Ein Rekord-Turm im Urwald: Auf der Spur der Klimageheimnisse

Der Amazonas-Regenwald gilt als mitentscheidend im Kampf gegen die Erderwärmung. Deutsche Forscher wollen mit dem höchsten Klima-Messturm der Welt Wissenslücken schließen.

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Ein Rekord-Turm im Urwald: Auf der Spur der Klimageheimnisse

(Bild: mpic.de)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Georg Ismar
  • dpa
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Das Amazon Tall Tower Observatory, kurz Atto, ist mit 325 Meter der weltweit bisher höchste Klima-Messturm, höher als der Eiffelturm. Der Stahl-Gigant soll mit seinen Daten helfen, dass die Menschheit die richtigen Schritte im Kampf gegen den Klimawandel geht.

Christopher Pöhlker, Forscher am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, hat keine leichte Aufgabe: Er soll, rund 9000 Kilometer von der Heimat entfernt, das bisher einmalige Projekt fertigstellen helfen. Deutsche und Brasilianer betreiben es gemeinsam. Der Stahlturm, der weit über das grüne Dach der Amazonaswälder ragt, wurde bereits im August 2015 eröffnet. Aber erst jetzt wird er betriebsbereit gemacht.

Wegen bürokratischer Hürden, Geräten, die im Zoll festhingen, und einem Regierungswechsel in Brasilien gab es viele Verzögerungen. Derzeit machen Meteorologen und Chemiker von zwei Max-Planck-Instituten (MPI) in Mainz und Jena Dutzende Leitungen, mit denen Treibhausgase und Feinstaubpartikel angesaugt werden sollen, am Turm startklar.

Der Regenwald stabilisiert das Klima der Erde. Das ist im Groben klar. Doch wie genau dort Wald, Wolken, Winde, Niederschlag und die Miniteilchen in der Luft zusammenhängen, welche Veränderungen durch Treibhausgase entstehen, gibt noch manches Rätsel auf. Für den Klimaschutz und bessere Prognosen zu Erderwärmung müssen sie gelöst werden.

Die Messgeräte sollen in verschiedenen Höhen Daten sammeln zum Wandel der Prozesse im Regenwald, zur Kohlendioxid-Konzentration in den Luftmassen. Es geht bei Atto um Millionen von Daten – und darum, eine profunde Basis für die Weltklimaberichte zu liefern. Dafür ist es so wichtig, dass der Turm fernab von menschlichen Einflüssen durch Autoverkehr und Industrie steht.

8 Millionen Euro hat das Projekt bisher gekostet – zur Hälfte vom deutschen und brasilianischen Forschungsministerium finanziert. Weil Atto so hoch ist, lässt sich mit ihm die Atmosphäre über eine Fläche von 700 Kilometer Länge und 550 Kilometer Breite analysieren.

Durch das ständige Aufnehmen von Feuchtigkeit und Wieder-Abregnen funktioniert das Amazonasbecken wie eine Klima-Waschmaschine. Ohne den Wald dort wären große Teile Südamerikas eine Wüste. In Afrika, wo es solche Waldflächen nicht gibt, ist der Unterschied gut zu sehen.

Bis zu 143 Baumarten pro Hektar gibt es rund um Atto. Der Regenwald tauscht dort mehr Kohlenstoffe und Wasser aus als alle anderen Ă–kosysteme. Dabei ist es bereits viel trockener als frĂĽher. FĂĽr das Weltklima gilt die Amazonasregion als entscheidendes Kipp-Element.

Gerade erst ist der Pariser Weltklimavertrag in Kraft getreten. Darin verpflichten sich die Länder, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Die USA haben das Abkommen zwar ratifiziert. Doch der künftige Präsident Donald Trump bezeichnete den Klimawandel mal als eine Erfindung der Chinesen, um der US-Industrie zu schaden. Wenn er den Vertrag ausbremst, könnten weitere Staaten folgen.

Schon jetzt nimmt auch der Regenwald in Brasilien durch Abholzungen weiter ab. Atto-Projektmanager Reiner Ditz aus Mainz betont, wie wichtig diese auf Jahrzehnte angelegte Forschung ist: "Fakten sind das A und O. Wir von der wissenschaftlichen Seite würden nie mit emotionalen Argumenten hantieren." Inwieweit die Politik am Ende zuhöre und welche Entscheidungen sie treffe, stehe auf einem anderen Blatt. "Natürlich ist es bedenklich, wenn plötzlich Leute wie Donald Trump das Sagen haben, die an Fakten gar nicht interessiert sind", erklärte Ditz.

An Attos Fuß stehen drei Spezialcontainer – Stückpreis: 55 000 Euro – einer Firma aus Bremen, in denen die Partikel und die über andere Leitungen angesaugten Treibhausgase analysiert werden. Täglich um Mitternacht werden alle Daten per Satellit nach Mainz übertragen, das kostet allein 1600 Euro im Monat. Bei einem schon 2011 in der Nähe eingeweihten Turm, der nur 80 Meter hoch ist, kostet allein der Lufttrockner für die angesaugten Partikel über 150.000 Euro.

Bisher ist das Bauwerk die wohl höchste Schwalben-Toilette der Welt. Zum Sonnenuntergang umfliegen Tausende der Vögel die Turmspitze. Sie haben die Plattform auf 322 Metern mit Kot eingedeckt. Mit dem Aufbau darüber sind es 325 Meter.

Früher wurden für viel Geld Flugzeuge für Luftmessungen gechartert. Das war aber nicht kontinuierlich genug. Mit dem Turm lassen sich in unterschiedlichen Höhen über rund 40 Messeinheiten zuverlässig und tagtäglich Zahlen sammeln. Die Partikelforschung ist zum Beispiel wichtig, um die Gletscherschmelze etwa in den Anden zu verstehen. Durch die Brandrodungen im Regenwald steigt die Konzentration der Teilchen auf bis zu 2000 je Kubikzentimeter – statt rund 200. Zum Vergleich: Bei Smog in Peking können es bis zu 100.000 Partikel sein. Lagern sich immer mehr schwarze Partikelteilchen auf den Gletschern ab, kann das Sonnenlicht nicht mehr so stark reflektiert werden und das Schmelzen nimmt zu. (anw)