Forscher untersuchen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Corona-Verlauf

Verläuft eine COVID-19-Erkrankung schwerer, dann könnte das mit der Luftverschmutzung zusammenhängen. Doch Forscher und Pneumologen sind darüber noch uneinig.

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Forscher untersuchen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung und Corona-Verlauf

(Bild: Lanski/Shutterstock.com)

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  • dpa
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Starke Luftverschmutzung und schwerere Verläufe der Corona-Krankheit COVID-19 stehen möglicherweise in einem Zusammenhang. Das sagen zumindest bestimmte Forscher, andere sind skeptisch. Wie eine Studie des Geowissenschaftlers Yaron Ogen von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) zeigt, sind in Regionen mit einer dauerhaft hohen Schadstoffbelastung deutlich mehr Menschen nach der Infektion mit dem Coronavirus gestorben als in anderen Regionen. Auch eine Studie von US-Forschern der Harvard-Universität deutet darauf hin, dass es einen Zusammenhang gibt. Pneumologen äußern sich zurückhaltender.

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Ogen analysierte in seiner Studie Satelliten-Daten zur Luftverschmutzung auf der Erde, Wetterdaten zu Luftströmen und Angaben zu Todesfällen, die mit der neuartigen Lungenkrankheit in Verbindung stehen, aus Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland. Das Ergebnis: Vor allem in den Regionen, die besonders stark mit Stickstoffdioxid belastet sind und wo durch die Umgebung wenig Luftzirkulation möglich ist, sind Menschen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 gestorben. "Wenn wir uns beispielsweise Norditalien, den Großraum Madrid oder die Provinz Wuhan in China anschauen, sehen wir eine Besonderheit: Sie alle sind umgeben von Bergen. Das macht es noch einmal wahrscheinlicher, dass die Luft in diesen Regionen stabil und die Belastung mit Schadstoffen höher ist", sagt der Forscher.

Für Deutschland untersuchte er die Daten zu Luftverschmutzung und Corona-Sterbefällen auf Länderbasis. Demnach sei die Luft vor allem in Nordrhein-Westfalen, Südhessen, Bayern und an der Grenze zwischen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz stark belastet. Aber: "Der Grad der Belastung in Deutschland ist absolut nicht vergleichbar mit dem in Norditalien." Dort sei die Stickstoffdioxid-Konzentration zwei- bis dreimal höher als der deutsche Höchstwert.

US-Wissenschaftler der University Harvard fanden in einer Untersuchung heraus, dass eine höhere Feinstaubbelastung mit einem Anstieg der COVID-19-Sterberate zusammenhängt. Die Forscher verglichen die Luftqualität, der die Menschen in den verschiedenen US-Countys ausgesetzt sind, und die Covid-19-Todeszahlen miteinander. Mit dem Ergebnis, dass ein kleiner Anstieg der Schadstoffbelastung in der Luft, der Menschen langfristig ausgesetzt sind, zu einem Anstieg der COVID-19-Sterbefälle führt.

Wie groß der Einfluss des Faktors Umweltbelastung im Vergleich zu anderen Faktoren wie etwa Begleiterkrankungen auf den Verlauf von COVID-19 ist, kann Ogen nicht sagen. Aber genau das müsse man herausfinden, fordert er. "Um das Virus-Problem zu lösen, sollten die Wissenschaftler nicht nur Vorerkrankungen und Alter der Patienten und Toten betrachten, oder ob sie geraucht haben. Vielleicht gibt es mit Belastungen in der Umwelt nämlich noch einen wichtigen Faktor."

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(Bild: Copernicus Sentinel data 2019)

Vor allem wenn junge Menschen sterben, ist es Ogen zufolge erforderlich, die Umgebung zu betrachten: "Hat der 30-Jährige neben einem Flughafen oder der Autobahn gewohnt oder war er vielleicht Fernfahrer und somit immer Abgasen ausgesetzt? Das kann eine Rolle spielen."

Berthold Jany zufolge, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP), ist das noch nicht sicher. Stärkere Luftbelastung sei nicht zwingend der Grund für schwerere Krankheitsverläufe und auch nicht für häufigere Infektionen. Jany zufolge hängen Luftverschmutzung und Sterblichkeit zwar zusammen, das sei unbestritten, zum Beispiel etwa sterben Menschen, die an stark befahrenen Straßen wohnen eher, wie der Experte sagte. Ob dies aber auch zu einem schlimmeren Verlauf der COVID-19-Krankheit führt, sei spekulativ.

Ein Grund dafür: Vorgeschädigte Lungen sind dem Experten zufolge nicht das Hauptproblem bei einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus. Über einen komplizierten Verlauf der COVID-19-Krankheit entscheide nicht nur der Lungenzustand, sondern vor allem auch das Alter des Patienten und Begleiterkrankungen. "Da gibt es überhaupt keinen Zweifel." Patienten mit kompliziertem Krankheitsverlauf haben dem Experten zufolge oft auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sterben häufig an Herzversagen.

Auch Frank Heimann, Vorsitzender des Bundesverbands der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner sieht bislang keinen ganz eindeutigen Zusammenhang zwischen Schadstoffen in der Luft und dem Tod nach Corona-Infektion. Luftverschmutzung könne die Abwehr von Infektionen langfristig schwächen, sagt er. Aber: "Zigaretten rauchen ist viel schlimmer": Das Rauchen einer Zigarette schwächt sofort die lokale Schleimhautabwehr für Stunden, wie er erklärte. Die Flimmerhärchen werden gelähmt und können ein eingeatmetes Virus nicht mehr aus den Atemwegen entfernen.

Wie Jany sagt auch Heimann, dass nicht nur Menschen mit vorgeschädigten Lungen nach einer Corona-Infektion sterben. "Natürlich geht Menschen mit Lungenerkrankungen schneller die Luft aus als gesunden Menschen", sagte der Experte. Aber hinsichtlich COVID-19 seien auch ein gutes Herz, gute Nieren und eine intakter Stoffwechsel notwendig. "Jede schwerwiegende Vorerkrankung gefährdet die Menschen zusätzlich", sagte Heimann. Wenn ein Lungengeschädigter an COVID-19 erkranke, sei die Wahrscheinlichkeit, dass er beatmet werden muss, höher als bei Menschen mit intakter Lunge. Ob die Krankheit tödlich endet, hänge aber letztlich von der Summe der krankheitsbedingten Einschränkungen des Patienten ab.

(olb)