Corona-Immunität: Bundesdatenschutzbeauftragter lehnt Impfpass-App ab
Die Bundesregierung will die rechtliche Basis für einen digitalen Immunitätsausweis schaffen. Ulrich Kelber warnt vor einer Diskriminierungswelle.
Gravierende Bedenken gegen die von der Bundesregierung vorgesehene Rechtsgrundlage für einen digitalen Seuchenpass führt der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber ins Feld: Er befürchtet, dass die geforderte Bestätigung einer potenziellen Immunität gegen Infektionskrankheiten wie Covid-19 "zu einer Diskriminierung der Betroffenen" führen könne, wenn dieser Nachweis fehle.
Unzulässige Nutzung des Immunitätsausweises
"Besonders problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass es längst erste Bestrebungen zu einer digitalisierten Form der Dokumentation (Impfpass-App) gibt", schreibt Kelber in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme. Presseberichten sei zu entnehmen, "dass beispielsweise Geschäfte und andere Private die Nutzung ihres Angebotes von einem Immunitätsnachweis abhängig machen wollen". Dies wäre nach Artikel 9 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) unzulässig, was der Gesetzgeber zumindest in der Begründung klarstellen sollte. Besser wäre es noch, mit einem konkreten Passus jegliche Vorstöße dieser Art zu unterbinden.
Das Bundeskabinett hatte am Mittwoch den Entwurf eines "Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" auf den Weg gebracht, mit dem vor allem das Infektionsschutzgesetz nach der jüngsten Novelle im März schon wieder im Schnellverfahren reformiert werden soll. "Wenn wissenschaftlich bewiesen ist, dass nach einer Infektion mit Sars-Cov-2 Immunität besteht und man niemanden mehr anstecken kann, lassen sich Schutzmaßnahmen zielgenauer ergreifen", schreibt die Regierung darin. "Dafür kann man sich künftig Immunität bescheinigen lassen – analog zum Impfpass."
"Setzen einer Spritze" vs. medizinischer Befund
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht derzeit einen Infektionsschutz nach einer durchgestanden Covid-19-Erkrankung nicht als erwiesen an. Trotzdem führt das Kabinett in der Initiative "vorsorglich" aus, dass die Immunitätsdokumentation "in Bezug zur jeweiligen übertragbaren Krankheit" Angaben enthalten müsse wie das Datum der Feststellung der Immunität und deren "nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft zu erwartende Dauer, gegebenenfalls auch Informationen zur Testmethode. Dazu kommen sollen Name und Anschrift der Person, die die Immunität festgestellt hat, sowie "die Bestätigung in Schriftform oder in elektronischer Form mit einer qualifizierten elektronischen Signatur oder einem qualifizierten elektronischen Siegel" durch einen Arzt.
Die gewünschte "Dokumentation des Serostatus einer Person" ändere den gesamten Charakters des Impfpasses, hält Kelber dagegen: Bisher werde darin das Setzen einer Spritze festgehalten, künftig "ein medizinischer Befund" beziehungsweise "eine ärztliche Bewertung". Diese Gesundheitsinformationen seien aber "besonders geschützt" und dürften "nur in begründeten Fällen" verwendet werden. Aufgrund der "aktuellen Lage der Verunsicherung" befürchtet der Sozialdemokrat aber, "dass eine solche Dokumentation zu einer missbräuchlichen Verwendung verleiten könnte". Er weist daher "mit Nachdruck darauf hin", dass eine Verarbeitung dieser sehr sensiblen Daten nach DSGVO "grundsätzlich untersagt" und nur unter engen Ausnahmen zulässig sei.
Meldepflicht "auch bei negativer Testung"
Generell wolle das Kabinett mit dem Vorhaben die Meldepflichten im Infektionsschutzgesetz erheblich ausweiten, moniert der Kontrolleur. Abgesehen von der Aufnahme von Covid-19 beziehungsweise des ihr zugrundeliegenden Virus in die Listen der meldepflichtigen Erkrankungen und Seuchenerreger werde nun für neue bedrohliche Krankheiten eine Auflage zur personenbezogenen Information der Gesundheitsämter bereits auf einen einschlägigen, nicht näher beschriebenen Verdacht hin eingeführt. Die verbleibenden Unklarheiten seien angesichts der mit einer solchen Meldung potenziell verknüpften behördlichen Maßnahmen gefährlich.
Ferner wolle die Regierung für Sars-Cov-2 und andere Coronaviren eine Meldepflicht "auch bei negativer Testung" festschreiben, gibt Kelber zu bedenken. "Konkrete Ausführungen dazu, welche Vorteile sich hieraus gegenüber einer rein statistischen Erfassung ergeben, fehlen." Die "verfassungsrechtlich erforderliche Abwägung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung" bleibe das Kabinett ebenfalls schuldig.
"Ein Immunitätsausweis ist Diskriminierung mit Ansage."
Der Datenschützer bezweifelt so, dass die skizzierte Regel erforderlich und verhältnismäßig ist, "zumal von den nicht-infizierten Betroffenen keinerlei Gefahr ausgehen dürfte". Dass die Angaben "hilfreich" sein könnten, reiche nicht aus. Es entstehe der Eindruck, "als solle im Zuge der aktuellen Pandemie ein (weiteres), bundesweites verpflichtendes staatliches klinisches Register eingerichtet werden". Dafür gebe es aber "keine datenschutzrechtlich tragfähige Grundlage".
Das Robert-Koch-Institut (RKI) hält einen Corona-Immunitätspass noch nicht für machbar. "Da sind wir momentan noch nicht", konstatierte der Chef der Einrichtung, Lothar Wieler. Es gebe zu viele offene Fragen, wann und wie lange ein Mensch gegen das Virus gefeit sei. Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Kirsten Kappert-Gonther schrieb auf ihren Social-Media-Kanälen: "Ein Immunitätsausweis ist Diskriminierung mit Ansage. Absichtliche Infektionen wären nur eine Frage der Zeit. Ein medizinisch, ethisch und sozialer Irrweg." Der Gesetzentwurf soll am Donnerstag in 1. Lesung im Bundestag beraten werden. (bme)