Edit Policy: Mit dem Bildungstarif in die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft

Ein spezieller Bildungstarif soll Schüler*innen beim Online-Unterricht helfen. Doch der nützt vor allem der Telekom und bringt massive Probleme mit sich.

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Edit Policy: Mit Bildungstarif der Telekom droht die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft

(Bild: Ivan_Karpov/Shutterstock.com/Diana Levine)

Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Julia Reda
Inhaltsverzeichnis

Die Deutsche Telekom hat einen speziellen Bildungstarif angekündigt, der Schüler*innen den mobilen Zugang zu Bildungsinhalten ermöglichen soll, während alle anderen Onlineangebote gesperrt werden. Was zunächst gut klingen mag, nützt vor allem der Telekom und droht dabei, die Bildungsungerechtigkeit in Deutschland noch zu verstärken. Statt Internetzugang für alle droht die digitale Zwei-Klassen-Gesellschaft.

Kolumne: Edit Policy

(Bild: 

Volker Conradus, CC BY 4.0

)

In der Kolumne Edit Policy kommentiert der ehemalige Europaabgeordnete Felix Reda Entwicklungen in der europäischen und globalen Digitalpolitik. Dabei möchte er aufzeigen, dass europäische und globale netzpolitische Entwicklungen veränderbar sind, und zum politischen Engagement anregen.

Artikelserie "Schule digital"

Mit dem Ende der Sommerferien und erneut steigenden Infektionszahlen wird es immer wahrscheinlicher, dass auch in Zukunft ein erheblicher Teil des Unterrichts an deutschen Schulen online stattfinden könnte. Bund und Länder haben bereits 500 Millionen Euro über den DigitalPakt Schule bereitgestellt, um sicherzustellen, dass alle bedürftigen Schüler*innen über ein Endgerät verfügen, mit dem sie am Online-Unterricht teilnehmen können. Nun plant die Deutsche Telekom einen speziellen Bildungstarif, der auf diesen Endgeräten aus dem DigitalPakt zum Einsatz kommen soll. Ziel sind also Schüler*innen, die zuhause über kein anderes internetfähiges Endgerät verfügen, weil die Eltern sich dies nicht leisten können. Die Kosten von 10 Euro pro Monat für den geplanten Tarif sollen die Schulträger übernehmen.

Die Telekom betont, dass dieser Datentarif ausschließlich für Bildungsinhalte nutzbar sein solle, die von den Schulträgern ausgewählt werden. Auch Vodafone erklärt auf Anfrage, dass der Konzern mit der Politik in Gesprächen sei und an passenden Angeboten arbeite. Zu den Details dieser Bildungstarife will sich aber keiner der beiden Konzerne äußern, und das obwohl der Start des Telekom-Tarifs bereits für Mitte September geplant ist. Die Schweigsamkeit könnte auch daran liegen, dass sich rund um den begrenzten Datentarif viele rechtliche Fragen auftun – von Netzneutralität bis hin zum Datenschutz.

Klar ist: Ein Datentarif, der nur den Zugang zu bestimmten Bildungsangeboten ermöglicht, ist nicht geeignet, das erklärte Ziel von Bund und Ländern zu erreichen, "Schülern zu Hause einen bezahlbaren Zugang zum Internet zu ermöglichen". Internetzugang heißt Zugang zum gesamten Internet, nicht zu einer Handvoll Bildungsangeboten, die der Schulträger gezielt ausgewählt hat. Das Erlernen von Medienkompetenz, wozu auch die Fähigkeit gehört, selbständig verlässliche Informationen zu finden und zu überprüfen, ist kaum möglich, wenn die Recherche von vornherein auf wenige Websites beschränkt wird.

Auch lässt sich das Internet nicht eindeutig in Bildungsangebote und Unterhaltungsangebote unterteilen, wie die Telekom es suggeriert. Auf YouTube etwa finden sich neben jeder Menge Unterhaltung auch unzählige hochwertige Bildungsinhalte, die beispielsweise Grundlagen der Mathematik oft zielguppengerechter vermitteln als so manches Schulbuch. Schüler*innen, die zwar ihre Hausaufgaben herunterladen und dem Unterricht per Livestream folgen können, aber ansonsten von einer eigenständigen Internetrecherche abgehalten werden, haben also keineswegs vergleichbare Voraussetzungen für die Online-Bildung.

Auf Anfrage bleibt die Telekom die Antwort schuldig, wie die geplante Beschränkung des Tarifs auf Bildungsinhalte technisch sichergestellt werden soll. Dabei ist diese Frage für die rechtliche Einordnung des Angebots von großer Bedeutung.

