren, zugleich aber "die Effektivität der Kontrolle der Bürger deutlich erhöhen". Vorläufer dafür sei das von Wirtschaft und Staat entwickelte "Social Credit"-System mit umfassendem gesellschaftlichen Scoring, vor dem hierzulande auch andere Sachverständige warnen.
Die wichtigen chinesischen ökonomischen Akteure auf diesem Feld wie Alibaba, Baidu oder Tencent hätten dabei mit Bezahllösungen und universellen Apps wie Alipay oder WeChat bereits die "größte Social-Media-Nation geschaffen", erläuterte Müller-Lietzkow. Dabei gingen alle Daten an die Hersteller und seien damit "wunderbar einfach zu kontrollieren". Alle Unternehmen hätten zudem "staatliche Verbindungen" und spezielle Aufträge etwa rund ums autonome Fahren, Social Scoring oder Gesundheitsdienste. China sei damit bereits bei der "Kontrolle des Internetverkehrs und bei E-Commerce die Nummer Eins" und habe hier die USA, Japan und Deutschland zusammen überholt.
Datenschutz gegen Komfort
Die Einstellung auch der Nutzer sei dabei teils grundverschieden zu denen im Westen, meinte Müller-Lietzkow. Das Motto laute, "Datenschutz gegen Convenience" zu tauschen, verwies er auf Bequemlichkeitsgewinne durch die Apps. Auch das "Gefühl von Sicherheit" oder der Kampf gegen Korruption seien weitere wichtige Aspekte für die chinesischen Bürger. So lieferten im Reich des Drachen schon eine Milliarde Konsumenten regelmäßig umfangreiche persönliche Informationen an Firmen und Regierung frei Haus.
Selbst "mittelmäßige Wissenschaftler" könnten "mit diesen ungefilterten Rohdaten ganz viel anstellen", beschrieb Müller-Lietzkow ein ausgefeiltes System der gesellschaftlichen Steuerung. Es gelte, Orwell und sein soziales Schreckbild 1984 ernst zu nehmen: Vor Ort "können Sie den leben", konstatierte er. Dass sich dagegen wenig Widerstand rühre, hänge auch mit der chinesischen Geschichte zusammen bei einer Nation, die schon einmal eine große Mauer um sich herum errichtet habe.
Insgesamt habe China so einen "ambivalenten Weg" einschlagen, urteilte der Forscher. KI werde als "Wachstumsmotor Nummer Eins" gesehen und als Mittel dazu, das Leben angenehmer zu machen. Daneben sei zu bedenken, dass mit DJU ein chinesischer Konzern Weltmarktführer für Drohnen sei, fast alle mobilen Endgeräte mit "Fernwartungsmöglichkeiten" im Reich der Mitte gebaut würden und die Nation auch bei der Fertigung von Industrierobotern vorne liege, auch wenn KI-Fähigkeiten dafür derzeit oft noch aus Deutschland kämen.
USA nicht abschreiben
Die USA dürfe man trotz der fernöstlichen Ambitionen aber nicht abschreiben, beschied bei der Runde Stefan Heumann von der Stiftung neue Verantwortung. In der KI-Disziplin Maschinenlernen seien die Vereinigten Staaten weltweit an der Spitze. Auch die dort beheimateten großen Plattformen wie Amazon, Facebook oder Google verfügten über große Datenmengen und ein hohes technisches Know-how mit Blick auf konkrete Anwendungsfelder. Hohes Interesse hätten diese Firmen etwa daran, hochgeladene Bilder zu verstehen, gezielt Nutzerprofile zu erstellen und Werbung auszuspielen, wofür jeweils Algorithmen zur Analyse der elektronischen Spuren eingesetzt würden.
Dazu kommt Heumann zufolge jenseits des Atlantiks "KI-Spitzenforschung an einer ganzen Reihe von Universitäten". Silicon Valley sei auch aufgrund seiner Stärke bei Startups und Wagniskapitalfinanzierungen nach wie vor das führende System für Künstliche Intelligenz weltweit zusammen mit Tech-Clustern in Boston, New York oder Austin. Auch eine starke ethische Debatte werde dort geführt und etwa eine "Diskriminierung durch Algorithmen" skeptisch gesehen, auch wenn entsprechende Überlegungen und eine nationale KI-Strategie in der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump "hinten runtergefallen" seien.
"Mehr Daten" sind keine Lösung
Für die geplante KI-Strategie der Bundesregierung und die Arbeit der Bundestagskommission empfahl Heumann, in anderen Ländern unterbelichtete Bereiche zu besetzen. So verschwömmen viele KI-Ansätze meist hinter dem Steckenpferd Maschinenlernen, konkrete Forschungsfelder würden nicht benannt und es werde meist nur stereotyp gefordert, "mehr Daten" zu mobilisieren und Grundprinzipien des Datenschutzes trotzdem zu wahren. Auswirkungen auf öffentliche Diskurse oder Eingriffe in die Meinungsfreiheit durch automatisierte Filter würden kaum angesprochen, obwohl Algorithmen verstärkt etwa Newsfeeds "und damit auch unsere demokratische Debatte" prägten. (axk)