Grundsätzlich gibt es zwei technische Herangehensweisen, um den Bildungstarif auf bestimmte Inhalte zu beschränken. Entweder findet die Sperrung der Inhalte netzwerkseitig bei der Telekom statt, oder sie geschieht lokal auf dem durch den DigitalPakt öffentlich finanzierten Endgerät. Beide Optionen haben ihre Tücken.

Eine Sperrung aller Nicht-Bildungsinhalte durch die Telekom wäre ein Verstoß gegen die Netzneutralität, wonach Anbieter von Internetzugangsdiensten alle Online-Inhalte grundsätzlich gleich zu behandeln haben. Die Netzneutralität ist ein elementares Grundprinzip des Internets und schützt nicht nur unsere Informationsfreiheit, sondern beugt auch einer Monopolbildung im Netz vor, indem unfaire Vorteile bestimmter Unternehmen beim Erreichen ihrer Kund*innen unterbunden werden.

An dem Verbot ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bildungsinhalte nicht durch die Telekom selbst, sondern durch den Schulträger ausgewählt würden. Die EU-Netzneutralitätsverordnung verbietet der Telekom nämlich, zum Zwecke des Trafficmanagement konkrete Inhalte zu überwachen. Allein anhand der IP-Adressen wird eine Filterung der Datenströme aber nicht funktionieren, da nicht alle Bildungsinhalte über statische IP-Adressen verfügen. Bereits bei den Domain-Namen handelt es sich laut EU-Telekommunikationsregulierer BEREC um konkrete Inhalte, das hat dieser erst jüngst in seinen Leitlinien zur Netzneutralität bestätigt.

Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist der Datenschutz besonders wichtig, es ist also unvorstellbar, dass die Telekom mittels Deep Packet Inspection deren Surfverhalten überwachen können soll, nur um sicherzustellen, dass sie ausschließlich Bildungsangebote aufsuchen. Auch wenn ein Schulträger die Telekom anweist, welche Inhalte gesperrt und welche durchgeleitet werden sollen, wäre eine solche Überwachung des Datenverkehrs durch die Telekom ohne explizite Gesetzesgrundlage europarechtswidrig.

Eine andere Möglichkeit ist, dass die Sperrung der Inhalte nicht netzwerkseitig durch die Telekom selbst, sondern mittels eines Inhaltefilters lokal auf den Endgeräten der Schüler*innen vorgenommen wird. Um sicherzustellen, dass nur die vom Schulträger freigegebenen Bildungsangebote erreichbar sind, müsste eine Allowlist zum Einsatz kommen. Anstatt nur bestimmte als jugendgefährdend eingestufte Inhalte zu blocken, wäre damit die ganz überwiegende Zahl der Onlineangebote nicht erreichbar, inklusive aller neuen Angebote, die beim Schulträger womöglich noch nicht bekannt sind. Der Einsatz von Allowlists ist an Schulen nicht gänzlich ungewöhnlich, auch wenn er gerade für höhere Jahrgangsstufen das Erlernen von Medienkompetenz massiv behindert.

Brisant wird der Einsatz von Allowlists aber spätestens dann, wenn solche Filter auf dem einzigen Endgerät installiert werden sollen, das Schüler*innen während der Pandemie den Internetzugang von zuhause ermöglichen soll. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es ja nicht nur, allen Schüler*innen die Teilnahme am digitalen Unterricht zu erlauben, sondern ihnen Zugang zum Internet zu ermöglichen. Auf dieses Ziel haben sich Kanzlerin Merkel, Bundesbildungsministerin Karliczek und SPD-Vorsitzende Esken mit den Kultusminister*innen der Länder verständigt. Mit 500 Millionen Euro allein für Endgeräte und noch einmal soviel für eine digitale Bildungsoffensive nimmt die Bundesregierung viel Geld in die Hand, um dieses Ziel zu erreichen. Der verpflichtende Einsatz von Allowlists würde dieses Ziel konterkarieren, weil damit Schüler*innen aus sozial schwächeren Haushalten eben keinen Zugang zum Internet von zuhause bekommen würden.

Rein rechtlich betrachtet wäre eine Filterung per Allowlist auf den öffentlich finanzierten DigitalPakt-Endgeräten vielleicht weniger angreifbar als eine netzwerkseitige Filterung. Es besteht aber die Gefahr, dass dieser Filter dann nicht nur bei Nutzung des Telekom-Tarifs mitlaufen würde, sondern auch, wenn Schüler*innen die Endgeräte etwa über ein WLAN nutzen. Die 500 Millionen Euro aus dem DigitalPakt würden also in geradezu defekte Endgeräte investiert, die das Ziel des Internetzugangs für alle nicht erreichen können. Dadurch würde nicht nur die soziale Teilhabe in Corona-Zeiten geschwächt, auch die Investitionen des Bundes würden unnötig entwertet.

Die Telekom will nicht sagen, ob die Filterung der Inhalte netzwerkseitig oder per Allowlist auf dem Endgerät geschehen soll. Es spricht aber viel dafür, dass die Telekom sich vertraglich vorbehalten will, auf irgendeine Weise zu überprüfen, dass der Datentarif tatsächlich nur für Bildungsangebote genutzt wird, die vom Schulträger ausgewählt wurden. Denn grundsätzlich ist es Endnutzer*innen laut EU-Netzneutralitätsverordnung gestattet, selbst zu entscheiden, in welchem Endgerät sie eine SIM-Karte verwenden. Die Telekom dürfte sie also nicht daran hindern, die SIM-Karte aus dem DigitalPakt-Endgerät in ein anderes Gerät einzusetzen, auf dem kein Inhaltefilter installiert ist. Auf diesem Wege könnten Schüler*innen das Datenvolumen doch wieder für beliebige Inhalte nutzen – vorausgesetzt, dass sie sich ein solches Endgerät leisten können. Ganz ohne Überwachung des Nutzungsverhaltens der Schüler*innen wird die Telekom ihren geplanten Tarif also kaum umsetzen wollen. Massive Datenschutzprobleme sind vorprogrammiert.

Für viele Jugendliche, gerade aus sozial benachteiligten Haushalten, wäre der Telekom-Bildungstarif vermutlich ihr erster Datenvertrag. Weil der geplante Bildungstarif unter dem Namen der Telekom angeboten wird, auch wenn die Schulträger die Kosten für den Tarif bezahlen, bedeutet das Angebot für die Telekom vor allem Neukund*innenwerbung. Stattdessen hätte die Politik sich auch für einen Mobile Virtual Network Provider entscheiden können, bei dem der Bildungstarif nicht den Namen eines großen Anbieters trage und so für ihn Werbung machen würde.

Durch den geplanten Bildungstarif werden junge Menschen an die Telekom gebunden und gleich daran gewöhnt, dass es ein Zwei-Klassen-Internet gibt, bei dem eben nicht alle Online-Angebote unter den gleichen Voraussetzungen zu erreichen sind. Wenn die zukünftigen Kund*innen der Telekom immer weniger auf Netzneutralität bestehen, wird es auch leichter, die gesetzlichen Netzneutralitäts-Garantien wieder abzuwickeln, bis es für alle selbstverständlich ist, dass das Internet wie Kabelfernsehen funktioniert. Der Trend geht bereits in diese Richtung, da zahlreiche Mobilfunkanbieter mit Zero-Rating versuchen, die Netzneutralität zu untergraben. Dabei werden bestimmte Nutzungsarten, etwa Musik-Streaming, nicht auf das monatliche Datenvolumen angerechnet.

Andere EU-Länder zeigen dagegen, dass es wirtschaftlich durchaus möglich wäre, viel höhere Inklusivvolumen als die hierzulande üblichen 5 bis 10 GB zu einem erschwinglichen Preis anzubieten. Zero Rating oder andere künstliche Beschränkungen des Datenverkehrs würden dadurch ohnehin überflüssig. Wenn die Politik also schon bereit ist, für die digitale Bildung bedürftiger Schüler*innen jeweils 10 Euro monatlich an die Telekom zu zahlen, dann sollte sie mindestens dafür sorgen, dass diese dafür einen vollwertigen Internetzugang bekommen. Ab 2022 wird Deutschland ohnehin durch EU-Recht verpflichtet sein, allen Menschen einen erschwinglichen Breitbandzugang zur Verfügung zu stellen. Auf dieses Ziel kann die Bundesregierung jetzt bereits hinarbeiten, anstatt durch schlecht durchdachte Hauruckaktionen die Netzneutralität zu gefährden.

Die Texte der Kolumne "Edit Policy" stehen unter der Lizenz CC BY 4.0.

Mehr Beiträge zum Themenkomplex Schule und Digitalisierung können Sie in unserer Artikelserie "Schule digital" finden:

(mho)